Stoffwechsel: Kann man sich betrunken essen?
Die Frage, ob man sich betrunken essen könnte, erinnert unweigerlich an den Filmklassiker »Die lustige Welt der Tiere«: Er führte schon in den 1970er Jahren Affe & Co vor, die sich nach dem Genuss von vergorenen Früchten des Marula-Baums in der afrikanischen Savanne ziemlich, nun ja, benebelt verhalten. Mitgespielt hatten torkelnde Elefanten, wankende Giraffen und eine Raupe mit Schluckauf. Aber: Zwar ist der Streifen damals als bester Dokumentarfilm mit dem Golden Globe ausgezeichnet worden – auf ganz natürliche Weise besoffene Wüstenbewohner zeigte er allerdings nicht wirklich. Das liegt schon daran, dass der Alkoholgehalt einer frisch vom Baum gepflückten Marula-Frucht verschwindend gering ist. In Fallobst, das drei bis vier Tage gärt, steigt er immerhin auf etwa drei Prozent.
Ein Elefant müsste für einen Schwips trotzdem etwa das 400-Fache seiner üblichen Nahrungsmenge an Marula-Früchten verdrücken und dabei gleichzeitig auf Wasser verzichten. Forscher erklären die beobachteten Rauschzustände mit giftigen Käferlarven, die die Dickhäuter mit der Rinde der Marula-Bäume fressen. Die Elefanten sind also high, nicht blau. Aber warum wanken ihre Kollegen, die nicht in die Nähe der Baumrinde kommen?
Nicht nur die Dosis ...
Ob in der Marula-Frucht, dem Apfel oder der Banane – jedes reife Obst kann Alkohol enthalten. Ethanol, die wissenschaftlich korrekte Bezeichnung für den umgangssprachlich gemeinten Alkohol ist platt gesagt vergorener Zucker. Reife Früchte enthalten Zucker, aber auch Hefe. Hefezellen, die zum Beispiel über kleine Risse in der Schale in das Fruchtinnere gelangen, bauen unter Sauerstoffmangel Zucker zu Alkohol ab. Je mehr Zucker in der Frucht und je mehr Zeit für dessen Umwandlung, desto größer deren Alkoholgehalt.
Sehr zuckerhaltiges Obst ist die Banane – sie wird damit zum Promilleteufel unter den Nahrungsmitteln mit natürlichem Alkoholgehalt. Selten übersteigt er in Früchten, Fruchtsäften und Brot 0,3 Prozent, in reifen Bananen stecken allerdings etwa 0,6 Volumenprozent Alkohol. Fünf reife mittelgroße Bananen enthalten so viel Alkohol wie ein kleines Bier: zehn Gramm Ethanol. Ein Mann mit durchschnittlichem Körpergewicht müsste rund 20 Bananen essen, um fahruntüchtig zu werden. Kurzum: Selbst der Alkoholgehalt von sehr reifem Obst ist normalerweise unbedenklich – und sich einen (un)gesunden Rausch anzuessen somit mindestens sehr anstrengend.
Das gilt auch für Japaner, Vietnamesen oder Chinesen, die es allerdings zumindest ein wenig leichter hätten: Sie alle vertragen im Mittel weniger Alkohol als der europäische Durchschnittsmann. Schuld sind unter anderem bestimmte, weniger effektiv arbeitenden Genvarianten des Alkohol abbauenden Enzyms Alkoholdehydrogenase. Es zerlegt Alkohol vor allem in der Leber, in geringen Mengen aber auch in der Magenschleimbaut – also bevor das Gift ins Blut gelangen und Wirkung entfalten kann. Weniger effektiv arbeitet das Enzym übrigens oft auch bei Frauen.
... auch der Körper macht das Gift
Abgesehen von der Aktivität ist die Menge des Enzyms entscheidend. Stare, Amseln oder Wacholderdrosseln besitzen in Relation zur Masse 14-mal so viel Alkoholdehydrogenase wie ein Mensch. Weil diese Vogelarten enzymatisch optimal darauf eingestellt sind, bleibt der Verzehr von Weißdorn- und Rosenfrüchten mit bis zu fünf Prozent Volumenalkohol ohne Folgen. Hätte eine Amsel das Gewicht eines Menschen, könnte sie alle acht Minuten eine Flasche Wein trinken, ohne betrunken zu werden. Längst nicht alle Vogelarten sind derart trinkfest. Im Herbst 2006 fielen in Wien reihenweise Seidenschwänze vom Himmel, die sich im Vollrausch an Flughindernissen das Genick gebrochen hatten. Überreife Beeren und Trauben waren in den auf karge Insektenkost geeichten Mägen der Vögel nachgegoren.
Auch im menschlichen Verdauungstrakt finden natürlicherweise Gärprozesse statt. Sie bringen den physiologische Blutalkoholgehalt auf ungefähr 0,02 bis 0,03 Promille – im Normalfall. Es gibt allerdings Menschen, die selbst bei Alkoholabstinenz sehr hohe Blutalkoholwerte aufweisen. Vollrausch Marke Eigenbrau? Was wie ein schlechter Scherz klingt, ist eine seltene Erkrankung namens Eigenbrauer-Syndrom. Bei den Betroffenen ist die natürliche Darmflora aus dem Gleichgewicht geraten: Im Verdauungstrakt sitzen übermäßig viele Hefezellen, die den Zucker aus der Nahrung zu Ethanol fermentieren. Je kohlenhydratreicher, sprich zuckerhaltiger die Kost, umso höher deren Blutalkoholgehalt nach dem Essen.
Prost Mahlzeit!
Kurzes Zwischenfazit: Sich einen Rausch anzuessen, ist schwer. Aber mit welchen Speisen – neben wirklich vielen Bananen – hätte man zumindest eine Chance? Ein guter Start wären vielleicht die Früchtchen, die man mit einem erfrischenden Glas Bowle bekommt: Wer sie aus der Bowle pickt, um seinen knurrenden Magen zu besänftigen, hat es mit über Stunden in hochprozentigem Eingelegtem zu tun. Ein weiterer Klassiker in der Diskussion ist alkoholhaltiges Konfekt. Aber: Sich mit Rumkugeln, Weinbrandbohnen und Kirschlikörpralinen einen Rausch zu verschaffen, erweist sich in der Praxis als ziemlich utopisch. Denn bezogen auf ihre Masse ist der Alkoholanteil der Pralinen sehr gering. So gering, dass man sie offiziell als Lebensmittel mit geringfügigem Alkoholgehalt deklariert. Am Beispiel der Weinbrandbohne, die man mit hochprozentigem Alkohol von etwa 60 Volumenprozent herstellt, heißt das in Zahlen: In einer Weinbrandbohne sind etwa 3,5 bis 6 Massenprozent Alkohol vorhanden. Bei einem Körpergewicht von 75 Kilogramm müsste man innerhalb kürzester Zeit mindestens 40 Weinbrandbohnen verspeisen, um über 0,5 Promille zu kommen.
Bleibt zuletzt noch der direkte Weg zum Alkohol über das Essen: den großzügigen Schluck Weißwein in der Soße oder dem Spritzer Rum im Kuchen. Tatsächlich ist es eine Mär, dass der Alkohol sich per se im servierten Gericht nach dem Kochen verflüchtigt hat. Der Siedepunkt von reinem Alkohol liegt bei 78,3 Grad Celsius, der von Wasser-Alkohol-Gemischen zwischen 78,3 und 100 Grad Celsius: Wenn das Gemisch kocht, verdampft zwar mehr Alkohol als Wasser, aber eben nur allmählich. 1992 untersuchten Wissenschaftler die Alkoholmenge von verschiedenen Gerichten. Je nach Speise und Zubereitungsverfahren waren darin noch zwischen 4 und 85 Prozent des ursprünglichen Alkohols vorhanden. Dabei hängt es von vielen Faktoren ab, wie viel Ethanol zurückbleibt. Geht es um Wein oder Hochprozentiges? Um ein Glas oder einen Liter? Wann wird der Alkohol zugegeben? Trotzdem kann man sagen: Je stärker und länger man Alkohol erhitzt, desto mehr geht er in Dampf über und desto weniger bleibt am Ende für den möglichen Rausch. Auch alles andere, was die Verdunstung begünstigt, senkt den Alkoholgehalt der Speise: unbedeckte und breitere Pfannen oder Töpfe, besser auf dem Herd statt im Backofen zubereitet. Ob gekocht, gebacken oder flambiert – der Verzehr von hochprozentigen Speisen bleibt dabei im wahrsten Sinn des Wortes berauschend.
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