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Ernährung: Ist ein wenig Alkohol gesund?

Ein Drink am Tag soll das Leben verlängern, versprechen Studien - und Wein und Bier glänzen mit wertvollen Pflanzenstoffen mit angeblichen positiven Effekten auf Kreislauf, Herz und Hirn. Was ist dran am abendlichen Wellness-Schoppen?
Zwei ältere Frauen trinken Rotwein

Kleine Mengen Alkohol sind nicht nur ungefährlich, sie sollen sogar vor bestimmten Krankheiten schützen. Das jedenfalls besagt eine ganze Reihe Studien, nach denen die Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht etwa bei ganz abstinenten Menschen am niedrigsten ist – sondern bei jenen, die etwa ein Glas eines alkoholischen Getränks pro Tag zu sich nehmen. Allerdings warnen Fachleute davor, solche Ergebnisse als Freibrief zu werten: "Es ist unbestritten, dass Alkohol ein Gift ist, das die Entstehung vieler anderer Krankheiten wie etwa Krebs fördert", erklärt zum Beispiel Sabine Kulling vom Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel in Karlsruhe. "Hier gilt: je mehr Alkohol, desto höher das Risiko!"

Selbst an der begrenzten Schutzwirkung des Alkoholkonsums mehren sich seit einiger Zeit die Zweifel – Analysen der Studienlage bescheinigten den meisten Untersuchungen mit diesem Befund mangelnde Qualität. So seien Abstinenzler keineswegs eine mit moderaten Trinkern vergleichbare Gruppe, sondern überdurchschnittlich häufig gesundheitlich vorbelastet. Dazu trügen nicht zuletzt trockene Alkoholiker bei, berichten Fachleute.

Das bestätigt auch Heiner Boeing vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam, der an der Ernährungsstudie European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC) mit etwa 380 000 Teilnehmern beteiligt ist. "Wir können in unserer EPIC-Studie gut erkennen, dass speziell die ehemaligen Trinker für das erhöhte Risiko in der Abstinenzgruppe verantwortlich sind." Zusätzlich sieht er diverse soziale Faktoren am Werk, die bei moderaten Trinkern einen guten Gesundheitszustand begünstigen – ohne dass die alkoholischen Getränke selbst etwas damit zu tun haben. "Diejenigen, die es schaffen, trotz der Suchtgefahr über Jahrzehnte wirklich nur ein Glas Wein pro Tag zu trinken, haben sicherlich ein Umfeld, das auch generell der Gesundheit förderlich ist."

Dubiose Wunderstoffe

Fragwürdig sind zudem die vermeintlich wohltuenden Effekte, die von verschiedenen Inhaltsstoffen der Getränke ausgehen sollen. Am bekanntesten ist sicher das berühmt-berüchtigte Resveratrol, ein antibakterielles Polyphenol, das auch in Rotwein enthalten ist. Experimente haben Hinweise auf einige biochemische Effekte ergeben, die in Zusammenhang mit menschlichen Erkrankungen wie Diabetes oder Alzheimer stehen könnten. Aber auch anderen Pflanzenstoffen widerfährt Ähnliches – Agavenextrakt verändert angeblich den Knochenstoffwechsel bei Mäuseweibchen ohne Uterus, was als Indiz dafür herhalten muss, dass Tequila gegen Osteoporose hilft.

Derartige Schlussfolgerungen lehnt Sabine Kulling ab. Moderater Alkoholkonsum habe keine derartigen positiven Effekte, daran änderten auch ein paar sekundäre Pflanzenstoffe nichts – schon gar nicht in den enthaltenen Mengen: "Gerade in Alkoholika sind die Konzentrationen an diesen Substanzen ja nicht gerade hoch." Nach Ansicht der Forscherin überwiegen die negativen Effekte und Risiken eventuelle positive Wirkungen bei Weitem – selbst bei moderaten Mengen alkoholischer Getränke sei ein sehr verantwortungsvoller Umgang deswegen unverzichtbar. Das sieht auch Heiner Boeing so: "Natürlich soll jeder mit sich selbst ausmachen, wie er mit Alkohol umgeht. Insgesamt muss man aber sagen, Alkohol ist nicht gesund und keinesfalls notwendiger Teil einer ausgewogenen Ernährung."

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