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Gedächtnis: Kann man etwas absichtlich vergessen?

Wollten Sie auch schon einmal eine negative Erfahrung aus Ihrem Gedächtnis streichen? Oft gelingt das sogar, nur nicht unbedingt auf Dauer.
Mittelalte Frau mit Sorgenfalten auf der Stirn

Wer hat sich nicht schon einmal gewünscht, etwas aus seinem Gedächtnis tilgen zu können – einen peinlichen Fehltritt zum Beispiel oder die Erinnerung an den verregneten Urlaub im letzten Jahr. Aber geht das überhaupt: etwas vorsätzlich vergessen?

Erinnerungen sind alles andere als Abbilder der Wirklichkeit. Nur ein Bruchteil dessen, was wir erleben, findet den Weg ins Gedächtnis, und mit der Zeit gehen die meisten Details auch wieder verloren. Neues Wissen kann zudem altes überschreiben – wenn uns etwa ein Freund seine neue Telefonnummer mitteilt, erinnern wir uns bald nicht mehr an die alte. Zum Glück verblassen unangenehme Erinnerungen häufig oder erscheinen in der Rückschau nicht mehr so schlimm. Manchmal schaffen wir es sogar, sie positiv umzudeuten und das Gute an einer an sich unangenehmen Erfahrung zu sehen.

Ob wir den Prozess des Vergessens aktiv steuern können, wurde bereits in vielen Studien untersucht. Die Ergebnisse sind allerdings komplex. Grundsätzlich scheint es möglich zu sein, sein Gedächtnis willentlich zu beeinflussen. Zeigt man Versuchspersonen ein Bild und fordert sie kurz danach auf, es wieder zu vergessen, können sie sich später tatsächlich oft schlechter daran erinnern als an andere Bilder ohne diese Aufforderung. Bei solchen Experimenten, in denen man zusätzlich per Elektroenzephalografie (EEG) oder funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) die Hirnaktivität messen kann, fanden sich Hinweise auf die neuronalen Mechanismen dahinter: Der laterale präfrontale Kortex (lPFC), eine Region im Stirnhirn, hemmt dabei offenbar die Aktivität des Hippocampus, einer wichtigen Zentrale der Gedächtnisbildung.

Vergessen bedeutet nicht unbedingt, dass eine Gedächtnisspur unwiederbringlich gelöscht ist

Unklar ist jedoch, ob gezieltes Vergessen dauerhaft funktioniert. Vergessen bedeutet nämlich nicht unbedingt, dass eine Gedächtnisspur unwiederbringlich gelöscht ist. Meist wird sie nur unterdrückt, bleibt im Prinzip aber bestehen. Und manches davon kehrt irgendwann noch stärker zurück. Dieser Effekt ist in der Forschung schon länger bekannt: Sobald ich nicht mehr versuche, einen unerwünschten Gedanken aktiv aus dem Bewusstsein fernzuhalten, drängt er sich mir umso mehr auf. »Denken Sie nicht an einen rosa Elefanten!« Bei dieser Aufforderung kann man es ohnehin schwer vermeiden, sich ein Rüsseltier in Pastell vorzustellen. Sobald man die Bemühung beendet, geht einem der rosa Elefant aber gar nicht mehr aus dem Sinn. Probieren Sie es mal aus!

Absichtliches Vergessen kann also nach hinten losgehen. Besonders hartnäckig sind häufig gerade jene Erinnerungen, die wir am dringendsten loswerden wollen, wie etwa solche an traumatische Erlebnisse. Daher hat das Verdrängen einen schlechten Ruf. Die von Sigmund Freud begründete Psychoanalyse stellt diese Idee sogar in den Fokus: Wer vor den Schatten des Vergangenen flieht, riskiert eine seelische Störung.

Das heißt allerdings nicht, dass wir uns mit allem Negativen intensiv beschäftigen müssen. Oft ist es durchaus sinnvoll, belastende Gedanken erst einmal beiseitezuschieben. Inzwischen gibt es einige Hinweise darauf, dass die Fähigkeit, Erinnerungen zu unterdrücken, langfristig dabei hilft, Belastungen abzufedern. Das legt zum Beispiel eine 2020 erschienene Studie nahe: Darin wurden Überlebende der islamistischen Terroranschläge von Paris 2015 untersucht, die eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) davongetragen hatten. Dabei brechen belastende Erinnerungen häufig unkontrollierbar über die Betreffenden herein. Bei wem dies der Fall war, der konnte in einem Test Erinnerungen an andere neutrale Reize eher schlecht unterdrücken. Augenzeugen der Attacken, die keine PTBS entwickelt hatten, gelang dies besser. Unklar ist hier jedoch, ob das gute Verdrängen der PTBS vorbeugte oder umgekehrt eine PTBS das Verdrängen erschwert. Aber selbst wenn die Fähigkeit zum absichtlichen Vergessen hilfreich sein mag – der betreffende Inhalt ist nicht einfach fort. Irgendwann muss man sich ihm womöglich doch stellen.

  • Quellen

Mary, A. et al: Resilience after trauma: The role of memory suppression. Science 367, 2020

Oehrn, C. R. et al.: Direct electrophysiological evidence for prefrontal control of hippocampal processing during voluntary forgetting. Current Biology 28, 2018

Ten Oever, S. et al.: An engram of intentionally forgotten information. Nature Communications 12, 2021

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