Stimmt es, dass scharfe Gewürze Speisen haltbarer machen?
Was der deutsche Tourist kaum erträgt, isst der Thailänder mit Genuss. Nicht anders sieht es in Mittel- und Südamerika aus, und schon in Frankreich und Italien wird mehr gewürzt als in Deutschland. Das hat triftige Gründe: Hohe Temperaturen lassen Speisen schneller verfaulen – Gewürze bieten dem Einhalt.
Dazu müssen sie zunächst oxidative Prozesse verhindern, also die Zersetzung von Fetten, Farb- und Geschmacksstoffen durch Sauerstoff – gut zu beobachten am Braunwerden frisch aufgeschnittener Äpfel. Dagegen helfen Antioxidanzien, die die Speisen vor Sauerstoff schützen, indem sie selbst oxidiert werden.
Der Kampf gilt außerdem den Mikroorganismen. Pilze und Bakterien treiben entweder nur das Faulen voran oder können sogar Krankheiten erregen. Ein einfaches Mittel dagegen ist Salz – Fleisch und Fisch pökeln Menschen schon seit der Antike. Es bindet die Wassermoleküle, welche die Schädlinge zum Überleben benötigen.
Die konservierende Wirkung aus Pflanzen gewonnener Gewürze beruht auf verschiedensten Substanzen. Um sich vor der Oxidation und dem Befall durch Insekten und Mikroben zu schützen, produzieren Pflanzenzellen so genannte sekundäre Pflanzenstoffe. Diese werden von den Zellen zwar nicht unmittelbar benötigt, nützen aber der Pflanze als Ganzes. Sie sind fettlöslich und lassen sich als ätherische Öle extrahieren. Solche Gewürzextrakte verwendet die Industrie heute nicht nur des Geschmacks wegen, sondern auch, um künstliche Antioxidanzien in Lebensmitteln zu ersetzen. Der Einsatz natürlicher Substanzen an Stelle von künstlichen wird zurzeit intensiv erforscht.
Auch Mikroorganismen können pflanzliche Gewürze effektiv vertreiben, die verantwortlichen Mechanismen sind jedoch sehr komplex und weitgehend unerforscht. Meist wirken die Pflanzenstoffe wie Antibiotika – sie greifen in das Stoffwechselsystem ein und verhindern Wachstum und Fortpflanzung der Bakterien oder Pilze.
Capsaicin beispielsweise, das in Paprika- und Chilischoten enthalten ist, beeinflusst Gene, die für den Stofftransport und den Aufbau von Zellmembranen verantwortlich sind. Zugleich sorgt es für die Schweißausbrüche beim Genuss von Chili. Wie Forscher vor zehn Jahren entdeckten, aktiviert die Substanz die gleichen Nervenrezeptoren, die auch durch plötzliche Hitze angeregt werden – so erklärt sich das brennende Gefühl im Mund.
Zwischen der Schärfe eines Gewürzes und seiner Wirkung gibt es allerdings keinen direkten Zusammenhang. Zimt vertreibt zum Beispiel hervorragend den Schimmel, besser noch als Pfeffer, Ingwer, Kümmel oder scharfer Paprika. Auch mexikanischer Oregano und Basilikumöl verdrängen verschiedenste Schimmelpilze. Gegen das Wachstum von Kolibakterien lassen sich am besten Nelke und Knoblauch einsetzen. Zimt, Oregano, Salbei, Zwiebel und Sellerie helfen gegen verschiedenste Bazillen. Die Liste der wirksamen Pflanzen ist damit noch längst nicht vollständig. Je stärker und vielfältiger eine Speise gewürzt ist, desto schlechter stehen die Chancen für die Mikroorganismen. Und da genau diese sich bei Wärme schneller vermehren, werden Gewürze in südlicheren Ländern wohl ausgiebiger eingesetzt.
Waldemar Ternes, Professor am Zentrum für Lebensmittelwissenschaften in Hannover, bezweifelt jedoch, dass die antimikrobielle Wirkung bei uns eine wichtige Rolle spielt im Vergleich zur antioxidativen. Schließlich gelte es immer das Testsystem im Labor und die Speise in natura zu unterscheiden. Wenn die Bakterien und Pilze erst bei Konzentrationen aufgeben, bei denen die Nahrung bereits ungenießbar ist, nützt das Würzen herzlich wenig.
Was genau "genießbar" bedeutet, hängt vom Breitengrad ab, wie ein Blick in die Kochbücher verrät. Doch ganz gleich, wo wir speisen: Gewürze sorgen nicht nur für die Geschmacksnote, sondern auch für die Haltbarkeit und Verträglichkeit von Speisen. Wie Wissenschaftler vermuten, war dies sogar ihr Hauptnutzen. Damit erklärt sich auch, wieso uns die Gewürze so gut schmecken: Im Lauf der Evolution bedeutete länger essbares und gesünderes Essen einen Vorteil für die Gewürzliebhaber.
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