Stimmt es, dass Schnaps der Verdauung hilft?
Für viele ist er nach einem opulenten Festmahl obligatorisch: der Schnaps danach, von den Schweizern liebevoll »Verdauerli« genannt. Schon die Mönche im Mittelalter, die die Spirituosenproduktion perfektionierten, sahen in dem Hochprozentigen kein berauschendes Genuss-, sondern ein Heilmittel. Verdauungsfördernd wirkt das edle Stöffchen nach dem Essen trotzdem nicht, im Gegenteil.
Als Beleg für die Unwirksamkeit des angeblichen Verdauungshelfers – der besonders nach fettigen Mahlzeiten wahre Wunder wirken soll – muss in den letzten Jahren meistens eine Studie aus Zürich herhalten, die das »British Medical Journal« 2010 veröffentlicht hat.
Die Schweizer Forscher hatten dafür die Verdauung ihrer 20 Versuchsteilnehmer untersucht, nachdem sie ihnen Käsefondue, Brot und Getränke (mit oder ohne Alkohol) serviert und danach entweder 20 Milliliter Schnaps oder Wasser gereicht hatten. Zwar konnten die Wissenschaftler einen kurzfristigen, allgemein entspannenden Effekt auf die Probanden beobachten, allerdings stellten sie auch fest, dass der Alkohol die Magenentleerung verzögerte. Bei den Versuchsteilnehmern, die ausschließlich alkoholfreie Getränke zu sich genommen hatten, funktionierte die Verdauung deutlich besser. Warum? Vermutlich wirkt der hochprozentige Alkohol auf die Nervenbahnen des Magens, die für die Muskulatur zuständig sind. Der Schnaps hemmt die Reizweiterleitung und bremst so die Muskelbewegungen des Magens, die den Nahrungsbrei durch den Verdauungsapparat transportieren.
Ernsthafte, auch wissenschaftliche Bemühungen zur Aufklärung des Zusammenhangs »Alkohol« und »Verdauung« werden seit geraumer Zeit unternommen. So beschreibt Joseph König – seines Zeichens Professor und Vorsteher der agrarchemischen Versuchsstation Münster – schon 1889 (!) den Einfluss des »in mässigen Gaben genossenen Reizmittels auf die Verdauungsthätigkeit«. König beruft sich dabei auf die Ergebnisse seines japanischen Kollegen Ogata Masanori, der das Phänomen noch früher an Hunden erforscht hatte. Er beobachtete dabei zunächst, dass Alkohol im Magen selbst die Verdauung tatsächlich nicht beschleunigt sondern sogar verlangsamt. Nach dem Verschwinden des Alkohols aus dem Magen steigt der Säuregrad dort allerdings sprunghaft an – was nun wiederum die Verdauung fördert. Und so kombiniert König vor knapp eineinhalb Jahrhunderten: »Ein mäßiger Alkoholgenuss einige Zeit vor dem Essen muss daher günstig auf die Verdauung wirken.«
Der Aperitif ist der wahre Digestif
Kein schlechter Umkehrschluss, den König hier anstellt. Allerdings – heute ist die Forschung weiter – ist es nicht Alkohol, sondern die im Drink möglicherweise enthaltenen Bitterstoffe, die die Verdauung fördern. Sie regen die Drüsen in der Magenschleimhaut dazu an, Magensaft zu produzieren. Bitterstoffe sind für den Verdauungsapparat in gewisser Weise eine Art Treibstoff.
Viele Lebensmittel enthalten Bitterstoffe – allen voran bestimmte Obst-, Gemüse- und Kräutersorten –, aber eben auch einige Spirituosen, wie Anisschnaps, Sherry oder Portwein. Und so erfüllt der Verdauungsschnaps tatsächlich nur dann seinen Zweck, wenn man ihn eine halbe Stunde vor der Nahrung zu sich nimmt – und er gehörig Bitterstoffe enthält. Als alkoholfreie Alternative zum Magenbitter tut´s aber auch ein Espresso. Oder ein Glas Enziantee: einen Teelöffel geschnittene Enzianwurzel in 150 Milliliter Wasser geben, aufkochen und 5 Minuten ziehen lassen. Wohl bekomm´s!
Jetzt (k)ein Schnaps!
Zu spät: Sie haben sich gerade den Magen vollgeschlagen, und nun drückt und spannt es? Keine Panik. Schon 2007 machten sich Mediziner aus Mannheim auf die Suche nach dem besten Verdauungshelfer. Nachdem die Wissenschaftler ihre Versuchsteilnehmer erst mit Essen und dann wahlweise mit 40 Millilitern Brandy, Kräuterlikör, Obstler, Aquavit, Espresso, Wasser, Ethanol- oder Zuckerlösung abgefüllt hatten, fanden sie einen eindeutigen Spitzenreiter in Sachen Verdauungsunterstützung: Nichts bringt den Magen so auf Trab wie ein Spaziergang.
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