Weibliche Anatomie: Warum haben Menschen Brüste?
Brüste sind ein einzigartiges Merkmal des menschlichen Körpers. Frauen müssen von Pubertät an permanent Brüste mit sich herumtragen, während anderen Säugetieren das Brustgewebe nur für die Dauer von Schwangerschaft und Stillzeit schwillt. Dank dieses Umstands geht der weiblichen Sonderausstattung eigentlich jegliche Logik flöten: Wenn nicht zum Stillen, wozu haben Frauen dann Brüste?
Zunächst eine Bestandsaufnahme: Wie steht es um die Anatomie des einzigartigen Körperteils, das der Wissenschaft Rätsel aufgibt? Während der Pubertät bringen die Hormone die Brustentwicklung, Thelarche genannt, ins Rollen. Bis die Brust (lateinisch: mamma) für den Nachwuchs gebraucht wird, ist sie relativ übersichtlich: eine Brustdrüse im Speckmantel. Fett- und Bindegewebe machen die Brust aus, während der Drüsenanteil kaum ins Gewicht fällt.
Während der Schwangerschaft bewirken Hormone, dass die Drüse wächst und die Brust insgesamt größer wird. Die Drüsenanteile, die die Muttermilch abgeben, ein wässriges Gemisch aus Fetten, Kohlenhydraten und Proteinen, münden über die Milchgänge in die Brustwarze. Damit die Säuglinge gleich wissen, wo sie saugen müssen, liegen um die Brustwarze (im Brustwarzenhof) Duftdrüsen.
Brust ist nicht gleich Brust ist nicht gleich Brust
Aber nicht nur während der Schwangerschaft und Stillzeit stehen die weiblichen Brüste unter hormonellem Einfluss, sondern ständig. Die Brust – anatomisch korrekt übrigens kein Organ, sondern ein Hautanhangsgebilde – unterliegt im Menstruationszyklus ständig sich abwechselnden, wiederkehrenden Auf- und Abbauprozessen. Diese Dynamik kann fatale Folgen haben, wenn etwas aus dem Ruder läuft: Gerade in rasant teilungsaktiven Geweben wie dem der Brust sind entartete Zellen besonders zahlreich. Tatsächlich erkrankt eine von acht Frauen im Lauf ihres Lebens an Brustkrebs, der häufigsten Krebserkrankung bei Frauen. Wie der Biomathematiker Steve Horvath erst vor ein paar Jahren herausgefunden hat, scheint das beanspruchte Brustgewebe zudem schneller zu altern als der Rest des Körpers.
Brüste besitzen also in gewisser Weise ihre eigene Zeitrechnung. In jedem Fall aber haben sie ihren ganz individuellen Look: Groß, klein, spitz, rund, stehend oder hängend, keine Brust gleicht der anderen. Und damit zurück zur Ausgangsfrage – und den Problemen aller möglichen Antworten. Denn fest steht: Evolutionsbiologen kommen mächtig in die Bredouille, wenn sie zu erklären versuchen, warum Frauen Brüste haben. Geläufig sind mindestens fünf Erklärungsansätze:
Die Mimikry-Hypothese
Ende der 1960er Jahre landete der britische Zoologe Desmond Morris mit seinem Buch »The Naked Ape« (deutsch »Der nackte Affe«) einen Welterfolg. In seinem populärwissenschaftlichen Schmöker erklärt Morris das »Tier Mensch« durch den Vergleich von Homo sapiens mit anderen Primaten. Morris hat sich dabei auch einen Reim auf unser Problem zu machen versucht, und seine Theorie schwappt heute noch hartnäckig in jede Diskussion um die Evolution der weiblichen Brust. Brüste, so Morris, seien nachgeahmte Pobacken. Also ein Imitat des Hinterteils. Welches seinerseits durch den aufrechten Gang geformt wurde, um dann als Lockmittel eine zweite Karriere zu starten: Unseren Vorfahren, die auf allen vieren unterwegs waren, seien begehrenswerte Hinterteile von potenziellen Partnerinnen noch auf Augenhöhe begegnet. Dann, später, seien sie aber mit der Evolution des aufrechten Gangs aus dem Blickfeld gerutscht. Um sexuell (wieder? doch noch?) auf sich aufmerksam zu machen, hätten sich daher die beiden Rundungen im Brustbereich der Frau entwickelt. Es handelt sich also um Po-Mimikry: Brüste imitieren Hinterteile, die für aufrechte Zweibeiner schön im Blickfeld bleiben.
Irgendwie typisch: Mann Morris blickt ichbezogen und darwinistisch auf die weibliche Brust und denkt an Sex – Brüste sind dazu da, Männer anzuziehen.
Die Handikap-Hypothese
Allein ist Morris mit dieser Annahme beileibe nicht. Auch andere Forscher bewerben die weibliche Brust im wahrsten Sinne des Wortes als evolutionäre Attraktion. 1975 postulierte der israelische Biologe Amotz Zahavi das so genannte Handikap-Prinzip, mit dem sich auch die weibliche Brust erklären lässt: Wer es schafft, etwas so Unnötiges wie energetisch Kostspieliges mit sich herumzutragen und trotzdem zu überleben, der muss besonders fit sein und erstklassige Gene besitzen. Brüste könnten demnach ein ehrliches Signal für die reproduktive Fitness ihrer Besitzerin sein. Traumfrauen, die geschlechtsreif sind und mit denen es sich zu vermehren lohnt, weisen sich also praktischerweise auf den ersten Blick als solche aus – prallem Busen sei Dank!
Die Kamel-Hypothese
Aber Moment, wie war das mit »unnötig« und »energetisch kostspielig«? Stimmt nicht eher das Gegenteil? Ist die Brust – eigentlich ja eine Art weiblicher Fetthügel – nicht vielleicht gerade ein Energiereserve-Speicher für Schwangerschaft und Stillzeit? Auf diese Idee legte sich der Biologe Tim Caro 1987 mit seinem Kollegen Daniel Sellen fest, nachdem die beiden sich an den damals gängigen Hypothesen abgearbeitet hatten. Einen Schritt weiter in dieselbe Richtung ging dann 2001 der israelische Forscher Ran Arieli und verglich die weiblichen Brüste in ihrer möglichen Speicherfunktion furchtlos mit den Höckern von Kamelen.
Irgendwie verliert die Hypothese allerdings alle nicht schwangeren, nicht stillenden und schon etwas älteren Frauen aus dem Blick: Alle haben eben ständig Brüste, anders als bei unserer nächsten tierischen Verwandtschaft. Und auch die Busenwunder/Handikap-Theorie hinkt, erinnert man sich an die eingangs angedeutete großen Vielfalt unterschiedlich ausgeprägter Brüste – die auf der Nachfrageseite ja mit ebenso unterschiedlichen Vorlieben einhergeht. Denn egal ob erotisches oder ehrliches Signal: Müssten Frauen mit flachen Brüsten nicht längst ausgestorben sein, weil sie von überlegen großbusiger weiblicher Sexkonkurrenz stets ausgestochen werden?
Die »Form-folgt-Funktion«-Hypothese
Rein biologisch steht ohnehin fest, dass die Brustgröße nichts über die Fruchtbarkeit, das Stillvermögen oder die mütterlichen Qualitäten einer Frau verrät. Die Londoner Anthropologin Gillian Bentley verfolgt mit ihrer Hypothese auch daher einen ganz anderen, deutlich praxisnäheren Ansatz, um zu erklären, warum Frauen Brüste haben. Ihr fiel beim Stillen auf, dass ihr Kind ersticken müsste, wenn ihre Brust nicht so vorspringen würde. Während der Nachwuchs anderer Primaten, wie zum Beispiel der von Schimpansen, eine Art Schnauze mit vorstehendem Kiefer und Lippen haben, besitzen Säuglinge ein relativ flaches Gesicht. Eine hervortretende Brust kommt unserem Nachwuchs wortwörtlich entgegen, so dass ihnen während des Stillens Raum zum Atmen bleibt. Bentley vermutet, dass die menschliche Brust mit dem flacher werdenden Gesicht gewachsen sein könnte.
Klingt logisch, oder? Allerdings sind Hypothesen, die ein biologisches Feature (in diesem Fall die weibliche Brust) als beste Lösung rechtfertigen, immer etwas trügerisch: Sie schließen eher zufällige Entwicklungen aus und setzen voraus, dass wir gewissermaßen in der besten aller möglichen Welten leben.
Die »Kunst-um-der-Kunst-willen«-Hypothese
An diesem Punkt setzt die US-amerikanische Wissenschaftsjournalistin Natalie Angier an. Sie sieht die weibliche Brust pragmatisch und glaubt, dass sie im Wesentlichen aus purem Zufall entstanden ist. Während sie über Gesundheit, Wert oder Gebärfreudigkeit ihrer Trägerinnen nichts oder wenig aussagten, seien sie immerhin schön anzuschauen, was der menschlichen Schwäche für Ästhetik entgegenkäme. Brüste seien schlicht und ergreifend bloße Staffage, resümiert Angier. Unser Resümee muss dagegen provisorisch bleiben: Ob erotisches oder ehrliches Signal, nährendes Hautanhangsgebilde oder reine Staffage, wir wissen nicht genau, warum Brüste sind, wie sie sind. Ein Thema werden sie sicher erst mal bleiben.
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