Pseudowissenschaft: Voodoo Science
The Road from Foolishness to Fraud Oxford University Press, Oxford/New York 2000. 230 Seiten, $ 25,–
Obwohl das Buch von einem Amerikaner für Amerikaner geschrieben wurde, betrifft es uns auch. Es handelt von der zunehmenden Ununterscheidbarkeit von Wissenschaft und Hokuspokus, der sich den Mantel der Wissenschaft umgehängt hat, nicht nur für ganz gewöhnliche Leute, sondern auch für Regierungen und Industrie, ja sogar für die Wissenschaftler selbst. Der Autor, Physikprofessor und Leiter des Washingtoner Büros der American Physical Society, äußert sich seit Jahren einmal die Woche in einer Internet-Kolumne namens "What’s New" zu aktuellen Themen der Wissenschaftspolitik (http://www.aps.org/WN/), mit stets demselben sorgfältig formulierten Satz im "Kleingedruckten": "Opinions are the author’s and are not necessarily shared by the American Physical Society, but they should be."
Unter dem Oberbegriff Voodoo – der im Englischen nicht nur für den Zauberkult Wodu, sondern für Zauberei und Hexerei aller Art steht – fasst Park alles zusammen, was ihm nicht als seriöse Wissenschaft gilt. Er unterscheidet fünf Spielarten von Voodoo-Wissenschaft.
Erstens die pathologische Wissenschaft. Sie fängt damit an, dass ein Wissenschaftler sich durch die Hoffnung auf Ruhm und/oder Geld dazu verleiten lässt, seine Ergebnisse zu überschätzen. Statt sie den üblichen Prozeduren auszusetzen, über die öffentliche Kontrolle durch die Wissenschaftlergemeinde zur Publikation in einer wissenschaftlichen Zeitschrift und danach, eventuell, zu Schlagzeilen, Ruhm und Geld, zäumt er das Pferd vom Schwanz her auf: zuerst die Pressekonferenz, in der die Bedeutung der Entdeckung betont wird, dann – wenn überhaupt – die Bekanntgabe von überprüfbaren Details. So war es 1989, als die Chemiker Stanley Pons und Martin Fleischmann, damals an der Universität von Utah in Salt Lake City, die "Kalte Fusion" entdeckt zu haben glaubten, einen nach allem physikalischen Verständnis unmöglichen Prozess, durch den beliebig viel "saubere" Energie zu gewinnen wäre. Bald wurde wissenschaftlich erwiesen, dass der vermeintliche Prozess tatsächlich nicht auftritt. Seine Proponenten hätten ihre Behauptungen als ehrlichen Irrtum zurückziehen müssen – und das vielleicht auch getan, wäre es noch in der Stille der Wissenschaft möglich gewesen. Aber eben das ging nun nicht mehr. Pons und Fleischmann waren "Weltberühmtheiten geworden und standen nun vor ihrer Entwürdigung im Angesicht der ganzen Welt. Was als durch Wunschdenken bestimmte Interpretation eines schlampigen und unvollständigen Experimentes begonnen hatte, war zur bewussten Verdunkelung und Unterdrückung von Daten geworden. Hiermit … hatte die Kalte Fusion ganz klar die Linie überschritten, die Torheit von Betrug trennt."
Mit dieser Einschätzung ist Park bei der zweiten Spielart von Voodoo-Wissenschaft angekommen – der betrügerischen Wissenschaft. Die dritte ist Pseudowissenschaft: Ein Erfinder präsentiert in gutem Glauben dem Publikum eine Maschine, die mehr Energie liefern soll, als sie verbraucht, und damit beiden Hauptsätzen der Thermodynamik widerspräche. Oder es wird dem Glauben Vorschub geleistet, die Erde werde von Außerirdischen besucht, die mit Überlichtgeschwindigkeit reisen. "Die Akteure der Pseudowissenschaft halten ihr Tun möglicherweise wirklich für Wissenschaft – genauso wie Zauberer und Gurus glauben mögen, sie besäßen übernatürliche Kräfte." Beide aber, pathologische und Pseudowissenschaft, haben eine Tendenz zum Übergang in die betrügerische Wissenschaft: "Was als ehrlicher Irrtum beginnt, kann sich durch kleinste Schritte vom Selbstbetrug zum Betrug entwickeln."
Dann – viertens – die Wissenschaft für den Papierkorb. Ihre Unterstellungen können zwar zutreffen, aber es gibt nichts, was wirklich für sie spricht. Als Beispiele führt Park die unterstellte Krebs erzeugende Wirkung von Starkstromleitungen und – in einem Fall – von polychlorierten Biphenylen (PCB) an. Mir scheint, dass in derartigen Fällen mehr Misstrauen am Platz ist, als Park anerkennt. Dass die Öffentlichkeit aber auch unsinnigen Unterstellungen von Risiken ausgesetzt wird, ist unbestreitbar.
Schließlich und fünftens die unwichtige Wissenschaft. Sie nimmt zwar immense Fördermittel in Anspruch, kann aber keine Ergebnisse liefern, die auch nur im Entferntesten den Aufwand rechtfertigen würden. Als Beispiele nennt Park erstens die bemannte Raumfahrt und zweiten SDI, vulgo Starwars, den unter Präsident Reagan geplanten Schutzwall gegen interkontinentale Trägerraketen von Atomwaffen, dessen Entwicklung später aufgegeben wurde, nun aber wiederbelebt werden soll – ein dankbares Thema für Parks Internet-Kolumnen. Zur bemannten Raumfahrt, verglichen mit der unbemannten und deren wissenschaftlichen Erträgen, bemerkt Park süffisant: "Während die unbemannte Raumsonde Mariner 2 den Planeten Venus in 160 Millionen Kilometer Entfernung besucht hat, ist der Astronaut John Glenn von der Erde niemals weiter weg gewesen, als Baltimore von New York entfernt ist".
An dem Buch beglückt der klare Verstand, mit dem sich Park gegen alle Arten von Voodoo wendet. Das Buch ist auch ein psychologisches Meisterwerk. Allerdings kann ich Park auf den letzten 10 bis 20 seiner insgesamt gut 210 Textseiten nicht beipflichten, wenn er auch den unleugbaren Wundern der Quantenmechanik wie der Teleportation und den – in Einsteins Worten – "spukhaften Fernwirkungen" mit derselben Skepsis begegnet wie zuvor dem echten Voodoo. Ratlos gelassen hat mich auch Parks mir völlig neue Interpretation der Unschärferelation, und auf den letzten Seiten des Buches nimmt die Klarheit ab. Aber das ist belanglos bei 190 Seiten präziser und unterhaltsamer Darstellung des misslichen Erfolges von Voodoo-Wissenschaft und dessen, was dagegen getan werden kann und muss.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2001, Seite 109
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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