Gesundes Obst: Sind alte Apfelsorten besser für Allergiker?
Es war einmal ein Biss vom Apfel, und Schneewittchen war ausgeknockt. So heftig wie in Grimms Märchen sind die Symptome einer Apfelallergie in unseren Breitengraden selten. Häufig begegnet man hier zu Lande dagegen dem so genannten oralen Allergiesyndrom, kurz OAS, einer leichteren Ausprägung der Unverträglichkeit, bei der »nur« Mund- und Rachenraum betroffen sind. Schon kurz nach dem Verzehr von ein wenig Apfel können Lippen, Zunge und Hals kribbeln, jucken oder brennen, sich taub anfühlen oder anschwellen. Manchmal zeigt sich die Unverträglichkeit in Form von Quaddeln und Bläschen auf dem oder im Mund.
Auch wenn sich hier schwer wiegende Beschwerden dazugesellen können, die den ganzen Körper betreffen: Apfelallergiker in Nord- und Mitteleuropa leiden in der Regel unter lokalen Reizerscheinungen, also eher milden Symptomen. In Südeuropa treten dagegen häufig schwere Reaktionen auf – bis hin zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock. Man unterscheidet zwei Arten von Apfelallergie: die Mal-d-1-Allergie, die hier bei uns vorkommt, und die Mal-d-3-Allergie, die in Südeuropa und im Mittelmeerraum auftritt.
Ob heftige oder leichte Reaktion: Eiweiße (Proteine), die im Apfel vorkommen, lösen die Allergie aus. Schuld an der Apfelallergie ist aber eigentlich ein Irrtum im Quadrat. Das Immunsystem verwechselt die Apfelproteine nämlich mit anderen Allergenen, also ungefährlichen Inhaltsstoffen, die es ebenso irrtümlicherweise bekämpft. Wer Äpfel nicht verträgt, ist demnach gegen etwas allergisch, dem die Apfeleiweiße ähneln. Kreuzallergie heißt das Phänomen, das auftreten kann, aber nicht muss.
Wenn der Apfel mit der Birke
Mal d 1 heißt das Unruhe stiftende Apfelprotein, das hier zu Lande Heuschnupfengeplagten den Apfelgenuss gehörig verhagelt. Benannt ist es nach dem Kulturapfel Malus domestica. Weil Mal d 1 dem Birkenpollenallergen Bet v 1 (wiederum benannt nach Betula verrucosa, der alten Bezeichnung der Birke) in seinem molekularen Aufbau zum Verwechseln ähnlich sieht, bringt es das Immunsystem von Birkenpollenallergikern gehörig in Rage. Besonders während der Pollensaison ist dann eine heftigere allergische Reaktion auf Äpfel vorprogrammiert – schließlich ist das Immunsystem schon alarmiert und in Gefechtsstellung.
Mal d 1 dient dem Apfel zum Schutz vor Krankheitserregern. Das Abwehrprotein wird während der Reife und in Stresssituationen hergestellt und soll zum Beispiel schädliche Pilze abwehren.
Aber Obacht! Bei Mal d 1 handelt es sich nicht um ein einziges, sondern um eine ganze Gruppe von Proteinen, die sich nur minimal voneinander unterscheiden. Manche davon scheinen in niedriger Konzentration bereits allergische Reaktionen auszulösen, so dass man allein anhand des Mal-d-1-Gehalts im Apfel nicht abschätzen kann, wie verträglich eine Apfelsorte ist.
Wie viel Mal d 1 sich im Apfel befindet, variiert aber nicht nur mit der Sorte, sondern auch je nach Standort, der Kultivierung und Lagerung. Ein frisch geernteter Apfel enthält am wenigsten Mal d 1, sprich Allergene. Zahlreiche Sorten sind im Herbst gut verträglich, was sich im Laufe des Winters ändert. Denn während der Lagerung nimmt der Gehalt von Mal-d-1-Protein im Apfel zu. Das lässt sich künstlich aufhalten. Bei Lagerung mit geringem Sauerstoff- und erhöhtem CO2-Gehalt oder der Behandlung mit einem Reifeverzögerer entsteht weniger Mal d 1 als bei einfacher Lagerung im Kühlhaus.
Hitze zerstört die allergieauslösenden Eiweiße
Mal d 1 findet man in Schale und Fruchtfleisch, sprich einfach überall im Apfel. Immerhin, man kann die allergenen Apfelproteine relativ einfach unschädlich machen: Indem man den Apfel erhitzt und damit auch die Proteine, gehen sie unwiederbringlich aus der Form und lösen so, bis zur Unkenntlichkeit deformiert, keine allergische Reaktion mehr aus. Genuss ohne Reue heißt es deshalb bei pasteurisiertem Apfelsaft, Apfelkuchen, Apfelmus, Apfelmarmelade und Apfelgelee für Birkenpollenallergiker. All das können sie ohne Angst vor Komplikationen genießen.
Bei Dörrobst ist dagegen Vorsicht geboten. Wer als Allergiker gerne zu Apfelringen greift, muss wissen, wie sie zubereitet wurden. Als grobe Faustregel gilt: Je rabiater getrocknet, umso besser verträglich sind die gedörrten Äpfel. Erst ab Temperaturen von deutlich über 60 Grad Celsius verringert sich das allergische Potenzial der Mal-d-1-Apfeleiweiße. Bei schonender Trocknung bei geringeren Temperaturen oder Gefriertrocknung bleibt das allergene Potenzial erhalten.
Der Trick mit der Mikrowelle
Wer als Mal-d-1-Allergiker einen »unverarbeiteten« Apfel einer Sorte genießen möchte, auf die er normalerweise reagiert, kann die Hitzeempfindlichkeit des Apfelallergens nutzen: Den Apfel in Stücke schneiden und ab damit in die Mikrowelle, für eine Minute bei 600 Watt. Laut dem Deutschen Allergie- und Asthmabund ist der Apfel danach noch (einigermaßen) knackig, hat aber an Allergenität verloren und wird besser vertragen.
Leider klappt der Trick mit der Mikrowelle nicht bei allen Apfelallergenen. Mal d 3, dem Auslöser der Apfelunverträglichkeit in Südeuropa, kann man so nicht beikommen, denn dieses Apfelallergen ist relativ hitzestabil. Pasteurisieren, Kochen, Backen – und sogar rabiates Dörren kann Mal d 3 nichts anhaben. Auch bei der Mal-d-3-Allergie handelt es sich um eine Kreuzallergie. Das Apfelprotein ist einem Inhaltsstoff des Pfirsichs zum Verwechseln ähnlich: Man geht davon aus, dass im Grunde eine Pfirsichunverträglichkeit die Apfelallergie bedingt. Aber auch eine Allergie gegen Platanen- und Beifußpollen diskutieren Fachleute als möglichen Auslöser.
Anders als Mal d 1 kommt das Kreuzallergen Mal d 3 in ausschlaggebenden Mengen nur in der Schale vor, so dass geschälte Früchte von Mal-d-3-Allergikern gut vertragen werden.
Was sind neue, was alte Apfelsorten?
Zehntausende Apfelsorten gibt es weltweit. Davon bekommt man in den Supermarktregalen nicht viel zur sehen, weil nur wenige neue Sorten den Markt beherrschen. Die Sortenreduzierung hat vor allem ökonomische Gründe. Die neuen Apfelsorten wurden so gezüchtet, dass sie einheitlich große Früchte hervorbringen, leicht zu ernten sind und immer gleich schmecken. Durchgesetzt haben sich vor allem Sorten, die besonders lang haltbar und wenig anfällig für Transportschäden sind.
Inzwischen erinnert man sich aber wieder an die alten Sorten und deren Qualitäten: ihre große Schädlingsresistenz, die den Einsatz von Spritzmitteln zu reduzieren hilft, ihre Anpassung an die Anbauregion, ihr einzigartiger Geschmack und ihr teilweise sehr besonderes Aussehen, das aus dem Einerlei der Supermarktfrüchte heraussticht.
Vertragen Allergiker alte Apfelsorten besser?
Neue Apfelsorten enthalten oft relativ wenig Polyphenole. Das sind Pflanzenstoffe, die für den säuerlichen Geschmack verantwortlich sind und obendrein bewirken, dass ein aufgeschnittener Apfel schnell bräunt. Polyphenole schützen den Apfel, so ähnlich wie Mal d 1, vor Pathogenen. Häufig ist zu lesen, dass ein Apfel umso verträglicher sei, je mehr Polyphenole er enthalte – dass Polyphenole die allergene Wirkung von Äpfeln gewissermaßen aufheben. Bislang konnte dieser Zusammenhang allerdings nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden.
Dass alte Sorten besser verträglich sind und neue nicht, kann man auch nicht verallgemeinern. Unter den historischen Apfelsorten wie unter den neuen gibt es sowohl unverträgliche als auch relativ gut verträgliche. Prominentes Beispiel: der Golden Delicious, eine historische Sorte, die als stark allergen gilt.
Liste alter Apfelsorten für Allergiker
Listen, die besonders allergikerfreundliche Apfelsorten beschreiben, findet man zuhauf. Dabei kommt es oft vor, dass ein und dieselbe Sorte unterschiedlich bewertet wird. Warum? Nun ja, es gibt einfach jede Menge möglicher Fehlerquellen: von der Beurteilung der Sorte bis zur Bewertung der allergischen Reaktion. Ohne festgelegte Standards herrscht Deutungsfreiheit, und das ist ein Problem, will man aussagekräftige Daten sammeln. 2005 startete der BUND Lemgo ein Apfelallergieprojekt: eine Erfahrungsliste, in die Allergiker seitdem laufend eintragen, welche Apfelsorten sie gut vertragen und welche nicht. Die Liste mit den gesammelten Daten ist für jeden einsehbar und kann Apfelallergikern als Anhaltspunkt dienen, welche Sorte einen Versuch wert sein könnte. Dass es Apfelsorten gibt, die mit Sicherheit keine Allergie auslösen, ist jedoch ein potenziell gefährlicher Trugschluss.
»Allergikerfreundliche Apfelsorten«
2016 entdeckten Wissenschaftler der Charité Berlin in einer Beobachtungsstudie, dass Allergiker, die regelmäßig alte Apfelsorten essen, auch neue Sorten besser abkönnen. Die Symptome einer Unverträglichkeit waren nach einiger Zeit täglichen Apfelverzehrs deutlich gemindert, wenn auch nicht komplett beseitigt. Die Apfeldiät hatte die Allergiker leicht desensibilisiert.
Freiherr von Berlepsch, Rote Alkmene und Gloster sind drei alte Sorten, die landläufig als schwach allergen gelten. Neben alten Sorten gibt es allergikerfreundliche Sorten, die man extra gezüchtet hat und die von den meisten Mal-d-1-Allergikern vertragen werden beziehungsweise kaum Symptome auslösen. Wenn das auch nach langer Lagerung (zum Beispiel im Sommer nach der Ernte im Herbst) noch zutrifft, darf eine Sorte sich als allergikerfreundlich bezeichnen: Santana, Gräfin Goldach oder die im Markt als Wellant geführte Apfelsorte Fresco gehören dazu.
Weil innerhalb einer Sorte Unterschiede in der Allergenität auftreten können und auch die körperliche Verfassung die allergische Empfindlichkeit beeinflusst, sollten Allergiker frische Äpfel immer mit Vorsicht genießen. Mit Hilfe eines Lippentests lässt sich leicht und sicher herausfinden, ob man einen Apfel verträgt: einfach die Lippen an die Schale halten und kurz abwarten. Wenn eine Reaktion ausbleibt, kann man den Apfel mit Vorsicht und Genuss verzehren und läuft nicht Gefahr, ausgeknockt zu werden wie Schneewittchen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.