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Kognitive Fähigkeiten: Sind Menschen mit großem Gehirn intelligenter?

Mehr Hirn gleich mehr Köpfchen? Diese Rechnung geht nur auf, wenn man Vertreter derselben Art miteinander vergleicht. Und auch dann ist der Einfluss der Hirngröße äußerst gering: Andere Faktoren bestimmen die Intelligenz deutlich stärker.
Gehirn
Sagt die Größe des Gehirn etwas über die Intelligenz einer Person aus? Jein.

Die Idee, dass die Größe des Gehirns etwas über die Intelligenz seines Besitzers aussagt, ist bereits jahrhundertealt. Sie klingt intuitiv plausibel: Je mehr Volumen das Denkorgan hat, desto mehr Raum zur Informationsverarbeitung und zum Abspeichern von Inhalten sollte es bieten. Stimmt das?

Ganz so einfach ist die Sache nicht, wie schon ein Vergleich der Gehirne verschiedener Wirbeltiere zeigt. Das mit Abstand größte Gehirn besitzt der Pottwal. Allerdings hat der Meeressäuger schlicht auf Grund seiner enormen Körpermasse ein entsprechend großes Denkorgan. Kommt es also vielleicht eher auf das Verhältnis von Hirn- zu Körpermasse an? Dann erringt die Spitzmaus den Titel des Wirbeltiers mit dem größten Denkorgan. So und so ähnlich haben Forscher in der Vergangenheit alle möglichen Körpermaße und Hirnparameter zueinander in Beziehung gesetzt. Wider Erwarten landete der Mensch jedoch bei keiner dieser Berechnungen auf Platz eins der Neurocharts.

Allgemein verrät die (relative) Hirngröße einzelner Tierarten nicht sehr viel über ihre Intelligenz oder die Flexibilität ihres Verhaltens. Das liegt vor allem an der unterschiedlichen Größe und Dichte der Nervenzellen bei verschiedenen Tierarten. So sind die Neurone in unseren Köpfen enger gepackt und nehmen weniger Platz ein als die in vielen Tiergehirnen.

Der Fremde in Schillers Grab

Spielt die Hirngröße dann womöglich innerhalb einzelner Spezies eine Rolle? Die Selbstverständlich­keit dieser Annahme zeigt sich in einer historisch überlie­ferten Anekdote um das Grabmal Friedrich Schillers. Dessen Dichterfreund Goethe hatte sich vor seiner Beisetzung in der Weimarer Fürstengruft ausbedungen, dass Kollege Schiller neben ihm bestattet werden sollte. Jener war allerdings jung gestorben, und man wusste nur, dass er im so genannten Kassengewölbe beigesetzt worden war, jedoch nicht genau, wo. Etliche Überreste wurden exhumiert, und nach erfolglosen Vergleichen mit Schillers Totenmaske entschied man sich für den größten Schädel, um ihn neben Goethe beizusetzen. Der hohe Geist wird doch wohl besonders viel Platz für seine Gedanken gebraucht haben, so die Vermutung. Nur: Seit DNA-Untersuchungen in den 2000er Jahren wissen wir, dass keines der Gebeine in »Schillers Sarg« auch tatsächlich von Schiller stammt – deshalb ist sein Sarg heute leer.

Dennoch ist die These vom klugen Großschädel nicht gänzlich falsch. Erste Untersuchungen zum Zusammenhang von Schädelgröße und kognitiven Fähigkeiten gab es Anfang des 20. Jahrhunderts. Zwar wies die Mehrheit dieser Arbeiten auf eine positive Verbindung hin, die frühen Messungen waren aber noch sehr ungenau. Das änderte sich mit der Entwicklung von bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanztomografie (MRT) ab den 1970er Jahren, die eine exakte Bestimmung des Hirnvolumens bei lebenden Menschen ermöglichten. Bei Vergleichen innerhalb einer Spezies lassen Forscher dabei die Körpermaße außer Acht und betrachten das absolute Volumen. Studien auf Basis solcher Methoden attestierten der Hirngröße eine große Rolle für die Erklärung von Intelligenzunterschieden.

So ergaben einige Untersuchungen, dass bei einem Unterschied von vier IQ-Punkten zwischen zwei Personen einer dieser Punkte allein auf die Differenz der Hirngröße zurückzuführen sei. Das wäre ein erstaunlicher starker Effekt. Seitdem erschienen viele weitere Forschungsarbeiten zu dem Thema, die im Wesentlichen zwei Dinge zeigten: Ja, es gibt einen positiven ­Zusammenhang zwischen Hirngröße und Intelligenz. Doch dieser ist bestenfalls moderat und erklärt lediglich einen von 20 IQ-Punkten Unterschied zwischen zwei Personen.

Das heißt, die Größe des Denkorgans ist keineswegs als der allein bestimmende Faktor für Intelligenz anzusehen, sondern nur als eine von vielen Komponenten, die die biologische Basis unserer kognitiven Fähigkeiten bilden. Wie gut die Neurone vernetzt sind und wie rege verschiedene Hirnareale miteinander kommunizieren, schlägt sich wesentlich stärker im IQ nieder als die bloße Hirngröße. Nach dem Motto: Je besser die grauen Zellen verkabelt sind, desto effektiver arbeiten sie zusammen.

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  • Quellen

Pietschnig, J.: Intelligenz – Wie klug sind wir wirklich? Ecowin, 2021

Willerman, L. et al.: In vivo brain size and intelligence. Intelligence 15, 1991

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