Olfaktor- und Gastronomisches: Warum hat der Urin nach einer Spargelmahlzeit so einen merkwürdigen Geruch?
Schmackhaft und gesund – Spargel (Asparagus officinalis) ist im Grunde ein ideales Gemüse, wäre da nicht diese unangenehme Nebenwirkung, die schnell nach seinem Verzehr bemerkbar wird. Es riecht streng beim Pieseln. Was dem Spargelurin seinen intensiven Geruch verleiht? Schuld sind flüchtige Schwefelverbindungen, die uns in die Nase steigen. Allerdings müffeln nicht die Inhaltsstoffe des Spargels, sondern das, was unser Körper daraus macht. Methanthiol, Dimethylsulfid und Dimethyldisulfid heißen die stinkenden Stoffwechselprodukte. Man vermutet, dass dieses Trio infernale in einem bestimmten Spargelbestandteil seinen Ursprung hat, der Asparagusinsäure, auch Asparagussäure genannt.
Um das Geheimnis des charakteristischen Odeurs von Spargelurin ranken sich heute noch viele Mythen. Heroische Selbstversuche, um ebendieses Geheimnis zu lüften, gibt es seit dem 19. Jahrhundert. Während der Pharmakologe und Lebensmittelchemiker Albert Hilger 1874 sich noch selbst einer mehrtägigen Spargel-Bier-Diät unterzog und mit Eigenurin experimentierte, konnte der Mediziner und Chemiker Marcel Nencki auf die Kollegialität des übrigen Laborpersonals bauen: Tee und sieben Kilo Spargel reichte er ihnen zu Mittag und bekam, nun ja, reichlich zurück.
Damals reichten die experimentellen Möglichkeiten nicht aus, um die flüchtigen Geruchsstoffe auszumachen, und so blieb die Chemie des Spargelurins bis in die 1980er Jahre ein ungeklärtes Kuriosum. Dann allerdings überführte man endlich die drei geruchsbestimmenden Komponenten Methanthiol, Dimethylsulfid und Dimethyldisulfid. Eigentlich identifizierte man damals wesentlich mehr schwefelhaltige Stoffe im Spargelurin – sie spielen jedoch nur eine Nebenrolle bei der Aromabildung, denn entweder ist ihre Konzentration zu gering, oder wir sind rein physiologisch nicht in der Lage, sie zu riechen.
Ausscheider oder Nichtausscheider
21648 Proben mit Spargelurin sammelte man 1986 im Laufe einer zwölfmonatigen Studie mit 800 Versuchsteilnehmern in Großbritannien. Drei Wissenschaftler mit feinem Näschen, die zuvor bewiesen hatten, dass sie Methanthiol und Dimethylsulfid in geringer Konzentration in Urinproben erschnuppern konnten, werteten die Flut an Proben heldenhaft aus. Das Ergebnis der Studie gilt noch heute als repräsentativ: Etwa die Hälfte (43 Prozent) aller Spargelesser produzieren Urin mit dem nach Spargelverzehr typischen Geruch – sie sind so genannte Ausscheider. Bei der anderen Hälfte (57 Prozent), den Nichtausscheidern, riecht der Harn neutral. Ob Ausscheider oder nicht, darüber entscheidet das Erbgut. Die Fähigkeit, den charakteristischen Uringeruch zu produzieren, wird dominant vererbt und ist unabhängig vom Geschlecht – auch das wies man 1986 zweifelsfrei nach.
Von Flatulenzen bis zum Mundgeruch: Das stinkende Schwefelstofftrio (Methanthiol, Dimethylsulfid und Dimethyldisulfid) lässt einige Biogase peinlich durchdringend riechen. Wer der Vorläufer der schwefelhaltigen Geruchsstoffe ist, darüber spekuliert man immer noch, weil die chemischen Prozesse, die zwischen Ernte, Mahlzeit und Uringeruch ablaufen, hochkomplex und bisher unverstanden sind.
Neuere Untersuchungen legen Asparagusinsäure beziehungsweise ihre Derivate als Ausgangsstoff der späteren Geruchsstoffe nahe. Auch die Beobachtung, dass weißer Spargel geruchsprägender ist als grüner, passt zu dieser Annahme. Denn mit dem Austrieb des Spargels und dem Beginn der Fotosynthese nimmt die Konzentration von Asparagusinsäure und ihrer Derivate ab. Ob weißer, grüner oder violetter Spargel, die Farbe ergibt sich teilweise allein durch die unterschiedliche Ernteweise und nicht zwingend durch unterschiedliche Sorten. Weiße Spargeltriebe sind unter der Erde gewachsen und abgeschnitten worden, grüne und violette über der Erde.
Müffelst du noch oder schnüffelst du schon?
2010 konnten Forscher wissenschaftlich belegen, dass manche Menschen die schwefelhaltigen, charakteristischen Duftstoffe von Spargelurin tatsächlich nicht riechen können. Man spricht in diesem Fall von einer spezifischen Anosmie, also einem selektiven Nichtriechen. Die Fähigkeit, Spargelurin wahrzunehmen, ist – ebenso wie die Fähigkeit, ihn zu produzieren – erblich. Ein Zusammenhang zwischen beiden Fähigkeiten besteht allerdings nicht. Glücklich die, die vom eigenen Gestank verschont bleiben …
Der Gemüsespargel stellt die Asparagusinsäure natürlich nicht her, um uns zu ärgern. Vielmehr beschleunigt die Schwefelverbindung das Wachstum des unterirdischen Sprosses und hemmt gleichzeitig das Wachstum anderer Pflanzen in der Umgebung. Asparagusinsäure findet sich vor allem in den empfindlichen Sprossenspitzen, wo es Fressfeinde abwehren soll. Wahrscheinlich aber schützt der Schwefelstoff die Pflanze generell vor Schädlingen und Krankheiten. Im Falle des Spargel liebenden Homo sapiens ist dieser Abwehrmechanismus allerdings gründlich in die Hose gegangen.
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