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Dezember 1991: Fullerene

Erst jüngst wurde entdeckt, daß Kohlenstoff im festen Zustand außer als Diamant und Graphit auch in Form käfigartiger Moleküle vorliegen kann. Bei dem aus 60 Atomen bestehenden Urtypus dieser Fullerene handelt es sich wahrscheinlich um das rundeste Molekül, das überhaupt möglich ist.
Fullerene

AIs Wolfgang Krätschmer und sein Doktorand Konstantinos Fostiropoulos im Mai 1990 etwas Benzol auf eine speziell präparierte Rußprobe tropften und kräftig umrührten, färbte sich das glasklare Lösungsmittel rot. Aufgeregt riefen die beiden Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg daraufhin ihre Fachkollegen Donald Huffman und Lowell Lamb an der Universität von Arizona in Tuscon an, die das Experiment unverzüglich nachmachten. In den folgenden Tagen tauschten die beiden Forschergruppen regelmäßig per Telephon und Fax die Ergebnisse der an dem neuen Stoff vorgenommenen Untersuchungen aus: sein Infrarot-, Ultraviolett-und Massenspektrum sowie die Röntgenbeugungsdaten der bräunlichgelben Kristalle, die sich aus der filtrierten Benzol-Lösung beim Verdunsten ausschieden. Alles paßte auf den Steckbrief für »Buckminsterfulleren«, ein kugelförmiges Molekül aus 60 Kohlenstoffatomen.

Die Suche nach der gelben Phiole

Wenn auch einige Theoretiker behauptet hatten, diese hohlen, fußballförmigen Moleküle sollten massenweise in so profanen Dingen wie dem Ruß einer Kerzenflamme vorkommen, hatte trotz großer Anstrengungen bis dahin niemand sie in makroskopischen Mengen isolieren können. Erstmals hielt das deutsch-amerikanische Forscherteam nun diese rundesten aller runden Moleküle in der Hand – in dem Bewußtsein, etwas entdeckt zu haben, das Eingang in die elementaren Chemie-Lehrbücher und Enzyklopädien finden würde; denn damit gab es außer den dreidimensional vernetzten Festkörpern Graphit und Diamant eine dritte Form von reinem, kristallinem Kohlenstoff, die aus einzelnen, diskreten Molekülen besteht.

Als wir einige Monate später an der Rice-Universität in Houston (Texas) von diesem Durchbruch hörten, feierten wir ihn mit Champagner. Obwohl wir in gewisser Weise ausgestochen worden waren, fühlten wir uns doch auch großartig bestätigt. Unser eigenes Heureka-Erlebnis lag damals bereits fünf Jahre zurück. Zusammen mit unserem Kollegen Harold W. Kroto von der Universität von Sussex in Brighton sowie unseren Mitarbeitern James R. Heath und Sean C. O'Brien hatten wir herausgefunden, daß ein Cluster – wie Physiker einen Klumpen identischer Teilchen nennen – aus 60 Kohlenstoffatomen (C.) eine ganz bestimmte, äußerst stabile Form hat und einfach durch Laser-Verdampfung von Graphit in einem gepulsten Heliumstrom hergestellt werden kann.

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Als Grund für die außergewöhnliche Stabilität vermuteten wir eine Molekülstruktur, die der perfekten Symmetrie eines Fußballs entspricht (siehe »Physik der Kohlenstoff-Cluster: Buckminsterfulleren« von Georg Wolschin, Monatsspektrum, Spektrum der Wissenschaft, Februar 1989, Seite 23). Da ihr Bauprinzip mit dem der geodätischen Kuppeln übereinstimmt, durch die der amerikanische Ingenieur und Philosoph Richard Buckminster Fuller berühmt geworden ist, nannten wir das Molekül Buckminsterfulleren oder kurz Buckyball.

Bei diesen frühen Experimenten zeichnete sich noch ein zweites Molekül, das C70, durch besondere Stabilität aus. Sie ließ sich ebenfalls mit einer Struktur nach dem Muster geodätischer Kuppeln erklären. Nach Fuller können alle diese Kuppeln als Wabennetze aus Fünf- und Sechsecken betrachtet werden. Schon der berühmte Schweizer Mathematiker Leonhard Euler (1707 bis 1783) hatte bewiesen, daß jeder solche Körper genau zwölf Fünfecke enthalten muß, um ein geschlossenes Sphäroid zu bilden. Die Zahl der Sechsecke kann dagegen in weiten Grenzen variieren. Die exakt kugelförmige Struktur des C60 enthält 20 Sechsecke, die von uns für das C70 vorgeschlagene Struktur, die eher an einen Rugbyball erinnert, hingegen 25.

Tatsächlich hatten wir festgestellt, daß alle geradzahligen Kohlenstoff-Cluster mit mehr als 32 Atomen erstaunlich beständig sind (wenn auch nicht ganz so stabil wie C60 oder C70). Auf Grund unserer experimentellen Befunde in Verbindung mit theoretischen Überlegungen postulierten wir alsbald, daß sie samt und sonders die Struktur einer geodätischen Kuppel besitzen sollten. Es schien uns wiederum angebracht, diese völlig neue Klasse von Molekülen zu Ehren von Fuller »Fullerene« zu nennen.

Später erfuhren wir, daß sich andere Wissenschaftler schon früher Gedanken über solche Moleküle gemacht hatten. So entwickelte David E. H. Jones 1966 in einer Kolumne, die er unter dem Pseudonym »Dädalus« für die englische Zeitschrift »New Scientist« schrieb, die Idee eines »hohlen Moleküls« aus zusammengerollten Graphitschichten. Wieder andere hatten aus Berechnungen die Stabilität des C60, vorausgesagt und das Molekül – erfolglos – zu synthetisieren versucht. Wir aber waren anscheinend die ersten, die entdeckten, daß es sich spontan bei der Kondensation von verdampftem Graphit bilden kann.

Obwohl unsere Ergebnisse fundiert waren und unsere Schlußfolgerungen durch weitere, breit angelegte Experimente und Berechnungen untermauert wurden, konnten wir lediglich einige zehntausend dieser besonderen Moleküle gewinnen. Das war mehr als genug, um sie mit unseren hochentwickelten Laborgeräten nachzuweisen und zu erforschen, reichte aber nicht, sie mit den eigenen Sinnen wahrzunehmen. Unsere Befunde waren indirekter Natur – etwa so wie bei Physikern, die Antimaterie studieren. Bis dahin existierten die Fullerene nur gleichsam als flüchtige Signale in exotischen Apparaten. Dennoch wußten wir als Chemiker. daß das neue Material absolut beständig sein sollte: Anders als Antimaterie müßte man die geodätisch geformten Kohlenstoff-Moleküle in der bloßen Hand halten können. Wir mußten nur mehr davon herstellen – Milliarden und Abermilliarden!

Und so suchten wir fünf Jahre lang nach einer Methode, sichtbare Mengen des Stoffes zu produzieren – ein mühseliges Unterfangen, das wir deshalb schließlich in Anspielung an die Parzival- und die Argonautensage »die Suche nach der gelben Phiole« nannten; denn die Kohlenstoff-Moleküle in Fußballform sollten quantenphysikalischen Berechnungen zufolge nur Licht aus dem fernen violetten Teil des Spektrums stark absorbieren, in sichtbarer Menge also gelb aussehen.

Bei dieser Suche waren wir nicht allein. Unser Bericht über ein mutmaßliches Fußball-Molekül, den wir 1985 in der Zeitschrift »Nature« veröffentlicht hatten, ließ das Objekt unseres Strebens zu einem der heißbegehrtesten in der Chemie überhaupt werden.

In unserem Labor sammelten wir den rußartigen Kohlenstoff, der bei der Verdampfung von Graphit mit dem Laser anfiel, und versuchten mit verschiedenen chemischen Methoden. C60 daraus zu extrahieren. So schlämmten wir ihn in Benzol auf und spähten nach dem verräterischen Gelbton. Doch die Lösung in den Reagenzgläsern blieb farblos und der Ruß hartnäckig als schwarzer Rückstand am Boden liegen. Die Clique der Cluster-Chemiker probierte noch allerlei raffinierte Tricks – ohne nennswerten Erfolg.

Viele begruben die Hoffnung, die gelbe Phiole jemals zu Gesicht zu bekommen. Ihrer Meinung nach war es trotz der Stabilität der Fullerene einfach zu schwierig, sie von den anderen Rußpartikeln abzutrennen, die bei den Verdampfungsexperimenten entstehen. Vielleicht würde es ja eines Tages einem ausdauernden Chemiker vergönnt sein, ein paar Mikrogramm mit einem speziellen Lösungsmittel zu extrahieren: doch niemand rechnete im Ernst damit. daß C60 in absehbarer Zeit in Gramm-Mengen herstellbar wäre.

Der Durchbruch

Überraschenderweise glückte der Durchbruch schließlich nicht Chemikern, sondern Physikern, die auf einem ganz anderen Gebiet arbeiteten. Krätschmer, Huffman und ihre Mitarbeiter hatten sich jahrzehntelang mit interstellarem Staub befaßt. In der Annahme. daß dieser hauptsächlich aus Teilchen von Kohlenstoff bestünde (dem häufigsten partikelbildenden Element), ahmten sie im Labor die Bedingungen der Staubbildung im Weltraum nach, indem sie auf möglichst viele Arten Kohlenstoff verdampften und kondensierten. Bei den meisten Untersuchungen spielten optische Tests eine wichtige Rolle. (So gut wie alles, was wir über interstellaren Staub wissen, ist daraus abgeleitet, wie dieser das Licht der Sterne absorbiert und streut.)

Im Jahre 1983 versuchten die Physiker, einen Graphitstab durch Widerstandsheizung in strömendem Helium – dieses äußerst reaktionsträge Edelgas ist neben Wasserstoff das zweithäufigste Element im All – zu verdampfen. Sie bemerkten, daß der Staub bei passend gewähltem Heliumdruck (etwa einem Siebtel des Atmosphärendrucks) Licht aus dem fernen Ultraviolettbereich stark absorbiert, wobei ein seltsames, zweihöckriges Spektrum entsteht. Den meisten anderen Beobachtern wären die beiden Buckel auf dem Bildschirm vermutlich entgangen. Huffman und Krätschmer jedoch hatten jahrelang die Spektren von Kohlenstoffstaub untersucht, ohne je auf etwas derartiges zu stoßen. Sie gaben den Partikeln mit dem merkwürdigen Spektrum den Spitznamen »Kamelprobe«, konnten sich aber nicht erklären, was dahintersteckte.

Fast drei Jahre danach. im Spätherbst 1985, las Huffman von unserer mutmaßlichen Entdeckung des C. in »Nature« und fragte sich, ob ein hohles Molekül in Fußballform den Doppelhöcker im Spektraldiagramm hervorrufen könne. Die Erklärung schien zu schön, um wahr zu sein; denn in diesem Falle hätte C60, einen erheblichen Teil der Probe ausmachen müssen. Was aber sollte den Kohlenstoff dazu bewegen, zu einem hohen Prozentsatz ausgerechnet derart komplizierte, hochsymmetrische Käfige zu bilden? Und was konnte das Helium dabei für eine Rolle spielen? Die scheinbare Abseitigkeit dieser Hypothese und einige Schwierigkeiten, das Experiment zu reproduzieren, veranlaßten die Forscher, dem Verdacht nicht mit Elan nachzugehen.

Im Jahre 1989 gelangten Huffman und Krätschmer jedoch zu der Überzeugung, daß die H60-Hypothese eine neuerliche Prüfung verdiene. Diesmal konnten sie die Ergebnisse von 1983 mühelos reproduzieren. Allerdings richteten sie ihr Augenmerk nun auf die Absorption infraroter Strahlung, die Schwingungsbewegungen von Molekülen anregt, und verglichen das erhaltene Spektrum mit den Voraussagen, die inzwischen für das C60 gemacht worden waren.

Danach sollten von den 174 Schwingungsmöglichkeiten (Spektroskopiker sprechen präziser von Moden) dieses hypothetischen Moleküls nur 42 zu unterscheiden sein und lediglich vier sich im Infrarotspektrum zeigen. Zu ihrer Überraschung fanden die Forscher, daß die Kamelprobe – und zwar nur diese – tatsächlich vier scharfe Absorptionslinien im Infrarot aufwies. Dies deutete stark darauf hin, daß sie eine ganze Menge C60 enthielt.

Gemäß ihrer physikalischen Denkweise wählten die Forscher zuerst einen sehr komplizierten Weg, ihre Vermutung zu überprüfen. Sie präparierten eine reine Probe des schweren Kohlenstoff-Isotop 13C und vergewisserten sich, daß die zusätzliche Masse die vier Infrarot-Banden in der Weise verschob, wie es bei einem so großen Molekül aus reinem Kohlenstoff zu erwarten war. Schließlich ging ihnen jedoch auf, daß sich die einfachste Prüfmöglichkeit aus einer Grundregel der organischen Chemie ergab, die da lautet: Gleiches löst Gleiches. Wenn sich ihre Probe in einem aromatischen Lösungsmittel wie Benzol auflösen würde, wäre dies eine Bestätigung für die vorausgesagte aromatische Natur von C60. Im Hinblick darauf, daß Benzol aus sechs ringförmig angeordneten Kohlenstoffatomen besteht, könnte man das C60 eine Art kugelförmiges Benzol ansehen.

Als Krätschmer und dann Huffman schließlich Benzol auf die ominöse Kamelprobe tropften und die sich bildende rote Farbe beobachteten, ahnten sie, daß sie die erste konzentrierte Fulleren-Lösung vor Augen hatten. Sie verdampften sie und fanden winzige Kristalle, die sich ihrerseits leicht wieder in Benzol lösten. Diese Kohlenstoff-Kristalle ließen sich im Vakuum bei ungefähr 400 Grad Celsius sublimieren und auf einem kalten Objektträger als glatter fester Belag niederschlagen, dem Krätschmer und Huffman den Namen Fullerit gaben.

In dünnen Schichten sind diese Beläge gelb, was uns zutiefst befriedigte, die wir an der Rice-Universität jahrelang nach der gelben Philole gesucht hatten. Es dauerte noch eine Weile, bis schließlich die genaue Zusammensetzung der Kamelprobe feststand. Inzwischen aber weiß man, daß entsprechend hergestellter Kohlenstoffstaub eine extrahierbare Fulleren-Mischung enthält, die aus ungefähr 75 Prozent C60 (dem Buckyball), 23 Prozent C70 (dem Rugbyball) und einem Sammelsurium größerer Fullerene besteht.

Damit gab es also eine neue Modifikation von reinem, festem Kohlenstoff, ja genaugenommen die erste wirklich reine Form dieses Elements überhaupt. Weil Diamant und Graphit nämlich in drei beziehungsweise zwei Dimensionen eine theoretisch unendliche Gitterstruktur haben, enthalten Proben endlicher Ausdehnung zwangsläufig an den Oberflächen freie Bindungsstellen, die unter Normalbedingungen grundsätzlich von Fremdatomen wie Wasserstoff besetzt sind. Die Fullerene brauchen wegen ihrer in sich vollkommen geschlossenen Struktur dagegen keine weiteren Atome, um Obertlächenvalenzen abzusättigen.

Wie man Atome einschweißt

Beim Verdampfen von Graphit, sei es per Laserstrahl oder im elektrischen Lichtbogen. bilden sich Cluster aus zwei bis mehreren tausend Atomen. Mit einem Verfahren, das die Autoren Schrumpf-Einschweiß-Methode genannt haben. konnten sie beweisen. daß alle geradzahligen Moleküle von C32 bis mindestens C60 hohle Käfige. also Fullerene, sind.

Die Methode besteht darin, Kohlenstoff-Cluster in einem Magnetfeld in der Schwebe zu halten und sie dann mit einem Laserstrahl zu beschießen, der gerade genügend Energie hat, um mit jedem Blitz genau ein Paar von Kohlenstoffatomen aus dem Cluster herauszuschlagen. Auf diese Weise erzeugt er jeweils das nächstkleinere Fulleren. Dieses schrittweise Schrumpfen endet abrupt bei C32. An diesem Punkt ist der Käfig zu eng geworden: Beim nächsten Laserblitz zerfällt das Molekül in lineare Kohlenstoffketten.

Was geschähe, wenn ein Metallatom in dem Fulleren eingeschlossen wäre? Es könnte zunächst durch Laserblitze wie in eine Klarsichtfolie aus Kohlenstoff eingeschweißt werden: der Schrumpfprozeß würde dann – bei entsprechender Größe des eingeschlossenen Atoms – schon vor dem C32 abbrechen. Tatsächlich endet mit einem Kaliumatom im Käfig das Schrumpfen bereits beim C44 – mit dem nächsten Laserschuß platzt die Blase. Das noch größere Cäsium sprengt den Käfig schon beim C48. Dies entspricht genau dem Verhältnis zwischen den lonenradien der beiden Metalle.

Wie inzwischen gezeigt wurde, läßt sich mit der Laser-Verdampfung eine breite Palette von Metallatomen in Fullerene einbauen – selbst Schwergewichte wie Lanthan und Uran wurden schon in den Käfig gesperrt. Die Herausforderung ist jetzt, von diesen Metallofullerenen auch makroskopische Festkörper zu gewinnen. Entsprechende Metallofullerite sollten der Theorie zufolge elektrochemische Eigenschaften haben, die auf subtile und vielleicht nützliche Weise von denen leerer C60-Käfige abweichen. Bisher umhüllt das einzige real existierende Fullerit nur das Vakuum. Aber die Vorstellung, Atome einer Vielzahl von Elementen und vielleicht sogar einige Moleküle einzeln verpacken zu können, ist für Chemiker eine äußerst verlockende Vision.

Ertragreicher Forschungswettlauf

Die Bekanntgabe der Resultate von Krätschmer und Huffman auf einer Tagung Anfang September 1990 in Konstanz wurde zum Fanal für ein furioses Wettforschen. Bis dahin war das Studium des C60 und der Fullerene die Domäne weniger spezialisierter Gruppen gewesen, die wie wir über eine komplizierte, teure Laser-Verdampfungsanlage oder eine ähnlich anspruchsvolle Apparatur verfügten. Krätschmer und Huffman aber öffneten das Feld für jeden, der einen dünnen Graphitstab, eine billige Stromquelle und eine Vakuum-Glas-glocke nebst einigen Ventilen und Manometern aufzutreiben vermochte. Wer immer wollte, konnte nun mitmischen.

Binnen weniger Monate hatten denn auch viele Arbeitsgruppen ihre eigenen Fullerene hergestellt. Physiker, Chemiker und Materialwissenschaftler verfielen in einen interdisziplinären Fulleren-Rausch, der sich noch steigert, während dieser Artikel geschrieben wird. Die grundlegenden Ergebnisse wurden in kürzester Zeit in mehr als einem Dutzend Laboratorien reproduziert oder teilweise mit anderen Methoden bestätigt. Als leicht lösliche und verdampfbare, an Luft stabile Moleküle sind Fullerene einem breiten Spektrum von Untersuchungsmethoden zugänglich.

Eines der leistungsfähigsten Verfahren, die Kernspinresonanz (NMR nach englisch nuclear magnetic resonance), hat die fundamentale Eigenschaft der Fußballstruktur bestätigt: Alle 60 Kohlenstoffatome sind innerhalb des Gesamtmoleküls absolut gleichberechtigt.

Nur in der von uns vorgeschlagenen fußballförmigen Struktur sind die Atome so symmetrisch angeordnet, daß sich die aus der geschlossenen Form resultierenden Spannungen gleichmäßig verteilen. Dies bedingt eben jene große Festigkeit und Stabilität, derentwegen wir diese Struktur seinerzeit postuliert hatten.

Als Molekül mit der höchsten Symmetrie, das es im dreidimensionalen euklidischen Raum geben kann, ist C60, im wahrsten Sinne des Wortes auch das rundeste aller runden Moleküle. Ohne Ecken und Kanten, ohne Ladung und ungebunden dreht es sich gemäß den NMR-Daten wie ein Kreisel mehr als 100 Millionen mal in der Sekunde. Die NMR-Messungen belegen auch schlagend die Rugbyballform des C70: Bei Zimmertemperatur rotiert es innerhalb des Kristallverbands mit atemberaubendem Tempo um seine Längsachse und hört erst unterhalb der Temperatur, bei der Luft sich verflüssigt (-191 Grad Celsius), mit diesem Wirbeln auf.

Die hochauflösende Elektronenmikroskopie lieferte Momentaufnahmen der kleinen Kohlenstoffbälle; danach messen sie, wie vorausgesagt, etwas mehr als ein Nanometer (millionstel Millimeter). Die Raster-Tunnelmikroskopie zeigte, daß die C60-Moleküle an der Kristalloberfläche regelmäßig wie Billardkugeln gepackt sind. Nach Röntgenbeugungsdaten kristallisiert C60 erwartungsgemäß in einem flächenzentrierten kubischen Gitter, wobei die Mittelpunkte benachbarter Kugeln etwas mehr als einen Nanometer voneinander entfernt sind.

Die Kristalle sind so weich wie Graphit. Nach Berechnungen sollten sie jedoch härter als Diamant werden, wenn man sie auf weniger als 70 Prozent ihres normalen Volumens komprimiert. Dabei sind sie unglaublich elastisch: Werden sie mit einer Geschwindigkeit von mehr als 27.000 Kilometern pro Stunde (etwa der Umlaufgeschwindigkeit von Raumfähren) auf eine Stahloberfläche geschleudert, so prallen sie wie ein Gummiball wieder zurück.

Fullerene lassen sich nach unseren Erfahrungen am einfachsten zwischen zwei Graphit-Elektroden im Lichtbogen herstellen. Wir hielten den Abstand zwischen den Elektroden konstant, indem wir mit einem Schraubmechanismus das Abdampfen ihrer Spitzen ausglichen. Das Verfahren funktionierte am besten, wenn der Heliumdruck einen bestimmten Wert hatte und andere Gase wie Wasserstoff oder Wasserdampf peinlichst ausgeschlossen waren. Unter diesen Bedingungen bewegte sich die Ausbeute an löslichen Fullerenen zwischen 10 und 20 Prozent des verdampften Kohlenstoffs. Unlängst haben andere Gruppen sogar Werte bis zu 45 Prozent angegeben.

Der für den Lichtbogen benötigte Strom scheint der einzige nicht reduzierbare Kostenfaktor zu sein. Aber mit den kleinen Tischgeneratoren, die wir nun in unserem Labor einsetzen, belaufen sich die Stromkosten nur noch auf zehn Pfennig pro Gramm C60. Kürzlich wurde entdeckt, daß auch eine rußende Flamme (etwa eine Kerzenflamme) beträchtliche Mengen an C60 liefern kann. Auf lange Sicht dürfte dies das billigste Herstellungsverfahren sein. Wenn die ersten großtechnischen Anwendungen für Fullerene gefunden sind – vielleicht in Supraleitern. Batterien oder in der Mikroelektronik, dürften die Herstellungskosten von C60 auf wenige Mark pro Pfund fallen; dann wäre es etwa so teuer wie Aluminium. Was vor kurzem noch als »das umstrittenste Molekül im Kosmos« beschrieben wurde, ist also auf dem besten Weg, zu einem Massenprodukt zu werden.

Die Fünfeckregel

Bei alldem sind noch reichlich Fragen offen. Was für eine geheimnisvolle Rolle spielt das Helium? Wie kann aus dem Chaos eines Kohlenstoff-Lichtbogens mit so hoher Ausbeute ein derart hochsymmetrisches Molekül hervorgehen? Und uns persönlich berührt die Frage: Was haben wir falsch gemacht; warum scheiterten wir und alle anderen Chemiker bei der Suche nach der gelben Phiole? Auch wir hatten ja mit Helium gearbeitet. Was machten Krätschmer und Huffman anders, das den Ausgang so entscheidend beeinflußte?

Wir glauben heute, daß die Antworten auf diese Fragen damit zusammenhängen, wie Kohlenstoffdampf bei verschiedenen Temperaturen kondensiert. Eine maßgebliche Rolle scheint dabei die von uns aufgestellte Fünfeck-Regel zu spielen.

Seit langem ist bekannt, daß beim Verdampfen von Kohlenstoff die meisten Atome sich anfangs zu Clustern aus 2 bis 15 Atomen zusammenlagern. Die kleinsten Cluster bestehen dabei hauptsächlich aus Kohlenstoff-Ketten. Bei niedrigen Temperaturen schließen sich Ketten mit mindestens zehn Atomen meist zu einfachen zyklischen Ringen, gewissermaßen molekularen Hula-Hoop-Reifen. Bei sehr hohen Temperaturen brechen diese Ringe auf und bilden lineare Ketten aus mindestens 25 Kohlenstoffatomen. Die Bewegung solcher Ketten im heißen Dampf erinnert an sich windende Schlangen.

Ebendiese linearen Ketten hatten uns seinerzeit zum Studium der Kohlenstoff-Cluster bewogen. Im interstellaren Raum wimmelt es davon, und nach einer Theorie von Kroto könnten dafür chemische Reaktionen verantwortlich sein, die in den äußeren Atmosphärenschichten kohlenstoffreicher roter Riesensterne ablaufen.

Einer von uns (Smalley) hatte in den frühen achtziger Jahren ein Überschall-Clusterstrahl-Gerät entwickelt, mit dem sich kleine Cluster aus praktisch jedem Element des Periodensystems untersuchen lassen (siehe »Mikrocluster« von Michael A. Duncan und Dennis H. Rouvray, Spektrum der Wissenschaft, Februar 1990). Dabei wird ein intensiver, gepulster Laserstrahl auf eine feste Scheibe aus dem zu untersuchenden Element fokussiert. Am Auftreffpunkt des Strahls lassen sich leicht Temperaturen von mindestens 10000 Grad Celsius erreichen; dies ist mehr als die Temperatur an der Oberfläche der meisten Sterne und sicherlich genug, um jedes bekannte Material zu verdampfen. Ein kräftiger Heliumstrom, der über den Dampf geleitet wird, reißt ihn mit und kühlt ihn dabei ab, so daß er zu kleinen Klümpchen kondensieren kann. Das clusterbeladene Helium wird dann durch eine Düse in eine Vakuumkammer gesaugt, wobei ein Überschall-Strahl von Clustern entsteht, deren Größe mit einem Massenspektrometer gemessen werden kann.

Mit einem Nachbau der an der Rice-Universität entwickelten Clusterstrahl-Apparatur wandte eine Wissenschaftlergruppe der Firma Exxon 1984 diese Methode erstmals auf Kohlenstoff-Cluster an. Ihre Resultate deuteten überzeugend darauf hin, daß die linearen Kohlenstoffketten, die Kroto untersuchen wollte, tatsächlich in großer Menge erzeugt wurden. Daneben aber zeigte sich ein seltsames Muster in der Verteilung der größeren Cluster: Durchweg fehlten solche mit ungerader Atomzahl. Die Massenspektrogramme dokumentierten ferner was den Exxon-Forschern allerdings nicht auffiel –, daß zwei Moleküle, Cm und Cm, etwas reichlicher vorhanden waren als solche mit ähnlicher Masse. Zwischen dem Bereich, in dem praktisch nur Cluster mit geradzahliger Atomzahl vorkamen, und dem mit den kleinen, linearen Ketten klaffte eine Lücke: Cluster aus etwa 25 bis 35 Atomen tauchten – wenn überhaupt – nur in minimalen Mengen auf.

Als Ursache der bevorzugten Geradzahligkeit wurden schon bald die Fullerene ausgemacht. Bei unserer gründlichen Erforschung der linearen Kohlenstoffketten reproduzierten wir auch die Ergebnisse von Exxon. Dabei machten Heath, Kroto und O'Brien die verblüffende Feststellung, daß Cluster mit 60 Atomen offenbar fünfmal so häufig waren wie alle anderen geradzahligen Cluster im Bereich von 50 bis 70 Atomen. Nie zuvor war eine auch nur annähernd so große Diskrepanz beobachtet worden. Nach langen Diskussionen nahmen sich Heath und O'Brien am folgenden Wochenende nochmals die Laser-Verdampfungsapparatur vor und spielten mit den Einstellungen der Überschalldüse. Bis Montagmorgen hatten sie die Bedingungen ausgetüftelt, bei denen das C60 im Verteilungsdiagramm wie ein Fahnenmast aus den übrigen Clustern herausragte. Das war der Tag, an dem wir unser Aha-Erlebnis hatten, und ab Dienstag spielten wir mit jeder Art von Fußballmolekül, das wir in die Finger bekommen konnten.

Uns war aufgegangen, daß sich die Dominanz der geradzahligen Cluster erklären ließ, wenn man annahm, daß sie alle die Form hohler geodätischer Kuppeln hatten, also Fullerene waren. Mit Überlegungen zur Ebenmäßigkeit der Clusteroberflächen und der natürlichen Anordnung der Fünfecke konnten wir zugleich plausibel machen, warum manche Fullerene häufiger auftreten als andere.

Die Fünfecke lieferten dabei einen wichtigen Anhaltspunkt. Obwohl es in der Chemie Hunderte von Beispielen für stabile aromatische Verbindungen gibt, bei denen fünf- und sechsgliedrige Ringe direkt aneinanderhängen (etwa bei den Nucleinsäuren Adenin und Guanin), existieren nur wenige Verbindungen, bei denen zwei fünfgliedrige Ringe eine gemeinsame Kante haben. Interessanterweise ist C60 das kleinste Fulleren, in dem keine zwei Fünfecke aneinandergrenzen; das nächste ist C70. Obwohl es für C72, und alle größeren Fullerene durchweg Strukturen gibt, bei denen die fünfgliedrigen Ringe genügend Abstand voneinander haben, bleiben ihnen nur Positionen, an denen sie verspannt sind. Solche Stellen sterischer Spannung bilden Schwachpunkte, an denen der Käfig bei Energiezufuhr leicht aufbricht.

Elektronik mit Fullerenen

Die technisch interessantesten Eigenschaften des kristallinen C60, sind aus heutiger Sicht elektronischer Natur; denn unter verschiedenen Bedingungen kann sich das Material wie ein Isolator, ein Leiter, ein Halbleiter oder ein Supraleiter verhalten.

Beim Kristallisieren ordnen sich die C60-Moleküle ähnlich Tischtennisbällen, die man in einen Karton schüttet, in einem flächenzentrierten kubischen Gitter an. Nach Berechnungen aus den letzten Monaten sollte dieses neue Material wie Galliumarsenid ein direkter Halbleiter mit Bandlücke sein. Auch wenn alle Buckybälle in der Kristallstruktur exakt in Reih und Glied sitzen, rotieren sie allerdings frei in sämtliche Richtungen. Diese Unordnung in der Ordnung der C60-Kristalle verleiht dem Buckminsterfullerit eine gewisse Ähnlichkeit mit amorphem Silicium, dem Grundmaterial billiger Solarzellen. Sie läßt, auch wenn ihre Bedeutung noch genauer erforscht werden muß, einen ganz neuen Typ von Halbleitern erwarten.

Anfang 1991 entdeckten Forscher bei den AT&T-Bell-Laboratorien in Murray Hill (New Jersey), daß sie in Buckminsterfullerit Kalium einbauen konnten. Durch dieses Dotieren entstand eine metallartige Verbindung, das „Buckid"-Salz. Seine maximale elektrische Leitfähigkeit erreicht es, wenn auf jeden Buckyball drei Kaliumatome entfallen. Bei Zugabe von noch mehr Kalium wird das Material wieder zum Isolator. K3C60 erwies sich als stabiler kristalliner Festkörper, bei dem in den Lücken zwischen den kubisch-flächenzentriert angeordneten Buckybällen Kalium-Ionen sitzen. Damit ist Kalium-Buckid das erste aus Molekülen bestehende Metall, dessen elektrische Eigenschaften in den drei Raumrichtungen völlig identisch sind.

Wie das Bell-Team außerdem entdeckte, wird dieses K3C60- Metall bei Abkühlung unter 18 Kelvin (-255 Grad Celsius) supraleitend. Mit Rubidium statt Kalium tritt die Supraleitung bereits bei 30 Kelvin und bei der Rubidium-Thallium-Verbindung, die Forscher der Firma Allied-Signal vor kurzem hergestellt haben, sogar schon bei 43 Kelvin auf. Untersuchungen an der Universität von Kalifornien in Los Angeles zufolge ist die supraleitende Phase stabil genug, um sich tempern zu lassen, so daß Strukturfehler durch mehrmaliges Heizen und Kühlen ausgeheilt werden können.

Da sich aus dem Material also perfekte dreidimensionale Supraleiter fertigen lassen, bietet es sich für supraleitende Drähte an. Erste Schätzungen der kritischen Stromstärke und des Verhaltens in Magnetfeldern deuten darauf hin, daß es den keramischen Hochtemperatur-Supraleitern aus Yttrium-Barium-Kupferoxid ähnelt.

Nach Forschungen an der Universität von Minnesota in Minneapolis können auf kristallinen Unterlagen – etwa auf Galliumarsenid – hochgeordnete C60-Filme aufwachsen: eine für Anwendungen in der Mikroelektronik sehr vielversprechende Eigenschaft. Ebenso bestechend regelmäßige Filme erhält man mit dem Supraleiter K3C60; dabei ist die Schnittstelle zwischen einem C60 und einem K3C60-Film offenbar stabil. Damit eignen sich solche Filme im Prinzip für mikroelektronische Bauteile mit komplizierter Schichtstruktur.

Eine weitere Voraussetzung für den Einsatz von Fullerenen als Halbleiter in Mikrochips sind Verfahren, daraus durch selektives Dotieren Filme vom n- und p-Typ herzustellen, die überschüssige Elektronen oder Elektronenfehlstellen („Löcher") als Ladungsträger enthalten. Möglicherweise muß zum Dotieren ein Atom in das Innere des Fulleren-Moleküls gebracht werden. Dazu kann man entweder den Käfig um das Atom herumwachsen lassen oder das Atom in den Käfig hineinschießen. Bei dem kleinen Helium war dieses rabiate Verfahren erfolgreich, und zumindest bei Wasserstoff und Lithium sollte es auch funktionieren.

Die Berichte über ungewöhnliche Eigenschaften von Buckminsterfullerit überschlagen sich geradezu. Als dieser Beitrag in Druck ging, erschien eine Mitteilung, wonach Fulleren-Komplexe in Abwesenheit von Metall Ferromagnetismus aufweisen – ein beispielloses Phänomen. Ferner meldeten britische Forscher von den Universitäten in Leicester, Southampton und Sussex die Herstellung makroskopischer Mengen von perfluorierten Buckybällen (C60F60). Die resultierenden „Teflonbälle" könnten die weltbesten Schmiermittel abgeben. Bislang ist nicht abzusehen, was die Fullerene noch alles zu bieten haben; aber nach ihrem furiosen Debüt wäre es schon überraschend, wenn sie nicht weiter für Aufsehen sorgen würden.

Sich wölbender molekularer Maschendraht

Die große Frage war allerdings nicht, warum die Fullerene so stabil sind, sondern warum sie sich so leicht in laserverdampftem Graphit bilden. Gegen Ende des Jahres 1985 stellten wir die Hypothese auf, daß die Fullerenbildung mit linearen Ketten beginnt. Während der Kohlenstoffdampf anfängt zu kondensieren, sollten diese Ketten lang genug werden, um sich zu großen, monozyklischen Hula-Hoop-Reifen schließen zu können. Mit fortschreitendem Wachstum würden die Reifen dann wieder aufbrechen und sich zu stabileren polyzyklischen Wabenstrukturen umlagern. In Graphit, der stabilsten bekannten Form des Kohlenstoffs, sind die Atome in unendlichen hexagonalen Schichten angeordnet. Daher spekulierten wir, daß die Cluster mit polyzyklischen Wabenstrukturen Teilen solcher Schichten ähnelten. Wir stellten sie uns wie Bruchstücke von Maschendraht für Hühnerställe vor.

Diese graphitartigen Plättchen hätten wie ein herausgeschnittenes Stück Drahtgeflecht viele lose Enden mit nicht abgesättigten Bindungen und wären deshalb chemisch sehr reaktiv – viel reaktiver als die kleinen Ketten, die nur zwei lose Enden haben. Man sollte sie deshalb auch nicht in großer Zahl im Cluster-Strahl erwarten, weil sie im Moment, da sie entstehen, schon mit anderen kleinen Kohlenstoff-Molekülen reagieren: Sie wachsen zu schnell, um faßbar zu sein. Dies erklärt unseres Erachtens auch, daß Übergangsformen zwischen den kurzen linearen Ketten und den ersten kleinen Fullerenen praktisch fehlen.

Chemiker sind gewohnt, sich graphitartige Plättchen als eben vorzustellen. Schließlich sind auch die Schichten einer idealen Graphitstruktur unbestreitbar planar – ebenso wie eine große Klasse stabiler aromatischer Kohlenwasserstoffe (wie Naphtalen und Anthracen). Die freischwebenden graphitartigen Plättchen in kondensierendem Kohlenstoffdampf haben oder finden jedoch keine Atome, welche die Bindungen an ihren losen Enden absättigen könnten. Deshalb besteht für sie auch kein Grund, partout eben zu bleiben. Vielmehr sollte sie das physikalische Streben nach einem möglichst niedrigen Energiezustand dazu veranlassen, wann immer dies geht, durch Zusammenrollen ihre losen Enden miteinander zu verbinden.

Dies gelingt, wie wir herausfanden, durch den Einbau von Fünfecken. Dazu müssen die graphitischen Plättchen nur ihre Bindungen am Rand entsprechend umordnen. Dann wölbt sich das Wabennetz, und mindestens zwei lose Enden können eine solide Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindung eingehen.

Wenn das so ist, warum bei einem Fünfeck haltmachen? Die Zahl der Fünfecke ist nur dadurch begrenzt, daß keine zwei von ihnen direkt aneinandergrenzen sollten, da diese Anordnung, wie erwähnt, ziemlich instabil ist. Wenn also beim Wachsen der graphitischen Schichten mit Maßen weitere Fünfecke eingebaut werden, wölbt sich das Wabennetz immer stärker, bis sich schließlich die gegenüberliegenden Kanten treffen und somit die perfekte Fußballstruktur entstanden ist. Auf diese Weise sollte es – so unsere Argumentation von 1985 – gar nicht so unwahrscheinlich sein, daß bei der spontanen Kondensation von Kohlenstoff Buckminsterfulleren entsteht.

Allerdings kann man nicht erwarten, daß sich alle graphitartigen Plättchen beim Wachsen zum Käfig schließen – sie haben lediglich eine gewisse Tendenz, dies zu tun. Angesichts unserer jahrelangen Mißerfolge bei der Herstellung von makroskopischen Fulleren-Mengen modifizierten wir unsere Vorstellungen dahingehend, daß die Cluster in der Praxis wohl zu schnell wachsen, als daß zufällige Abweichungen von der optimalen Form korrigiert werden könnten. So verfehlt die Wachstumsfront normalerweise die gegenüberliegende Kante und schießt über sie hinaus. Beim Weiterwachsen entsteht dann eine nautilusförmige Spiralstruktur.

Diese Überlegung schien so zwingend, daß wir meinten, solche nautilusförmigen Cluster müßten regelmäßig in rußenden Flammen entstehen und als Keimzellen für die Rußbildung wirken. In diesem Sinne wären Fullerene wie C60 und C70 denn doch nur die eher unwahrscheinlichen Endpunkte von Sackgassen in einem Prozeß, bei dem aus sich einrollenden und spiralförmig übereinanderwachsenden Graphitplättchen letztendlich Ruß entsteht.

Obwohl sich dies als nützliches Modell erwies, mit dessen Hilfe innerhalb weniger Jahre entdeckt wurde, daß C60 und die anderen Fullerene tatsächlich in nennenswerten Mengen in rußenden Flammen auftreten, führte es uns in gewisser Weise in die Irre. Daß die sich wölbenden Plättchen zu einer perfekten Kugel zusammenwachsen, braucht nämlich nicht immer so unwahrscheinlich zu sein. So wird zwar in einer Kerzenflamme, in der viel Wasserstoff umherschwirrt, der sich an lose Enden binden kann, das Sich-Wölben und -Schließen der graphitartigen Plättchen behindert. Bei der Kondensation von reinem Kohlenstoff jedoch sollte sich die Zeit verlängern lassen, in der die Wabennetze noch lose Enden haben. Wenn die Temperatur hoch genug ist, können dann Baufehler ausheilen und die Netze ihre gemäß der Fünfeck-Regel günstigste Form annehmen. Unter solchen Bedingungen ist also durchaus eine hohe Ausbeute an C60 möglich.

Darin besteht, wie wir glauben, das Erfolgsgeheimnis von Krätschmer und Huffman. Weil sie einen einfachen, widerstandsbeheizten Graphitstab benutzten, war dafür gesorgt, daß die Konzentration von kurzen linearen Kohlenstoffketten niedrig blieb und diese sich nur verhältnismäßig langsam an die graphitischen Plättchen anlagerten. Die kritische Rolle des Heliums bestand dabei darin, daß es die Plättchen daran hinderte, allzu schnell von dem Graphitstab wegzuwandern. Auf diese Weise blieben sie länger in der Nähe des Lichtbogens, wo es heiß genug war, daß sie sich optimal wölben und weiter zum Käfig schließen konnten.

Ein tragischer Fall von Kurzsichtigkeit

Eigentlich hätten wir diese Überlegungen 1985 bereits anstellen können; denn sie setzen nichts voraus, was wir damals nicht schon wußten, ja sie ergeben sich geradezu zwangsläufig aus dem vor sechs Jahren von uns vorgeschlagenen Wachstumsmodell. Doch die gelbe Phiole, schon zum Greifen nah, entzog sich uns, weil wir nicht über den eigenen Tellerrand hinaussahen. Wir waren so erpicht darauf. die Existenz der Fußballmoleküle zu beweisen, daß wir unserem Modell nicht mehr an Einsichten abverlangten, als zur einfachen Herstellung kleiner C.-Mengen erforderlich war. Hätten wir weitergedacht und alle logischen Konsequenzen in Betracht gezogen, hätten wir bemerken müssen, daß wir den Kohlenstoff zu schnell erwärmten und kühlten, als daß die Cluster in Ruhe wachsen und zu ihrer optimalen, stabilsten Struktur finden konnten.

Dann wäre die Lösung offenkundig gewesen: Die Apparatur als ganzes muß erwärmt werden, damit die Wolke aus laserverdampftem Kohlenstoff, wenn sie sich ausdehnt, heiß genug bleibt, daß die enthaltenen Cluster sich noch unilagern können. Und richtig: Als wir im November 1990 schließlich so verfuhren und die Graphitproben im Ofen auf 1200 Grad Celsius hielten, während wir einen schwachen Heliumstrom darüberleiteten, schlug sich augenblicklich ein gelbbrauner Film von C60 und C70 an den Wänden nieder. Wir fanden, was wir gesucht hatten – fünf Jahre zu spät.

Offenbar vermag also ein ziemlich einfaches Modell zu erklären, warum die Kohlenstoff-Moleküle dieses ungewöhnlichen neuen Typs sich so leicht bilden. Faszinierenderweise scheint C60 geradezu zwangsläufig immer dann zu entstehen, wenn der Kohlenstoff bei genügend hoher Temperatur hinreichend langsam kondensiert. Diese Erkenntnis kam etwas später als nötig. Aber wie auch immer: Jetzt sind wir klüger. und der eigentliche Spaß kann beginnen!

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  • Infos

Probing C60 Von Robert F. Curl und Richard E. Smalley in: Science, Band 242, Seiten 1017 bis 1022; 18. November 1988.

Space. Stars,C60 and Soot. Von H.Kroto in: Science, Band 242, Seiten 1139 bis 1145; 25. November 1988.

Great Balls of Carbon: The Story of Buckminsterfullerene. Von Richard E. Smalley in: The Sciences, Band 31, Heft 2, Seiten 22 bis 28; März/April 1991.

Structure of Single-Phase Supercon-ducting K3, C60. Von Peter W. Stephens, Laszlo Mihaly, Peter L. Lee, Robert L. Whetten, Shiou-Mei Huang, Richard Kaner, Frallois Diederich und Karoly Holczer in: Nature, Band 351, Nummer 6328, Seiten 632 bis 634; 20. Juni 1991.

Fullerenes C60 and 70 in Flames. Von Jack B. Howard, J. Thomas McKinnon, Yakov Makarovsky, Arthur L. Latleur und M. Elaine Johnson in: Nature, Band 352, Nummer 6331. Seiten 139 bis 141; 11. Juli 1991.

Endohedrale Clusterverbindungen: Einbau von Helium in C60 und C70 Fullerene durch Kollisionsexperimente. Von Thomas Weiske, Diethard K. Böh-me, Jan Hrusäk, Wolfgang Krätschmer und Helmut Schwarz in: Angewandte Chemie. Band 103, Heft 7, Seiten 898 bis 900: Juli 1991.

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