Physik: Luzifers Vermächtnis - Eine physikalische Schöpfungsgeschichte
Aus dem Englischen von Thomas Filk. C. H. Beck, München 2002. 274 Seiten, 22,90
Nein, das Buch ist nicht der Frage gewidmet, wie das Böse physikalisch in die Welt kam. Der Untertitel des englischen Originals "The Meaning of Asymmetry" drückt aus, worum es geht: um die Abweichungen von vollkommener Symmetrie, welche die Existenz einer Welt wie der unseren erst ermöglichen.
Wenn wir um uns blicken, ist Asymmetrie statt Symmetrie die selbstverständliche Regel. Triviale Asymmetrie der Art, dass mein Weinglas, während ich dies schreibe, links statt rechts von mir steht. Und dass es – dies nun nicht trivial – aus Materie statt Antimaterie besteht. Aber Asymmetrie allein ist nur ein uneinsehbares, belangloses Durcheinander. Erwähnenswert wird sie erst vor einem Hintergrund von erwarteter Symmetrie, wenn nämlich aus ihrem Sumpf Einsicht in die Symmetrie erwächst, die sie verletzt.
So ist das Buch zunächst einmal eines über Symmetrie und damit zu vergleichen mit einer Fülle von Büchern zu diesem Thema: Allein in meinem Besitz habe ich 35 Stück gezählt. Frank Close erwähnt im englischen Original gerade mal drei und einen Originalartikel. Das ist schade und auch nicht fair.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Büchern zur Symmetrie, die ich kenne, versucht dieses gar nicht erst, Symmetrie oder ihre Abwesenheit sauber zu definieren, sondern begnügt sich mit etwas vagen Feststellungen zur Dreh-, Verschiebungs- und Spiegelsymmetrie. Unter anderem aus diesem Grund ist es besonders leicht und vergnüglich lesbar. Aber Close verschweigt konsequenterweise auch Wichtiges wie das Theorem von Emmy Noether mit seinem Kriterium für Symmetrie und deren Abwesenheit.
Ausführlich geht das Buch auf den Drehsinn von Molekülen – Rechts- oder Linkshändigkeit – sowie dessen Auswirkungen auf die Chemie des Lebens ein. Vor allem hier hätte man sich detailliertere Literaturhinweise gewünscht als nur ein 1979 erschienenes Buch von Martin Gardner, um etwaigen Zweifeln am Dargestellten nachgehen zu können.
Von den dreizehn Kapiteln des Buches handeln die ersten vier vor allem von Symmetrie und Symmetriebrechung in der Kunst, dem Wetter (der Coriolis-Kraft), der Chemie und dem Leben. Ihnen folgen vier Kapitel, welche den Leser in das physikalische Wissen einführen, das für die letzten fünf erforderlich ist. Mir haben die Kapitel 5 bis 7 besonders gut gefallen. Sie stellen in einem Stil, der sich von dem des übrigen Buches deutlich unterscheidet, die Entwicklung der Physik von der Entdeckung der Röntgenstrahlen 1895 bis zu der des Neutrons 1932 mit der Hilfe von Geschichten über die Protagonisten dar. Das achte Kapitel handelt von Symmetrie und Vereinheitlichung der Kräfte in der Physik der Elementarteilchen.
Asymmetrien, Abweichungen insbesondere der Naturgesetze von ihren erwarteten Symmetrien, bilden das beherrschende Thema der letzten fünf Kapitel. Die spontane Symmetriebrechung, die Verletzung der Spiegelsymmetrie, das Higgs-Phänomen sowie das Verschwinden der Antimaterie im frühen Universum werden besonders klar und anschaulich dargestellt. Hier kann Close, auch mithilfe von Analogien aus der Festkörperphysik, Begeisterung für die Erforschung der Elementarteilchen erwecken.
Insgesamt ist das Buch leicht zu lesen, unterhaltend und charmant. Es vermittelt dem Leser lohnende, wenn auch gelegentlich nicht sehr präzise Einsichten in die Bedeutung von Symmetrie und Asymmetrie für das Leben, die Kunst und die Wissenschaften.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2003, Seite 99
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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