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Feuerökologie: Können Glasscherben Waldbrände verursachen?

Glasscherben im Wald werden immer wieder als Brandursache angeführt. Doch können achtlos weggeworfene Flaschen und Co wirklich ein Feuer entzünden?
Glasscherbe auf dem Waldboden

Nicht nur Waldbesitzerverbände warnen immer wieder davor, auch Polizei und Feuerwehr führen sie schon mal als Brandursache auf: die Glasscherbe im Wald. Sie fokussiere bekanntermaßen das Sonnenlicht so stark, dass beim Auftreffen der Strahlenbündel auf dem sommerlich trockenen Waldboden eine Flamme entstehe, die dann in Windeseile den ganzen Wald in Brand setze – ein gängiges Katastrophenszenario. Was ist dran?

Tatsächlich kann Glas Sonnenlicht so fokussieren, dass sich damit Feuer entzünden lässt. Das wissen zumindest die Pfadfinder unter uns, aber auch all diejenigen, die im Physikunterricht den Brennglaseffekt behandelt haben. Wer aber richtig gut aufgepasst hat, weiß auch, dass Glas nicht gleich Glas ist und bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit der Funke überspringt. In der Schule wird der Brennglaseffekt in der Regel mit einer Lupe demonstriert, auch Vergrößerungsglas oder Brennglas genannt. Der Name Brennglas ist ebendarauf zurückzuführen, dass die konvex geschliffene Glaslinse die Energie des einfallenden Sonnenlichts so stark verdichtet, dass brennbares Material beim Auftreffen des fokussierten Strahls die Zündtemperatur überschreiten kann. Das anvisierte Material fängt Feuer. Also könnte im Prinzip auch achtlos weggeworfenes Glas ein Inferno anrichten. Oder doch nicht?

In den seltensten Fällen sind Glasabfälle konvex geschliffene Brenngläser. In der Regel handelt es sich dabei um Glasflaschen oder Bruchstücke derselben, die eine gleichmäßige Dicke aufweisen. Können auch sie unter »idealen« Bedingungen, also in Kombination mit sehr trockenem und gut brennbarem Pflanzenmaterial, wie man es in den Sommermonaten auf dem Waldboden findet, einen Brennglaseffekt erzeugen und ein Feuer entfachen? Die Zündtemperatur dieser Materialien liegt bei etwa 300 Grad Celsius. Das heißt, der durch die Flaschenscherbe gebündelte Lichtstrahl muss diese Temperatur erreichen, damit das Glas zum Brennglas wird.

Feldexperiment unter Idealbedingungen

Im Sommer 2006 untersuchte der Deutsche Wetterdienst in Braunschweig in einem Freilandexperiment, welche Bedingungen im Idealfall zusammentreffen müssen, damit sich der Waldboden durch eine Glasscherbe entzündet. Als Glasscherbe wurden die Böden fünf verschiedener Flaschen aus farblosem Klarglas verwendet. Buntglas wurde auf Grund seiner geringeren Lichtdurchlässigkeit von vornherein ausgeschlossen. Die Wahl fiel auf unversehrte Flaschenböden, da deren Form der konvexen Form eines Brennglases am nächsten kommt. Die Forscher brachten die Flaschenböden an Halterungen in einem idealen Winkel zur Sonne in 20 bis 30 Zentimeter Höhe an. Um die Erfolgschancen zu erhöhen, hatten sie zuvor den optimalen Lichteinfall sowie die für jedes Glas optimale Brennweite berechnet. Die so gebündelten Lichtstrahlen trafen auf verschiedene Brennmaterialien mit einem Feuchtigkeitswert von zirka zehn Prozent, nämlich Fichtennadeln, Kiefernnadeln, Buchenlaub, Drahtschmiele, Land-Reitgras und Heidekraut. Eine Wärmebildkamera dokumentierte das Experiment zehn Minuten lang im Abstand von 15 Sekunden. Das Ergebnis war eindeutig: Bei keiner Variante aus Glas und Pflanzenmaterial kam es zu einer Entzündung. Die erforderliche Zündtemperatur wurde bei Weitem nicht erreicht. Lediglich die Kombination aus der Bodenscherbe einer Ketchup-Flasche mit Fichtennadeln als Brennmaterial erreichte für einen kurzen Moment die 300 Grad Celsius, allerdings nur auf zwei Millimetern und ohne ausreichendes Potenzial für eine Flamme.

Entgegen der landläufigen Meinung ist es also sehr unwahrscheinlich, dass Glasflaschen oder -scherben Waldbrände auslösen. Eine ganze Reihe von Zufällen müsste für ein Zündszenario zusammenkommen. Allein die Tatsache, dass die Glasscherbe dazu nicht auf dem Boden liegen dürfte, sondern sich im Abstand von 20 bis 30 Zentimetern über dem Waldboden befinden müsste, lässt die Wahrscheinlichkeit gegen null gehen. So findet man die Glasscherbe als Brandverursacher in den deutschen Waldbrandstatistiken auch gar nicht erst. Zwar besagt die Statistik, dass etwa ein Viertel der Brände auf fahrlässiges Verhalten von Menschen zurückzuführen sind, die unschön entsorgte Getränkeflasche stellt aber keine Gefahr dar – anders als die weggeworfene Zigarette, das Grillfeuer am Waldesrand oder gar der überhitzte Unterbau eines abgestellten Fahrzeugs.

Entgegen der landläufigen Meinung ist es in höchstem Maß unwahrscheinlich, dass Glasflaschen oder -scherben Waldbrände auslösen

Der Brennglaseffekt soll allerdings schon früh den Lauf der Geschichte geprägt haben: Dem griechischen Mathematiker und Erfinder Archimedes wird nachgesagt, er habe während des Zweiten Punischen Kriegs in den Jahren 214 bis 212 v. Chr. die Schiffe der römischen Flotte, die die sizilianische Hafenstadt Syrakus angriff, mit den verschiedensten von ihm erdachten Kriegsgeräten in Schach gehalten. Unter anderem soll er Brennspiegel entwickelt haben, die wie Strahlenkanonen wirkten und die Segel der feindlichen Schiffe vom Ufer aus in Brand setzten. Zwar ist diese Geschichte vermutlich auch in den Bereich der Mythen und Legenden einzuordnen, da die Spiegel immense Ausmaße gehabt haben müssten, um die Segel bei den gegebenen Lichtverhältnissen und Entfernungen zu entzünden.

Hochhaus schmilzt Jaguar

Der Effekt ist aber durchaus bewiesen und nicht immer gewollt: Negative Schlagzeilen machte beispielsweise an einem sonnigen Tag im September 2013 ein 37-stöckiges Hochhaus des uruguayischen Star-Architekten Rafael Vinoly. Die konkav gewölbte, vollverglaste Fassade des Wolkenkratzers in der Londoner Innenstadt, der wegen seiner Form gerne auch als »Walkie Talkie« bezeichnet wird, wirkte wie ein überdimensionaler Hohlspiegel. Die gebündelten Sonnenstrahlen trafen einen im Brennpunkt geparkten Jaguar und schmolzen nicht nur dessen Außenspiegel und Kühleremblem, sondern deformierten auch das Kunststoff-Armaturenbrett im Inneren des Fahrzeugs. Ein ähnlicher Fall aus dem Jahr 2010 ging ebenfalls durch die Presse, als Gäste eines Nobelhotels in Las Vegas auf der Liegefläche um den Hotelpool schmerzvolle Erfahrungen mit dem Zusammenspiel von Wüstensonne und den 3000 konkav angeordneten Glasscheiben an der Südseite des Gebäudes machen mussten. Einer der Gäste, die sich am Pool sonnten, berichtete, er habe, auf dem Bauch liegend, einen extrem brennenden Schmerz auf dem Rücken gespürt und den Geruch versengter Haare wahrgenommen. Wie sich herausstellte, waren es seine eigenen Kopfhaare.

Sind also konkav geformte Brennspiegel potenzielle Brandverursacher? Wie sich im Fall des »Walkie Talkie« in London zeigte, sind sie bei entsprechender Größe durchaus in der Lage, Hitze zu generieren, die Kunststoff zum Schmelzen bringt. Doch wie sieht es in kleineren Dimensionen aus? Im Haushalt finden sich Hohlspiegel in Form von Kosmetik- oder Rasierspiegeln, die das gespiegelte Bild auf Grund ihrer Form vergrößern. Wieder in London kam es im Juli 2012 zu einem Wohnungsbrand, bei dem ein der Sonne zugewandter Kosmetikspiegel Gardinen in Brand setzte. Auch aus Freiburg wird von einem ähnlichen Fall berichtet. Dort brannte im Mai 2010 ein Mehrfamilienhaus, weil in einer der Wohnungen ein Vergrößerungsspiegel in der Küche so ausgerichtet war, dass die von ihm reflektierten Sonnenstrahlen brennbares Material auf dem Balkon entzündeten. Entsorgen Sie also bitte sicherheitshalber keine alten Kosmetikspiegel oder Lupen im Wald. Auch gewöhnlichen Glasabfall in der Natur abzuladen ist, wenn auch keine Brandursache, immerhin eine Umweltsünde.

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