Tagebuch: Kosmologie in Südafrika(II): Überhitzt
Gravitationstheoretiker Iain Brown berichtet für "Spektrum" online über seinen Forscheralltag in Kapstadt, wo erschwerte Bedingungen herrschen, der Südsternhimmel ihn jedoch für manches entschädigt.
Jetzt bin ich seit anderthalb Wochen in Kapstadt und habe mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen. 35 Grad am Tag stellen für mich winterlichen Europäer schon eine gewisse Belastung dar. Und dann habe ich vor zwei Tagen auch noch einen Computerabsturz erlebt. Zuerst dachte ich, dass der Urknall, den ich mit meinen Gleichungen untersuche, in Kombination mit der Hitze der südafrikanischen Tage einfach zu viel gewesen wäre für meinen Laptop.
Aber auch abgekühlt wollte er nicht mehr aufwachen – schwarzer Bildschirm bis heute. Hinfort mein neuer Code, meine neuesten Rechnungen und all meine Software. Höchst lästig für mich, denn jetzt werde ich meine Tage in einem der örtlichen Computerläden verbringen müssen, die hoffentlich meine Arbeit retten – und kann erst nächste Woche mehr von meiner Arbeit berichten.
Doch bewegender als mein wissenschaftlicher Fortschritt waren für mich in den vergangenen Tagen ohnehin die Erlebnisse mit Land und Leuten. Anderthalb Wochen haben mir einen ersten Einblick in das Leben in Kapstadt ermöglicht – und obwohl ich mit meinem Projektleiter Peter Dunsby über eine Postdoc-Stelle für mich an der Universität Kapstadt gesprochen habe, bin ich momentan nicht sicher, ob ich diese antreten würde.
Alltagsprobleme in Kapstadt
In einer Kindertagesstätte für HIV infizierte Kinder
Am meisten berührte es mich aber, eine gute Freundin in Khayelitsha zu besuchen, einem Randbezirk Kapstadts. Da ich kein Auto habe, musste ich mit dem klapprigen Zug zu ihr fahren. Immer noch besser als einen der winzigen Kleinbusse zu nehmen, die in den Hauptstraßen hin und her fahren, und deren Fahrer sich ab und zu hinauslehnt, pfeift und laut die Richtung des Kleinbusses ausruft und "5 Rand pro Meile!".
Nach diesem Besuch fuhr ich mit einem Kollegen, der mich begleitet hatte, weiter nach Waterfront, einem modernen Bezirk im Zentrum Kapstadts. Der Kontrast hätte nicht größer sein können.
Downtown Kapstadt und seine zwei Gesellschaften
Wie auch überall sonst sieht man hier Unmengen von Stacheldrahtzaun, oben auf jedem Gartenzaun und um jedes Haus. Dicke Sicherheitstore vor jeder Einfahrt, gespickt mit Alarmsystemen, die direkt mit Sicherheitsunternehmen verbunden sind. Als gestern ein Wackelkontakt im Alarmsystem eines weiteren Kollegen von mir auftrat und die Sirene fälschlich ausgelöst wurde, schickte die entsprechende Sicherheitsfirma sogleich eine Frau mit einer Pistole vorbei, die nach dem Rechten sehen wollte.
An einem anderen Abend des vergangenen Wochenendes kam ich gerade aus der Stadt zurück zum Gästehaus auf dem Campus. Vor mir auf dem Hügel, etwa drei Minuten entfernt, ging ein Weißer, der seine Einkaufstaschen trug. Aus einer Seitenstraße näherten sich ihm zwei dunkelhäutige Teenager, die Steine, Obstkerne und andere Dinge auf ihn warfen. Er ging an ihnen vorüber, aber sie folgten ihm den Hügel hinunter. Ich bog in eine Seitenstraße ab, um dem Konflikt zu entgehen. Es sind alles nur kleine Vorfälle, und vielleicht geschieht das so in jeder Stadt – aber gerade diese letzte Begebenheit ereignete sich auf dem Campus der Universität von Kapstadt, im Zentrum Rondeboschs, einem der sichersten Orte der Stadt.
Der Südsternhimmel begeistert in seiner Fremdartigkeit
Doch die Stadt hier ist nicht immer nur düster. Während der Woche beispielsweise ist der Campus mit Studenten angefüllt – 50/50 oder 60/40 schwarz/weiß, würde ich schätzen – fleißig Bücher lesende und lachende und schwatzende Studenten, die überall herumlaufen und auf dem Gras sitzen.
Und wenn man die Stadt für Augenblicke vergessen will, dann sind da auch noch die Nächte unter dem Südhimmel, die einen für alles entschädigen. Am beeindruckendsten ist Orion, der in der frühen Nacht gerade über dem Tafelberg hängt, wenn ich aus meinem Gästehaus blicke.
Iain Brown
Jetzt bin ich seit anderthalb Wochen in Kapstadt und habe mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen. 35 Grad am Tag stellen für mich winterlichen Europäer schon eine gewisse Belastung dar. Und dann habe ich vor zwei Tagen auch noch einen Computerabsturz erlebt. Zuerst dachte ich, dass der Urknall, den ich mit meinen Gleichungen untersuche, in Kombination mit der Hitze der südafrikanischen Tage einfach zu viel gewesen wäre für meinen Laptop.
Aber auch abgekühlt wollte er nicht mehr aufwachen – schwarzer Bildschirm bis heute. Hinfort mein neuer Code, meine neuesten Rechnungen und all meine Software. Höchst lästig für mich, denn jetzt werde ich meine Tage in einem der örtlichen Computerläden verbringen müssen, die hoffentlich meine Arbeit retten – und kann erst nächste Woche mehr von meiner Arbeit berichten.
Doch bewegender als mein wissenschaftlicher Fortschritt waren für mich in den vergangenen Tagen ohnehin die Erlebnisse mit Land und Leuten. Anderthalb Wochen haben mir einen ersten Einblick in das Leben in Kapstadt ermöglicht – und obwohl ich mit meinem Projektleiter Peter Dunsby über eine Postdoc-Stelle für mich an der Universität Kapstadt gesprochen habe, bin ich momentan nicht sicher, ob ich diese antreten würde.
Alltagsprobleme in Kapstadt
Man kann sicherlich eine Menge guter Dinge über Kapstadt sagen. Beispielsweise, dass die Mehrheit der Menschen hier offen und freundlich wirkt. Auch das Wetter ist "gut" – wenn man extreme Hitze am Tag mag und Nächte, in denen die Temperatur nie unter 20 Grad Celsius fällt. Aber dann gibt es doch viele alltägliche Probleme, die das Leben erschweren. Beispielsweise erzählten mir meine Mitarbeiter, dass es in Kapstadt keine Handyverträge gibt. Wer Internet oder einen Festnetzanschluss haben möchte, muss ein halbes Jahr darauf warten – und danach ist der Internetzugang immer mit Download-Beschränkungen belegt.
Auch sonst geht es hier langsam zu: Handwerker kommen erst drei Tage nachdem ein Schaden gemeldet wird – wenn überhaupt. Und allzu oft fühlt sich niemand zuständig. Gerade gestern rutschte der Frau eines Kollegen eine Rotweinflasche aus der Hand, als sie einen der völlig überfüllten Supermärkte verließ. Als sie einige Leute organisieren wollte, um die Scherben zu entfernen, meinten die Sicherheitsleute vor dem Laden, der Inhaber sei verantwortlich – dieser wiederum schimpfte, die Scherben lägen schon außerhalb des Ladens und somit nicht mehr in seinem Zuständigkeitsbereich. So blieben sie letztlich einfach liegen.
In einer Kindertagesstätte für HIV infizierte Kinder
Am meisten berührte es mich aber, eine gute Freundin in Khayelitsha zu besuchen, einem Randbezirk Kapstadts. Da ich kein Auto habe, musste ich mit dem klapprigen Zug zu ihr fahren. Immer noch besser als einen der winzigen Kleinbusse zu nehmen, die in den Hauptstraßen hin und her fahren, und deren Fahrer sich ab und zu hinauslehnt, pfeift und laut die Richtung des Kleinbusses ausruft und "5 Rand pro Meile!".
Nach einer Stunde unangenehm ruckelnder Fahrt, in der neben dem Zugfenster Berge von Müll, zerbrochenem Glas, Bauschutt vorbei gerast waren, erreichte ich meine Freundin an ihrem Arbeitsplatz, in einem Haus für HIV-infizierte Kinder. Ich war jetzt einmal dort – und möchte nicht dort hin zurückkehren müssen. Ein nicht enden wollender Dunst von Müll liegt über diesem Ort – hier gibt es keine Kanalisation, was in Anbetracht der noch immer gravierenden Cholera-Probleme in Südafrika für die Kinder zusätzliches Elend bedeutet.
Nach diesem Besuch fuhr ich mit einem Kollegen, der mich begleitet hatte, weiter nach Waterfront, einem modernen Bezirk im Zentrum Kapstadts. Der Kontrast hätte nicht größer sein können.
Dort gibt es zwei riesige Kaufhäuser, teure Geschäfte, eine Unmenge von Restaurants – darunter auch ein "Paulaner Bräuhaus". In den meisten Restaurants kostet ein Essen etwa 150 Rands – also 12 bis 13 Euro – ein extrem hoher Preis für diese Stadt, wie man mir sagte.
Downtown Kapstadt und seine zwei Gesellschaften
Wie auch überall sonst sieht man hier Unmengen von Stacheldrahtzaun, oben auf jedem Gartenzaun und um jedes Haus. Dicke Sicherheitstore vor jeder Einfahrt, gespickt mit Alarmsystemen, die direkt mit Sicherheitsunternehmen verbunden sind. Als gestern ein Wackelkontakt im Alarmsystem eines weiteren Kollegen von mir auftrat und die Sirene fälschlich ausgelöst wurde, schickte die entsprechende Sicherheitsfirma sogleich eine Frau mit einer Pistole vorbei, die nach dem Rechten sehen wollte.
Zuletzt muss ich noch anmerken, wie ungewohnt und schmerzlich ich Kapstadt doch als in zwei Gesellschaften geteilt empfunden habe. Es sind zwei kleine Anekdoten – die mir aber doch recht bedeutsam erscheinen. Letzte Woche beispielsweise waren ein Kollege von mir und ich in einer Bar, in der wir Pool spielten. Wir waren die einzigen hellhäutigen Besucher der Bar. Als es spät wurde, forderte der Barbesitzer nach und nach alle Gäste zum Zahlen und Gehen auf – bis auf uns. Er und seine Mitarbeiter warteten eine volle halbe Stunde länger, bis wir unser Spiel beendet hatten und zahlten. Möglicherweise wollten sie uns – den weißen und scheinbar reichen Männern – nicht vorschreiben, dass wir uns beeilen sollten. Ich jedenfalls kann mir dieses Verhalten nicht anders erklären.
An einem anderen Abend des vergangenen Wochenendes kam ich gerade aus der Stadt zurück zum Gästehaus auf dem Campus. Vor mir auf dem Hügel, etwa drei Minuten entfernt, ging ein Weißer, der seine Einkaufstaschen trug. Aus einer Seitenstraße näherten sich ihm zwei dunkelhäutige Teenager, die Steine, Obstkerne und andere Dinge auf ihn warfen. Er ging an ihnen vorüber, aber sie folgten ihm den Hügel hinunter. Ich bog in eine Seitenstraße ab, um dem Konflikt zu entgehen. Es sind alles nur kleine Vorfälle, und vielleicht geschieht das so in jeder Stadt – aber gerade diese letzte Begebenheit ereignete sich auf dem Campus der Universität von Kapstadt, im Zentrum Rondeboschs, einem der sichersten Orte der Stadt.
Der Südsternhimmel begeistert in seiner Fremdartigkeit
Doch die Stadt hier ist nicht immer nur düster. Während der Woche beispielsweise ist der Campus mit Studenten angefüllt – 50/50 oder 60/40 schwarz/weiß, würde ich schätzen – fleißig Bücher lesende und lachende und schwatzende Studenten, die überall herumlaufen und auf dem Gras sitzen.
Und wenn man die Stadt für Augenblicke vergessen will, dann sind da auch noch die Nächte unter dem Südhimmel, die einen für alles entschädigen. Am beeindruckendsten ist Orion, der in der frühen Nacht gerade über dem Tafelberg hängt, wenn ich aus meinem Gästehaus blicke.
Im Grunde sieht Orion etwas betrunken aus, da er fast auf dem Kopf steht. Und Sirius steht sehr hoch am Himmel – ein ziemlicher Schock für jemanden wie mich, der in der englischen Landschaft aufgewachsen ist, wo Sirius knapp über dem Horizont steht. Die Konstellationen hier sind ganz andere: Diese Stadt wird nie den Nordstern sehen, nie den Großen Wagen oder den Drachen. Sehr verwirrend und doch schön in seiner Fremdartigkeit.
Iain Brown
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