Sozialpsychologie: Sind superkluge Chefs unbeliebter?
Intelligente Menschen sind die besseren Chefs, so das Ergebnis zahlreicher Studien, und das gilt für Studierende und leitende Angestellte ebenso wie für Präsidenten. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass ein scharfer Verstand bei komplexen Sachverhalten wie globalen Märkten oder Gesetzesblockaden eher den Durchblick behält. Doch neue Forschung auf dem Gebiet legt nahe, dass sich Intelligenz ab einem gewissen Grad auch als nachteilig erweisen kann.
Während einige Studien zeigen, dass Teams unter kluger Führung gemessen an objektiven Kriterien mehr leisten, deuten manche auch darauf hin, dass die Untergebenen das anders sehen: Sie halten Vorgesetzte mit herausragendem Intellekt für weniger leistungsstark. Schon vor Jahrzehnten vermutete der Psychologe Dean Simonton, inzwischen emeritierter Professor der University of California in Davis, dass die Gedanken eines brillanten Geistes die Auffassungsgabe der meisten Menschen schlicht übersteigen könnte; die Ideen seien womöglich schwerer zugänglich und komplizierter umzusetzen.
Diese Hypothese hat Simonton schließlich gemeinsam mit zwei Kollegen überprüft und die Ergebnisse im »Journal of Applied Psychology« geschildert. Die Forscher untersuchten 379 Männer und Frauen im mittleren Management von Banken, Einzelhandels- und Technologieunternehmen aus 30 Ländern. Die Führungskräfte absolvierten den Wonderlic Personnel Test (WPT), einen IQ-Test für die Personalauswahl, der einen robusten Kennwert für das Leistungsvermögen auf vielen verschiedenen Gebieten liefert. Außerdem beurteilten im Schnitt acht Mitarbeiter den Führungsstil und die Leistung der Manager.
Bestwerte für Chefs mit einem IQ von 120
Der IQ hing positiv mit der wahrgenommenen Leistung und dem Urteil über strategisches und visionäres Führungsverhalten zusammen – aber nur bis zu einem gewissen Grad. Am besten kamen Manager mit einem IQ von 120 an, einem Wert, der den von zirka 80 Prozent der Büroangestellten übersteigt. Bei einem noch höheren IQ kehrte sich der Zusammenhang um; die Mitarbeiter urteilten dann schlechter über ihre Chefs. Die Forscher vermuten, dass der im Sinn der Mitarbeiter »ideale« IQ einer Führungskraft je nach Berufsfeld unterschiedlich hoch liegt. Das sei unter anderem davon abhängig, ob in der jeweiligen Organisationskultur eher technische oder eher soziale Fertigkeiten gefragt sind.
»Eine interessante und durchdachte Arbeit«, sagt Paul Sackett, Professor für Psychologie an der University of Minnesota, der nicht an der Forschung beteiligt war. »In meinen Augen wirft sie vor allem die Frage auf, welches Verhalten seitens hochintelligenter Führungspersonen dazu führt, dass sie von ihren Mitarbeitern negativer wahrgenommen werden. Die falsche Schlussfolgerung wäre, keine hochintelligenten Führungskräfte einzustellen.«
Erstautor John Antonakis, Psychologe an der Université de Lausanne in der Schweiz, empfiehlt, den überragenden Intellekt zu nutzen, um kreative Metaphern zu finden, die andere überzeugen und inspirieren – so wie es der ehemalige US-Präsident Barack Obama getan habe. »Ich denke, es gibt nur einen Weg«, so Antonakis, »wie ein kluger Mensch zugleich seine Intelligenz zeigen und eine Beziehung zu anderen herstellen kann: mit charismatischer Sprache.«
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