Popeln: Ist es gefährlich, in der Nase zu bohren?
Beobachtet man kleine Kinder, scheint es eine ganz natürliche Angewohnheit zu sein, in der Nase zu bohren. Sie entdecken schon früh und ohne, dass man es ihnen beibringen müsste, wie gut der Zeigefinger ins Nasenloch passt. Dort gibt es viel zu erkunden. Gleich hinter dem Nasenloch liegt der Nasenvorhof. Die sich daran anschließende Nasenhöhle ist eine ziemlich feuchte Angelegenheit, da sie vollständig mit Schleimhaut ausgekleidet ist. Die Nasenschleimhaut übernimmt viele wichtige Funktionen. Sie erwärmt die Atemluft auf körpergerechte 32 bis 34 Grad Celsius. Der von ihr gebildete Schleim befeuchtet die eingeatmete Luft und fängt zugleich Schmutz, Staub und andere Partikel ein, bevor diese in die empfindliche Lunge gelangen können. Bewegliche, haarähnliche Fortsätze auf der Nasenschleimhaut, Zilien oder auch Flimmerhärchen genannt, sorgen dafür, dass der Schleim in Richtung Rachen befördert wird.
Trocknet das Sekret aus, können die Flimmerhärchen es nicht mehr transportieren. Ein Popel entsteht. Verursacht wird der eingetrocknete Nasenschleim sowohl von Körperfunktionen wie dem wechselseitigen An- und Abschwellen der Nasenschleimhaut in den beiden Nasenkammern als auch von Umwelteinflüssen wie zum Beispiel trockener Heizungsluft. Unterm Strich gilt: Je näher der Schleim sich an der Nasenöffnung befindet, desto wahrscheinlicher ist es, dass er austrocknet und sich festsetzt.
Ob zähflüssig oder richtig fest: Eingetrockneter Nasenschleim kann ein Fremdkörpergefühl verursachen, ein Jucken auslösen, die Nasenatmung erschweren oder einfach gewaltig stören. Und schon ist er da: der Impuls, den Finger in die Nase zu stecken, um sich des Störenfrieds zu entledigen. Aber was genau macht das Nasenbohren eigentlich so unwiderstehlich?
Wider das gute Benehmen
Wer auf den Reiz des Verbotenen tippt, liegt nicht zwingend richtig. Warum das Nasenpopeln derart verführerisch ist, lässt sich nämlich auch folgendermaßen erklären. Die Bereiche der Großhirnrinde, die dem Empfinden von Hand und Gesicht zugeordnet werden, liegen ziemlich nah beieinander. Diese Nähe erklärt möglicherweise, warum es nicht nur so beruhigend ist, das eigene Gesicht zu berühren, sondern eben auch, den Finger in die Nase zu stecken. Doch bloß, weil sich das Nasenbohren befriedigend anfühlt, ist es für andere nicht unbedingt ein angenehmer Anblick. Entsprechend scheint es nicht nur hier zu Lande, sondern in vielen Kulturen weltweit verpönt zu sein.
Wer es dennoch tut, ist zwar nicht in guter, dafür aber in zahlreicher Gesellschaft. In einer Studie, veröffentlicht Mitte der 1990er Jahre im »Journal of Clinical Psychology«, gestanden 91 Prozent der Befragten, regelmäßig in der Nase zu bohren. Angeblich landet der Finger im Schnitt sogar viermal pro Tag in der Nase. Zugegeben, nur wenige wissenschaftliche Studien haben sich bis heute des Phänomens angenommen. Die meisten davon beziehen sich auf psychologische Umfragen und kommen zu dem Schluss, dass Nasenbohren sehr verbreitet ist – wobei sich die meisten Menschen schämen, das offen zuzugeben.
Nasenpopeln ist allerdings keine vornehmliche Eigenart des Menschen. Mindestens elf andere Primatenarten tun es ihm gleich, darunter Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans. Während Menschen meist heimlich und höchstens in der eigenen Nase popeln, stecken Weißschulter-Kapuzineraffen auch mal anderen Artgenossen den Finger in die Nase – möglicherweise, so vermutet man, um soziale Bindungen aufzubauen. Im Jahr 2022 beschrieben Forschende der Universität Bern sehr detailreich, wie Aye-Ayes, eine Primatenart aus der Gruppe der Lemuren, in der Nase bohren. Sie verglichen deren Verhalten anschließend mit bereits als nasenbohrend bekannten Primatenarten. Laut Studie eint sie alle eine besonders ausgeprägte Fingerfertigkeit sowie die teilweise beobachtete Vorliebe dafür, die Popel anschließend zu verzehren.
Da es zum Nasenbohren also eine gewisse Fingerfertigkeit braucht, könnte es sich um ein Phänomen handeln, das ausschließlich bei Menschen und eng mit uns verwandten Arten auftritt. Aber wozu ist es gut? Bislang kann die Wissenschaft lediglich darüber spekulieren, ob das Nasenbohren nur dazu dient, die Nase von störenden Schleimansammlungen zu befreien, oder auch andere wichtige Funktionen übernimmt.
In der englischsprachigen Literatur hat sich Rhinotillexis als Fachbegriff fürs Nasenbohren durchgesetzt, im Deutschen gibt es dagegen noch keinen speziellen Ausdruck dafür. Anders sieht es mit der wissenschaftlichen Bezeichnung für zwanghaftes Nasenbohren aus, das wird Rhinotillexomanie genannt. Und dann gibt es noch die Mukophagie. Das bedeutet so viel wie »Schleimfressen« und ist der fachlich korrekte Begriff dafür, Popel zu essen. Denn selbst, wenn es kaum einer zugibt: Nicht nur Kinder verspeisen die kleinen Schleimkügelchen. Doch ist der Popelkonsum gefährlich?
Die Risiken der Mukophagie
Den körpereigenen Schleim zu verspeisen, ist an sich nicht besonders risikobehaftet. Mund und Nase sind ohnehin miteinander verbunden, insofern gelangt ständig Nasensekret in den Rachen und wird unbemerkt heruntergeschluckt. Der auf diese Weise verzehrte Schleim unterscheidet sich bloß in seiner Konsistenz vom Popel – Ersterer ist eher flüssig als fest und besteht vor allem aus Wasser. Trocknet das Nasensekret aus, bleiben seine übrigen Bestandteile als Popel zurück: Proteine, Salze, Antikörper sowie Spuren von Enzymen und Lipiden. Möglicherweise enthaltene Viren oder Bakterien machen in der Regel nicht krank, weil spätestens die Magensäure die Krankheitserreger eliminiert – falls das der Nasenschleim, der ja Antikörper und Enzyme enthält, nicht bereits erledigt hat.
Einige Forschende vermuten, Popelessen wirke wie eine Art Schluckimpfung und trainiere das Immunsystem. Wissenschaftliche Belege für diese Annahme fehlen allerdings. Auch dass Popel zur Kariesprophylaxe dienen könnten, beruht nicht auf Fakten, sondern einer Zeitungsente – nach deren Erscheinen die Autorinnen der falsch zitierten Studie dem irreführenden Medienbericht lautstark widersprachen.
Bevor man sich den Nasenschleim in den Mund steckt, sollte man sich eher fragen, was einem vorher durch die Nase gegangen sein könnte. Denn im Popel können Schadstoffpartikel aus der Umwelt gebunden sein. Etwa Blei, das manchmal in Hausstaub und Gartenerde vorkommt. Gefährlich kann das vor allem für Kinder werden, die das Schwermetall über den Verdauungstrakt leichter aufnehmen als Erwachsene.
Deutlich größeres Gefahrenpotenzial als der Popel selbst – wenn er nicht gerade mit Umweltschadstoffen belastetet ist – bergen schmutzige Finger und Nägel. Auch wenn die Nasenhöhle von etlichen verschiedenen Mikroorganismen besiedelt ist, kann dieses Mikrobiom durch eingebrachte Keime aus dem Gleichgewicht geraten und damit zu Infektionen und Krankheiten führen. Üblicherweise helfen unsere Nasenmikroben jedoch dabei, Eindringlinge abzuwehren. Gesunde Menschen mit einem stabilen Immunsystem müssen daher in aller Regel nichts Schlimmeres befürchten. Berichte, dass Nasenbohren Hirnhautentzündungen oder gar Alzheimer auslösen könnte, beruhen entweder auf Einzelfällen oder sind als spekulativ zu betrachten. Vor und nach dem Nasenbohren sollte man sich dennoch besser die Hände waschen.
Wer sehr häufig, ausdauernd oder grob in der Nase bohrt, kann allerdings tatsächlich ernsthafte Probleme provozieren: Nasenbluten etwa. Meist stammt die Blutung aus einem Geflecht von besonders nah an der Oberfläche liegenden Gefäßen am Ende der vorderen Nasenscheidewand, dem so genannten Locus Kiesselbachi. Aber auch Krusten, die sich infolge von sehr trockenen Schleimhäuten oder mechanischen Verletzungen bilden, können durch Bohren aufbrechen und bluten. Im schlimmsten Fall verformt sich bei intensiver Krafteinwirkung die Nasenscheidewand oder es entstehen sogar Löcher und Abszesse. Immerhin sollte Popeln – egal wie ausgiebig es betrieben wird – den Geruchssinn nicht beeinträchtigen, da der Teil der Nase, in dem sich die Geruchsnerven befinden, zu weit oben liegt, als dass man ihn mit den Fingern erreichen könnte.
Wem Sicherheit vor Popeln geht, dem sei die Verwendung von speziellen Nasensalben, befeuchtenden Sprays oder Nasenölen empfohlen. Bei regelmäßiger Anwendung können damit selbst sehr trockene Nasen zur popelfreien Zone werden. Sonst muss – in unbeobachteten Momenten – eben doch der Finger ran.
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