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Aufgehobene Schwerkraft : Können wir auf der Erde Schwerelosigkeit erzeugen und die Gravitation ausschalten?

Völlig ausschalten können wir die Schwerkraft auf der Erde nicht. Höchstens ein Flug im "Kotzbomber" kommt dem nahe.
Der deutsche Astronaut Alexander Gerst beim Training

Irgendwo, so glauben viele, müsse die NASA doch ihre Antigravitationskammern versteckt haben. Leider falsch gedacht: Es gibt keinen Ort, an dem man einfach so per Knopfdruck die Schwerkraft ausschaltet. Das liegt schon an der Natur der Sache, denn "Schwerkraft" wirkt eben zwischen sämtlichen Massen im Universum. Im Alltag zeigt sich das daran, dass wir mitsamt Haus, Möbeln und allem anderen ständig in Richtung Erdboden gezogen werden. Und auch im Orbit – wo der Weltraumreisende keine Schwerkraft spürt – wirkt sie durchaus: Die Anziehungskraft bemerkt er in der Erdumlaufbahn nur deshalb annähernd kompensiert, weil er mitsamt Raumfahrzeug in freiem Fall um die Erde herum kreist. (Fast) Völlig entkommt man der Gravitation höchstens tief draußen im All, weit jenseits aller Planeten und Sterne.

Beim Parabelflug | Den Raumanzug in der Schwerelosigkeit eines Parabelflugs anzuziehen, erfordert Übung.

Bisher ist noch niemandem eine technische Lösung eingefallen, mit der man den Sog der Gravitation neutralisieren könnte. In bester Annäherung simuliert wird das Gefühl der Schwerelosigkeit bei Parabelflügen in Flugzeugen, die einen auf- und absteigenden Bogen fliegen. Das hat Folgen: Im "Kotzbomber" fühlen sich viele Insassen richtig schlecht, und alle spüren in jenem kurzen Augenblick keine Schwerkraft, in dem der Flieger sich nach dem höchsten Punkt der Flugkurve wieder frei abwärtsfallend bewegt. Astronauten trainieren bei solchen Flügen für ihren Einsatz im All (und nebenbei produziert Hollywood so auch Aufnahmen wie die des schwerelos herumschwebenden Tom Hanks im Film "Apollo 13"). Einen ähnlichen Effekt spürt man übrigens in der Achterbahn, sobald man selbst – und der gleich schnelle Wagen, in dem man sitzt – in Richtung Erdboden rast. "Die Sitzfläche drückt nicht mehr gegen einen, und man spürt deshalb keinerlei Stütze: Genauso würde es sich anfühlen, wenn man plötzlich – warum auch immer – mitsamt Achterbahnwägelchen im All treibt", beschreibt das Gefühl Damian Pope vom Perimeter Institute für Theoretische Physik in Kanada.

Der weitere Verlauf der Achterbahnfahrt veranschaulicht, wie wir Gravitation im Alltag spüren: Nach dem freien Fall der Strecke dürfen wir einen plötzlich stark ansteigenden Druck des Sitzes erleben. Oder, "wie wir Physiker es formulieren würden: Der Sitz übt eine Kraft auf Sie aus – eine 'Normalkraft'", erklärt Pope. "Allgemeiner gefasst: Unser Alltagsgefühl, ein 'Gewicht' zu haben, ist eben der Eindruck, vom Boden oder einem Achterbahnsitz gestützt zu werden: von allem, was auf uns eine Normalkraft ausübt."

Der Mangel an irdischen Antigravitationskammern ist übrigens ein guter Grund für Weltraumforschung. Weil auf der Erde ein Weg fehlt, Gravitation auszuschalten, wählt die Wissenschaft den Weg ins All, um unter Bedingungen der Schwerelosigkeit zu experimentieren. Die Internationale Raumstation ISS – offiziell ein vom US-Staat betriebenes Unternehmen – beherbergt Hunderte von Projekten, die sich mit allem Möglichen beschäftigen: von schwerelosen Viren (die stärker infektiös sind) über Kristalle (die größer wachsen) bis zum menschlichen Körper (der einen Abbau von Knochendichte und der Sehschärfe verzeichnet). Forscher hoffen, unter den ungewöhnlichen Bedingungen im All medizinische Therapieformen zu entwickeln, die dann auf der Erde eingesetzt werden können.

Astronaut bei Außenbordeinsatz

Falls die Menschheit irgendwann einmal auch in die Tiefen des Alls vorstößt, sind bessere Methoden zur Manipulation der Gravitation dringend gefragt – zumindest, um die negativen Folgen des dauerhaften Schwerkraftentzugs auf den Körper des Menschen zu minimieren. In den mittlerweile 16 Jahren, die verstrichen sind, seit das erste Modul der ISS montiert wurde, haben die NASA und ihre internationalen Partnerunternehmen durchaus Fortschritte gemacht: Gezielt entwickelte Trainingsgeräte und Spezialnahrung halten Astronauten recht fit. Für eine Crew, die länger als ein Jahr unterwegs ist, würde das allein aber nicht ausreichen. In populären SciFi-Geschichten taucht an dieser Stelle immer eine rotierende, radförmige Weltraumstation auf (man denke an den Klassiker "2001: A Space Odyssee"). Darin würde die Drehbewegung per Zentripetalkraft dafür sorgen, dass alles im Inneren der Station Richtung Außenwand gezogen wird, den Fußboden der Station. Im Prinzip klingt das Konzept schlüssig – man müsste aber, um eine der irdischen Gravitation annähernd entsprechende Schwerkraft zu erzeugen, ein viel, viel größeres Gefährt konstruieren als alle bisher jemals real gebauten Raumfahrzeuge. Bis es so weit ist, sollten wir vielleicht einfach weiter Spaß an den schwerelosen Bedingungen der Raumfahrt haben – sie erlauben schließlich eindrucksvolle Fallrückzieher und wilde Jo-Jo-Tricks.

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