Verzückung: Gibt es Liebe auf den ersten Blick?
»Unsere Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde, und schon war es um mich geschehen.« So erzählt mancher von der ersten Begegnung mit dem Partner. Doch kann man jemandem verfallen, den man gar nicht kennt? Und ist diese initiale Verzückung bereits Liebe?
Wenn wir uns verlieben und eine starke emotionale Bindung zu einem anderen Menschen eingehen, verändern sich neurochemische Abläufe im Gehirn. Davon betroffen sind auch solche Hirnstrukturen, die sensibel auf die Botenstoffe Oxytozin und Dopamin reagieren. Oxytozin, oft als »Bindungshormon« bezeichnet, ist an einer Reihe physiologischer Prozesse beteiligt, etwa dem Geburtsvorgang und dem Milcheinschuss bei stillenden Müttern. Es beeinflusst zudem unser Bindungsverhalten, indem es das Lustempfinden erhöht und Stress mindert. Dopamin hingegen steigert Antrieb und Motivation.
Beim Verlieben ändert sich die Intensität jener Hirnsignale, die durch Oxytozin und Dopamin ausgelöst werden. Insofern erregt der Liebesrausch dieselben neuronalen Belohnungszentren wie zahlreiche Drogen. Studien mittels bildgebender Verfahren zeigten, dass dopaminerge Hirnregionen beim Betrachten des geliebten Partners vermehrt aktiv sind.
Der positive Eindruck, den das attraktive Gegenüber auf uns macht, lässt uns diese Person idealisieren
Bei der Liebe auf den ersten Blick steht mangels tiefer gehender Information die körperliche Anziehung im Vordergrund. Wie rasch die beschriebenen neurochemischen Veränderungen auftreten, ist allerdings weitgehend unklar. Die meisten Untersuchungen konzentrieren sich auf Probanden, die bereits in festen Händen sind. Damit sich die Bindungsmuster im Gehirn stabilisieren, bedarf es vieler gemeinsamer Erfahrungen und inniger Momente. Erst dann kann man von Liebe sprechen, wie wir den Begriff typischerweise verwenden.
Es muss freilich einen Faktor geben, der solche Vorgänge überhaupt anstößt – und das kann durchaus ein tiefer Blick in die Augen sein. Studien zeigen, dass wir ein Gesicht als attraktiver bewerten, wenn wir direkten Blickkontakt zum Gegenüber haben. Dieser aktiviert sowohl für unser Gefühlsleben zuständige Areale wie auch die Belohnungszentren im Gehirn. Das allein genügt zwar meist nicht, um eine überdauernde Liebe hervorzurufen, doch das dabei zu verzeichnende Muster der Hirnaktivierung ist ebenfalls bei Langzeitverliebten zu beobachten.
Dass jener Auslöser von einer starken körperlichen Anziehung begleitet wird, ergab 2017 eine Arbeit von Forschern der Universität Groningen. Der positive Eindruck, den das attraktive Gegenüber bei uns hinterlässt, führt dazu, dass wir die betreffende Person idealisieren: Wir schreiben ihr mehr positive Eigenschaften zu, als uns bekannt sind. Vermutlich ist diese Neigung zentral für das Verlieben. Würde die Liebe nur auf Fakten basieren, hätte sie kaum eine so starke Wirkung. Was wir als Liebe auf den ersten Blick bezeichnen, ist also eine körperliche Anziehung, die unsere Bereitschaft steigert, eine Beziehung einzugehen. Damit dies in anhaltende Zuneigung mündet, muss man einander kennen lernen. Erst wenn die Gefühle Bestand haben, nachdem der erste Eindruck einem realistischeren Bild vom anderen gewichen ist, kann man von Liebe sprechen.
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