Ist unsere Orientierung von Hormonen gesteuert?
Fragt man eine Frau nach dem Weg, kann sich ihre Beschreibung von der eines Mannes erheblich unterscheiden. Denn während sich Männer auf Himmelsrichtungen und Entfernungen konzentrieren, orientieren sich Frauen eher an markanten Punkten – zum Beispiel an Geschäften oder an der Farbe eines Hauses. Catherine Jones und Susan Healy von der University of Edinburgh fanden heraus, was einer der Gründe für diesen kleinen Unterschied sein könnte: Frauen haben demnach ein objektbezogenes Gedächtnis, Männer dagegen speichern sowohl optische Hinweise als auch räumliche Zusammenhänge – ohne dabei eine der beiden Strategien zu bevorzugen.
Die Fähigkeit, räumliche Probleme zu lösen, zählt wahrscheinlich zu den größten kognitiven Unterschieden zwischen den Geschlechtern: Wenn auf der Landkarte die Straße rechts abbiegt, muss man links fahren – vorausgesetzt man ist gerade auf dem Weg in Richtung Süden. Das zu erkennen, liegt nicht jeder Frau und führte schon zu manchem Ehestreit auf der Fahrt in den Urlaub. Doch nicht nur sich am Weg und auf Landkarten zu orientieren, sondern auch Entfernungen einzuschätzen und sich in einem Labyrinth zurechtzufinden – all das sind Fähigkeiten, bei denen Männer in bisherigen Test Frauen im Durchschnitt klar überlegen waren.
Besonders deutlich tritt diese Diskrepanz zu Tage, wenn es darum geht, sich die Rotation eines Objekts vorzustellen. Während Männer meist mit Leichtigkeit einen dreidimensionalen Gegenstand vor ihrem geistigen Auge drehen, haben Frauen damit Schwierigkeiten – zumindest viele. Denn Psychologen um Michael Peters von der University of Guelph in Kanada fanden heraus, dass die Fähigkeit zur mentalen Rotation bei Studenten der Naturwissenschaften besser ausgeprägt ist als bei Studierenden der Geisteswissenschaften. So kann es schon mal passieren, dass eine Physikstudentin im Test besser abschneidet als ein Philosophiestudent.
Doch was führt dazu, dass sich Frauen anscheinend schlechter als Männer orientieren können? Es sind nicht nur das soziale Umfeld und die Physiologie des Gehirns, die geschlechtsspezifische Unterschiede in den räumlichen Fähigkeiten verursachen, meint Doreen Kimura von der Simon Fraser University in Burnaby. Sie zeigte, dass Testosteron die räumliche Wahrnehmung erheblich beeinflusst. Frauen mit besonders viel männlichem Sexualhormon erbrachten deutlich bessere Leistungen bei räumlichen Aufgaben als ihre Geschlechtsgenossinnen mit weniger Testosteron. Bei Männern verhielt es sich genau umgekehrt: je weniger Testosteron, desto bessere Leistungen. Kimura geht davon aus, dass das Optimum des Testosteronspiegels bei Männern für die räumliche Wahrnehmung bei niedrigen Konzentrationen liegt. Frauen mit viel Testosteron dagegen sind näher an ihrem Optimum als diejenigen mit weniger Hormon.
Dass Testosteron die räumliche Wahrnehmung von Frauen auch zyklisch beeinflusst, zeigten Forscher um Markus Hausmann von der Durham University in Großbritannien: Während der Menstruation können sich Frauen besser orientieren. In dieser Zeit liegt der Spiegel des männlichen Sexualhormons besonders hoch – im Gegensatz zum Progesteron, einem weiblichen Geschlechtshormon. Das sorgt dafür, dass das Gehirn vor allem nach dem Eisprung sehr "weiblich" arbeitet – und Frauen mit einer schlechteren Orientierung kämpfen.
Auch wenn Frauen ein viel schlechteres Gedächtnis für räumliche Anordnungen als Männer haben, sind sie ganz klar im Vorteil, wenn es darum geht, sich in geschlossenen Räumen zu orientieren: Während sie sich gänzlich auf die wichtigen optischen Informationen konzentrieren, teilen Männer ihre Aufmerksamkeit zwischen wesentlichen und unwesentlichen Informationen auf. Frauen haben also einen viel besseren Blick für die Gegenstände in einem Raum. Das ist übrigens auch der Grund, weshalb sie sich viel besser als ihr männliches Pendant daran erinnern, wohin sie ihre Sachen gelegt haben.
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