Tagebuch: Kosmologie in der Hitze Südafrikas (I)
Den Heidelberger Winter und die glatten Straßen habe ich nun hinter mir gelassen. Seit zwei Tagen herrschen tagsüber 25 Grad im Schatten, hinzu kommt ein starker Wind vom Meer. Und wenn ich vom Campus an den Hängen des Tafelbergs hinunter nach Kapstadt blicke, dann frage ich mich: Ist das nun Urlaub – oder was sucht ein theoretischer Physiker im südafrikanischen Sommer?
Mein Name ist Iain Brown, ich bin Kosmologe und arbeite an der Universität Heidelberg, seit ich am Institute of Cosmology and Gravitation im britischen Portsmouth promoviert habe. Nun aber bin ich für einige Wochen an der Universität von Kapstadt. Hier sein zu dürfen ist für mich durchaus ein Privileg: Immerhin wird die Kosmologiegruppe an der Fakultät für Mathematik und Angewandte Mathematik von George Ellis geleitet, einem der bekanntesten Forscher auf dem Gebiet der modernen Kosmologie. Unter anderem hat er mit Stephen Hawking ein spannendes und sehr empfehlenswertes Buch geschrieben: „The Large Scale Structure of Space-Time".
Überdies erlaubt die kovariante Fluiddynamik, allen in den Gleichungen auftretenden mathematischen Größen ein physikalisches Pendant zuzuordnen – eine Seltenheit auf diesem Forschungsgebiet. Meistens nämlich stößt man auf irgendwelche Größen, denen in der Natur nichts entspricht. Beispielsweise dann, wenn man so genannte Störungen berechnet, also Abweichungen von idealem und damit berechenbarem Verhalten. Dazu kommt es aufgrund der Komplexität im Universum, durch allzuviele Wechselwirkungen, unglücklicherweise sehr schnell.
Mathematisch unterscheiden lassen sich so genannte skalare, vektorielle und tensorielle Störungen. Interpretieren lassen sich aber nur erstere und letztere, nämlich als Krümmungen beziehungsweise als Gravitationswellen, die die Raumzeit kräuseln. Die vektoriellen Störungen entziehen sich jedoch unseren Versuchen, uns etwas Genaueres darunter vorzustellen. Man nennt sie "Wirbelquellen", aber das ist eher ein mathematischer Begriff, der letztlich aus Hilflosigkeit resultiert.
George Ellis war auch vielen anderen Gebieten aktiv – beispielsweise arbeitete er über das so genannte "Mittelungsproblem" in der Kosmologie, über das ich in den kommenden Beiträgen mehr berichten werde. Am berühmtesten ist er aber wohl für seinen neuen Zugang zur Kosmologie geworden, den er in den 1990ern etablierte.
Zwei Wege in die Kosmologie – auf einem davon ging George Ellis voran
Betrachtet man die moderne Kosmologie, so findet man zwei Zugangsweisen: Den so genannten "Metrik-Ansatz" hat der russische Kosmologe Evgeny Lifshitz 1946 vorgestellt. Dabei nimmt man an, dass das Universum eine sehr einfache Gestalt besitzt, dass es sich, genauer gesagt, komplett aus flachen Ebenen zusammensetzen lässt. Natürlich sind diese Ebenen vierdimensional, schließlich leben wir in ihnen und erfahren drei Raumdimensionen nebst einer Zeitdimension. Aber der Raum an sich ist flach.
Dieser erste Ansatz ist konzeptuell einfach, geht aber mit notorischen "Eich-Problemen" einher. Das ist eine elegante Weise um zu sagen, dass man ein Koordinatenproblem hat. Es ist, als ob Ihnen jemand einen Ball mit einem Gittermuster aus Breiten- und Längengraden gäbe und dazu eine Weltkarte. Wenn er Ihnen ferner sagt, dass Sie die Karte um den Ball wickeln sollen, dann können Sie das einigermaßen hinbekommen. Dabei käme zum Beispiel der Mount Everest auf einem bestimmten Punkt auf dem Gittermuster Ihrer Kugel zu liegen.
Das Problem: Wenn Sie den Ball drehen, kommt der Mount Everest über einem anderen Gitterpunkt zu liegen – er hätte dann neue Koordinaten. Die Formulierung dieser Situation ist also koordinatenabhängig, was schnell zu Problemen führt. Denn wenn man die Koordinaten verändert, dann ändert man – auch wenn ich das hier nicht anschaulicher erklären kann – wichtige in den Gleichungen auftauchende Größen wie beispielsweise Dichteschwankungen, Gravitationspotentiale und vieles mehr. Gerade die Schwankungen in unseren Modellen werden dadurch völlig beliebig. Mal sind sie da, mal nicht – was alles ganz und gar nicht der Realität entspricht und Physikern graue Haare beschert.
Um dieses bei Lifshitz' Ansatz auftretende Koordinatenproblem zu umgehen, veröffentlichte Ellis 1989 gemeinsam mit seinem Studenten Marco Bruni einen zweiten Ansatz, der auf jener kovarianten Fluiddynamik beruhte, die er ein Jahrzehnt zuvor entwickelt hatte. In diesem Ansatz wird die Kosmologie in Abhängigkeit von einer speziellen Flüssigkeit formuliert, die Physiker traditionellerweise mit der dunklen Materie identifizieren. Indem sie einen mathematischen Trick – das so genannte "Stewart-Walker-Lemma" – verwendeten, konnten Ellis und Co eine Kosmologie ohne die Koordinatenprobleme des Lifshitz-Ansatzes formulieren.
Zwischen Kapstadt und Portsmouth
Ich persönlich bin wegen des CAMB und der guten Verbindung dieser Universität zu Portsmouth hierher gekommen. Die Zusammenarbeit zwischen Portsmouth und Cape Town ist trotz der räumlichen Distanz sehr eng, und viele Leute hier kenne ich bereits aus Portsmouth. Die Internationale Gruppe, in der hier gearbeitet wird, hat einst Professor David Matravers aufgebaut, der Kapstadt in den 1990ern verließ, um nach Portsmouth zu gehen. In den folgenden Jahren sammelte er einige große Namen um sich: Roy Maartens zum Beispiel und Marco Bruni – Studenten von George Ellis – und Bruce Bassett, ein Student von Dennis Sciama, einem weiteren berühmten Vater der Kosmologie. Und die Gruppe wuchs und wurde bekannt, bis sie sich von der Mathefakultät in Portsmouth abspaltete und ihr eigenes Institut gründete, das Portsmouth Institute of Cosmology and Gravitation (ICG).
Ich war ursprünglich am ICG, um mit Robert Crittenden an magnetischen kosmologischen Problemen zu arbeiten. Vor etwa 18 Monaten stieß ich dann zu einem weiteren Projekt, dem auch Peter Dunsby angehört, der jetzt Leiter der Kosmologiegruppe ist und eng mit Ellis zusammenarbeitet. In diesem Projekt geht es um so genannte skalare und tensorielle Gravitationstheorien, auch "Scalar/Tensor Gravitation" genannt. Dies ist eine der einfachsten Modifikationen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Und erst jüngst wurde eine exakte Lösung für das Gleichungssystem entdeckt – eine Rarität in der Kosmologie.
Mein Job in Kapstadt: mehrmals Urknall und zurück
Unser Ziel wird es sein, die Gravitationswellen zu untersuchen – kleine Kräuselwellen in der Raumzeit –, die in dieser Theorie entstehen und den kosmischen Mikrowellenhintergrund beeinflussen. An dieser Stelle komme ich ins Spiel: Die anderen versorgen mich mit den nötigen Gleichungen und ich setze sie in den CAMB Code ein. Daraus erzeuge ich dann einen "CMB Sky", also den Mikrowellenhintergrund, so wie er sich aus den Gleichungen ergibt.
Das geht so: Man beginnt beim Urknall und setzt in die Gleichungen alles ein, was wir von unseren Beobachtungen über dunkle Energie, dunkler Materie und dem restlichen Universum wissen. Damit kann das Programm die Entwicklung des Universums errechnen. Ändern wir die Startkonfiguration, eine Art Urknallmuster, ein wenig, können wir dann in der Zeit vorwärts spulen und sehen, was passiert und wie sich beispielsweise frühe Gravitationswellen im heutigen Mikrowellenhintergrund abzeichnen würden.
Das klingt alles relativ einfach, aber wie Sante Carloni, einer meiner Mitarbeiter, zu sagen pflegt, scheint das Projekt verhext zu sein. Immer, wenn eine Schwierigkeit gelöst ist, tauchen zwei neue auf. Trotzdem sind wir gut dabei und lösen derzeit ein Problem nach dem anderen. Nächste Woche – dann dürfte ich etwa mitten im Urknall angelangt sein – melde ich mich wieder ...
Iain Brown
Mein Name ist Iain Brown, ich bin Kosmologe und arbeite an der Universität Heidelberg, seit ich am Institute of Cosmology and Gravitation im britischen Portsmouth promoviert habe. Nun aber bin ich für einige Wochen an der Universität von Kapstadt. Hier sein zu dürfen ist für mich durchaus ein Privileg: Immerhin wird die Kosmologiegruppe an der Fakultät für Mathematik und Angewandte Mathematik von George Ellis geleitet, einem der bekanntesten Forscher auf dem Gebiet der modernen Kosmologie. Unter anderem hat er mit Stephen Hawking ein spannendes und sehr empfehlenswertes Buch geschrieben: „The Large Scale Structure of Space-Time".
Aber vor allem hat George Ellis in den 1960er und 70er Jahren gemeinsam mit dem mittlerweile verstorbenen Jürgen Ehlers und mit Hawking die so genannte "kovariante Fluiddynamik" entwickelt. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen, ist dies eine Theorie, mit der man die Allgemeine Relativitätstheorie vom Standpunkt eines in einer Flüssigkeit mitbewegten Beobachters formulieren kann. Als solche ist sie eine zutiefst beobachtungsorientierte Herangehensweise an die Relativitätstheorie.
Überdies erlaubt die kovariante Fluiddynamik, allen in den Gleichungen auftretenden mathematischen Größen ein physikalisches Pendant zuzuordnen – eine Seltenheit auf diesem Forschungsgebiet. Meistens nämlich stößt man auf irgendwelche Größen, denen in der Natur nichts entspricht. Beispielsweise dann, wenn man so genannte Störungen berechnet, also Abweichungen von idealem und damit berechenbarem Verhalten. Dazu kommt es aufgrund der Komplexität im Universum, durch allzuviele Wechselwirkungen, unglücklicherweise sehr schnell.
Mathematisch unterscheiden lassen sich so genannte skalare, vektorielle und tensorielle Störungen. Interpretieren lassen sich aber nur erstere und letztere, nämlich als Krümmungen beziehungsweise als Gravitationswellen, die die Raumzeit kräuseln. Die vektoriellen Störungen entziehen sich jedoch unseren Versuchen, uns etwas Genaueres darunter vorzustellen. Man nennt sie "Wirbelquellen", aber das ist eher ein mathematischer Begriff, der letztlich aus Hilflosigkeit resultiert.
George Ellis war auch vielen anderen Gebieten aktiv – beispielsweise arbeitete er über das so genannte "Mittelungsproblem" in der Kosmologie, über das ich in den kommenden Beiträgen mehr berichten werde. Am berühmtesten ist er aber wohl für seinen neuen Zugang zur Kosmologie geworden, den er in den 1990ern etablierte.
Zwei Wege in die Kosmologie – auf einem davon ging George Ellis voran
Betrachtet man die moderne Kosmologie, so findet man zwei Zugangsweisen: Den so genannten "Metrik-Ansatz" hat der russische Kosmologe Evgeny Lifshitz 1946 vorgestellt. Dabei nimmt man an, dass das Universum eine sehr einfache Gestalt besitzt, dass es sich, genauer gesagt, komplett aus flachen Ebenen zusammensetzen lässt. Natürlich sind diese Ebenen vierdimensional, schließlich leben wir in ihnen und erfahren drei Raumdimensionen nebst einer Zeitdimension. Aber der Raum an sich ist flach.
Zu diesem einfachen Raum nimmt man in diesem Modell dann "Kräuselwellen" hinzu, kleine Wellenfronten, die die flachen Ebenen aufmischen. Damit modelliert man das Universum – das Beobachtungen zufolge scheinbar doch nicht so flach ist, wie das Modell es zunächst annimmt.
Dieser erste Ansatz ist konzeptuell einfach, geht aber mit notorischen "Eich-Problemen" einher. Das ist eine elegante Weise um zu sagen, dass man ein Koordinatenproblem hat. Es ist, als ob Ihnen jemand einen Ball mit einem Gittermuster aus Breiten- und Längengraden gäbe und dazu eine Weltkarte. Wenn er Ihnen ferner sagt, dass Sie die Karte um den Ball wickeln sollen, dann können Sie das einigermaßen hinbekommen. Dabei käme zum Beispiel der Mount Everest auf einem bestimmten Punkt auf dem Gittermuster Ihrer Kugel zu liegen.
Das Problem: Wenn Sie den Ball drehen, kommt der Mount Everest über einem anderen Gitterpunkt zu liegen – er hätte dann neue Koordinaten. Die Formulierung dieser Situation ist also koordinatenabhängig, was schnell zu Problemen führt. Denn wenn man die Koordinaten verändert, dann ändert man – auch wenn ich das hier nicht anschaulicher erklären kann – wichtige in den Gleichungen auftauchende Größen wie beispielsweise Dichteschwankungen, Gravitationspotentiale und vieles mehr. Gerade die Schwankungen in unseren Modellen werden dadurch völlig beliebig. Mal sind sie da, mal nicht – was alles ganz und gar nicht der Realität entspricht und Physikern graue Haare beschert.
Um dieses bei Lifshitz' Ansatz auftretende Koordinatenproblem zu umgehen, veröffentlichte Ellis 1989 gemeinsam mit seinem Studenten Marco Bruni einen zweiten Ansatz, der auf jener kovarianten Fluiddynamik beruhte, die er ein Jahrzehnt zuvor entwickelt hatte. In diesem Ansatz wird die Kosmologie in Abhängigkeit von einer speziellen Flüssigkeit formuliert, die Physiker traditionellerweise mit der dunklen Materie identifizieren. Indem sie einen mathematischen Trick – das so genannte "Stewart-Walker-Lemma" – verwendeten, konnten Ellis und Co eine Kosmologie ohne die Koordinatenprobleme des Lifshitz-Ansatzes formulieren.
Der Ansatz von Ellis und Bruni wurde von der Wissenschaftsgemeinde begeistert angenommen. Sie entwickelte ihn weiter und heute – auch wenn viele Kosmologen das gar nicht realisieren – wird er täglich verwendet. Der CAMB zum Beispiel (Code für Anisotropien im Mikrowellenhintergrund), der die Störungen in der kosmischen Hintergrundstrahlung berechenbar macht, ist in Ellis’ kovariantem Ansatz geschrieben. Sein Vorgänger, der so genannte CMBfast Code, war im Metrikansatz geschrieben und wurde – bezeichnenderweise – schon vor einer ganzen Weile, nämlich im Jahr 2001, zum letzten Mal erneuert ...
Zwischen Kapstadt und Portsmouth
Ich persönlich bin wegen des CAMB und der guten Verbindung dieser Universität zu Portsmouth hierher gekommen. Die Zusammenarbeit zwischen Portsmouth und Cape Town ist trotz der räumlichen Distanz sehr eng, und viele Leute hier kenne ich bereits aus Portsmouth. Die Internationale Gruppe, in der hier gearbeitet wird, hat einst Professor David Matravers aufgebaut, der Kapstadt in den 1990ern verließ, um nach Portsmouth zu gehen. In den folgenden Jahren sammelte er einige große Namen um sich: Roy Maartens zum Beispiel und Marco Bruni – Studenten von George Ellis – und Bruce Bassett, ein Student von Dennis Sciama, einem weiteren berühmten Vater der Kosmologie. Und die Gruppe wuchs und wurde bekannt, bis sie sich von der Mathefakultät in Portsmouth abspaltete und ihr eigenes Institut gründete, das Portsmouth Institute of Cosmology and Gravitation (ICG).
Ich war ursprünglich am ICG, um mit Robert Crittenden an magnetischen kosmologischen Problemen zu arbeiten. Vor etwa 18 Monaten stieß ich dann zu einem weiteren Projekt, dem auch Peter Dunsby angehört, der jetzt Leiter der Kosmologiegruppe ist und eng mit Ellis zusammenarbeitet. In diesem Projekt geht es um so genannte skalare und tensorielle Gravitationstheorien, auch "Scalar/Tensor Gravitation" genannt. Dies ist eine der einfachsten Modifikationen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Und erst jüngst wurde eine exakte Lösung für das Gleichungssystem entdeckt – eine Rarität in der Kosmologie.
Mein Job in Kapstadt: mehrmals Urknall und zurück
Unser Ziel wird es sein, die Gravitationswellen zu untersuchen – kleine Kräuselwellen in der Raumzeit –, die in dieser Theorie entstehen und den kosmischen Mikrowellenhintergrund beeinflussen. An dieser Stelle komme ich ins Spiel: Die anderen versorgen mich mit den nötigen Gleichungen und ich setze sie in den CAMB Code ein. Daraus erzeuge ich dann einen "CMB Sky", also den Mikrowellenhintergrund, so wie er sich aus den Gleichungen ergibt.
Das geht so: Man beginnt beim Urknall und setzt in die Gleichungen alles ein, was wir von unseren Beobachtungen über dunkle Energie, dunkler Materie und dem restlichen Universum wissen. Damit kann das Programm die Entwicklung des Universums errechnen. Ändern wir die Startkonfiguration, eine Art Urknallmuster, ein wenig, können wir dann in der Zeit vorwärts spulen und sehen, was passiert und wie sich beispielsweise frühe Gravitationswellen im heutigen Mikrowellenhintergrund abzeichnen würden.
Das klingt alles relativ einfach, aber wie Sante Carloni, einer meiner Mitarbeiter, zu sagen pflegt, scheint das Projekt verhext zu sein. Immer, wenn eine Schwierigkeit gelöst ist, tauchen zwei neue auf. Trotzdem sind wir gut dabei und lösen derzeit ein Problem nach dem anderen. Nächste Woche – dann dürfte ich etwa mitten im Urknall angelangt sein – melde ich mich wieder ...
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