Verhaltensbiologie: Trauern Tiere?
Ob Tiere ein ähnlich reiches Innenleben haben wie wir, ist schwer zu ermitteln. Menschen betrauern den Verlust naher Angehöriger, entfernter Bekannter und manchmal sogar den Tod von Personen, die sie nicht einmal persönlich kannten. Die meisten von uns wissen, wie sich das anfühlt. Wir können daher die Trauer anderer erkennen, nachvollziehen und uns über unsere Gefühle austauschen. Aber wie kann man erfahren, ob es Wolf und Wildschwein ähnlich geht?
Tatsächlich harren manche Tiere nach dem Tod eines Nachkommen oder eines anderen Bindungspartners lange in dessen Nähe aus und zeigen dabei mitunter sogar Symptome einer Depression. Das beobachteten Forscher schon bei verschiedenen Spezies, etwa Delfinen, Schimpansen und Elefanten. Zudem gibt es zahlreiche Berichte über Hunde, die nicht von der Seite ihres toten Herrchens oder Frauchens weichen, diese teils aggressiv verteidigen und das Fressen einstellen. An der Konrad Lorenz Forschungsstelle konnten wir männliche Graugänse beobachten, die sich über Tage von ihren Schargenossen zurückzogen und apathisch wurden, nachdem ein Fuchs ihr brütendes Weibchen gerissen hatte – gerade so, als wären sie tief betrübt. Unklar bleibt freilich, ob solche Tiere tatsächlich in unserem Sinn trauern.
Zusammenleben ist erst durch Kontrolle egoistischer Triebe möglich
Plausibel ist allerdings, dass Tiere mit komplexer sozialer Organisation und starken Bindungen untereinander dazu in der Lage sind. Bindungspartner, egal ob Eltern und ihre Jungen, Geschlechtspartner oder Verwandte und Freunde, unterstützen sich auch im Tierreich. Die Anwesenheit der Partner wirkt beruhigend auf die Tiere, und sie versuchen, Trennungen zu vermeiden. Kein Zweifel, dass sie einander wiedererkennen und vermissen. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn sie beim Tod eines Partners teils probieren, mit ihm Kontakt zu halten und ihm Reaktionen zu entlocken, und sogar Trauerverhalten zeigen.
Die Neuroarchitektur hochsozialer Spezies spricht ebenfalls dafür, dass sie in der Lage sind zu trauern. Die Hirnareale, die mit sozialer Interaktion zusammenhängen, sind bei verschiedenen Säugetieren nahezu identisch. Auch bei Vögeln ähneln die entsprechenden Regionen unseren funktionell sehr stark. Zudem weiß man heute, dass Menschen mit anderen Säuge- und selbst Wirbeltieren zumindest die wichtigsten Grundemotionssysteme teilen. Alle Wirbeltiere besitzen ein spezialisiertes Netzwerk im Gehirn, welches für die Steuerung des Sozialverhaltens zuständig ist. Über etwa 500 Millionen Jahre Stammesgeschichte, seit den frühen Fischen, veränderte sich das halbe Dutzend Kerngebiete in Hirnstamm und Zwischenhirn nur wenig.
Soziales Zusammenleben wird jedoch erst durch die Kontrolle egoistischer Triebe möglich. Dies übernimmt bei den Säugetieren das Stirnhirn, der frontale Teil des Neokortex. Hier werden instinktive Impulse, spontane Gefühlsbewertungen und mentale Repräsentationen mit dem aktuellen Sinnesinput zusammengeführt, um passende Entscheidungen zu treffen. Vögel haben keinen Kortex, entwickelten aber parallel zum Stirnhirn der Säuger das so genannte Nidopallium caudolaterale, das ähnliche Aufgaben erfüllt. Dieser Komplex aus stammesgeschichtlich alten und jungen Funktionselementen verarbeitet auch den Verlust wichtiger Bindungspartner. Das dazugehörige Gefühl nennt man zumindest beim Menschen Trauer.
Da bei Tieren sehr ähnliche neuronale Prozesse ablaufen, ist es durchaus denkbar, dass sie ähnlich empfinden. Sicher werden wir uns da allerdings wohl nie sein – nicht nur, weil sich entsprechende experimentelle Untersuchungen aus ethischen Gründen verbieten, sondern vor allem, weil uns das subjektive Gefühlsleben von anderen letztlich verschlossen bleibt.
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