Leser fragen – Experten antworten: Was bedeuten die kosmischen Entfernungsangaben?
»Laut SuW trennen uns 1,3 Milliarden Lichtjahre von der so genannten Teetassen-Galaxie. Ich denke, verstanden zu haben, dass wir dreierlei unterscheiden müssen:
- Die Laufstrecke des Lichts vom Zeitpunkt seiner Aussendung bis zum Empfang bei uns heute, also Laufzeit mal Lichtgeschwindigkeit. Sie ist wegen der Expansion des Universums größer als die damalige geometrische Entfernung.
- Die tatsächliche geometrische Entfernung des aussendenden Objekts zum Zeitpunkt der Aussendung des Lichtsignals.
- Die heutige geometrische Entfernung des Objekts, das damals das Signal aussendete. Sie ist größer als die beiden anderen, wiederum wegen der Expansion des Universums.
Es gibt dann also bei der Angabe der Entfernung eines astronomischen Objektes immer diese drei Möglichkeiten, die man wählen könnte, oder nicht? Welche der drei Definitionen ist in dem Fall der Teetassen-Galaxie – aber wahrscheinlich dann wohl auch immer – gemeint, wenn man derartige Entfernungsangaben in SuW liest? Vielen Dank für eine Aufklärung zu dieser Frage.« – Ralph Formen, Hauset (Belgien)
Richtig, es gibt diese drei Typen von Entfernungsangaben. Und es gibt sogar noch ein paar mehr, unter anderem die Winkeldistanz und die Leuchtkraftdistanz. Das Thema Entfernungen in der Kosmologie ist eine unendliche Geschichte, die mir in meinen 30 Jahren als Leserbriefredakteur auch schon fast unendlich viel Arbeit gemacht hat. Die einzige sachlich wirklich sinnvolle Angabe ist die gemessene kosmologische Rotverschiebung z, denn alle anderen Angaben hängen außer von ihrem Typ dummerweise auch noch davon ab, welches kosmologische Weltmodell man zu ihrer Berechnung verwendet hat. Man müsste beides – den Typ und das Modell – stets dazu sagen.
Leider wird das bei Angaben in der Größenordnung von Milliarden Lichtjahren fast nie getan – so auch in diesem Fall. Das Problem liegt nicht bei den Wissenschaftlern, sondern nur bei den Wissenschaftsjournalisten, und da nehme ich SuW nicht aus. Aber in unserem Fall ist es die Pressestelle des Instituto de Astrofísica de Canarias (IAC) auf Teneriffa gewesen. Der genannte SuW-Beitrag bezieht sich auf deren Pressemeldung vom März 2023 über die fast lichtschnellen Gasstrahlen (Jets), die aus dem Kern dieser Galaxie herausschießen. Es wird – wie meistens – dort nicht gesagt, was gemeint ist. Aber wir können es herausfinden! Das dazu notwendige Werkzeug ist der wunderbare Cosmology Calculator des Kosmologen Ned Wright, im Internet zu finden unter: https://astro.ucla.edu/~wright/CosmoCalc.html.
Die kosmologische Rotverschiebung der Teetassen-Galaxie beträgt z = 0,08513, was man zum Beispiel in Wikipedia oder in der SIMBAD-Datenbank recherchieren kann. Bei so geringen Werten von z nahe null sind die drei Entfernungen, die Herr Formen nannte, noch sehr nah beieinander und fast gleich. Erst bei hohen Rotverschiebungen (z > 1) werden sie sehr verschieden. Der Cosmology Calculator gibt für das derzeitige Standardmodell der Kosmologie einen Satz von Zahlenwerten aus (siehe »Kosmische Zahlen«).
Demnach hat SuW, genauer, die Pressestelle des IAC, in diesem Fall keine der drei von Herrn Formen genannten Typen verwendet, sondern die Leuchtkraftdistanz, die – wie alle anderen auch – bei vorgegebenem Weltmodell aus der Rotverschiebung berechnet werden kann. Sie gibt an, in welcher Entfernung die Galaxie in einem nicht expandierenden und nicht gekrümmten Universum uns exakt so hell erscheinen würde, wie wir sie tatsächlich im realen Universum vor uns sehen. Klingt nicht besonders einleuchtend? Ist es auch nicht!
Leider kann man nicht davon ausgehen, dass bei anderen Berichten der gleiche Typ für die Angabe der Milliarden Lichtjahre verwendet wird. Es ist, wie gesagt, eine unendliche Geschichte …
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