Ernährung (ungesunde): Warum kann man nicht aufhören, Chips zu essen?
Kaum ist die Packung angebrochen, ist sie auch schon leer. Egal, ob wir hungrig oder satt sind. Chips in Maßen zu essen fällt uns, kurz gesagt, ziemlich schwer. Schuld daran ist ihre Zusammensetzung: 35 Prozent Fett und 45 Prozent Kohlenhydrate. Et voilá, da haben wir sie, die ultimative Naschformel. Allerdings macht uns nicht nur das unwiderstehliche Fett-Kohlenhydrat-Verhältnis zu hedonistischen Hyperphagiern, also einer Art unersättlicher Genussessern. Persönliche Vorlieben, aber auch körperliche und geistige Konstitution entscheiden mit über die magische Anziehungskraft der Chipstüte – oder vielmehr ihres Inhalts.
Erforscht hat das Chipsphänomen unter anderem die Lebensmittelchemikerin Monika Pischetsrieder von der Universität Erlangen. Gemeinsam mit ihren Kollegen hat sie 2015 dann die so genannte Naschformel in einer Schlüsselstudie postuliert: Die Tatsache, dass ein Fett-Kohlenhydrat-Verhältnis von 35:45 Lust auf mehr macht. Dafür hatten die Formelformulierer noch mit Ratten experimentiert, anschließend knabberte in den Erlanger Laboren dann aber auch Homo sapiens Kartoffelchips – im Namen der Wissenschaft, versteht sich.
Die Naschformel erklärt übrigens weit mehr als nur die Gier nach Kartoffelchips: Sie trifft auch bei Erdnussflips, bestimmter Schokolade und – last, not least – Nuss-Nougat-Creme ins Schwarze. Nehmen wir Nahrungsmittel mit dem Fett-Kohlenhydrat-Verhältnis 35:45 auf, aktiviert das den Nucleus accumbens, eine Struktur im Vorderhirn, die wir als Belohnungszentrum kennen, wie die Erlanger Forscher bei Durchleuchten ihrer naschenden Probanden erkannten. Also kommt das Signal: weitermachen, für Nachschub sorgen! So ein aktiviertes Belohnungszentrum lässt jegliche guten Vorsätze ganz schön alt aussehen. Da werden aus zwei Chips die halbe Tüte und aus einem Stück Schokolade, schwuppdiwupp, die ganze Tafel.
Hemmungslos gierig und nimmersatt
Nicht nur die Erlanger Forscher vermuten noch mehr Inhaltsstoffe als Auslöser einer Naschsucht, wie sie uns beim Chipsessen überkommt. Salz und Glutamat gehören hier zu den üblichen Verdächtigen. Darüber hinaus werden individuelle Neigungen gehandelt, die Konstitution oder die persönliche Fähigkeit zur Zurückhaltung. Möglich, dass bei knuspernden Kartoffelchips auch die Ohren mitessen, wer weiß.
Ziemlich sicher ist aber, dass Chips und Co sich in unser normales Sättigungsprogramm hacken – und es so außer Kraft setzen können. Im Normalfall melden sich nervöse und hormonelle Signale (wie zum Beispiel Insulin) ziemlich verlässlich, sobald wir satt sind. Sie aktivieren dann Sättigungsschaltkreise im Hirn, die die Nahrungsaufnahme unterdrücken und die durch Essen ausgelösten Belohnungsroutinen weniger wirkungsvoll machen: Sind wir satt, befriedigt uns Essen nicht mehr wirklich. Das macht den Nachschlag für uns weniger attraktiv. Bei Kartoffelchips und anderem Sucht-Food ist das anders. Sie scheinen Sättigungsmechanismen außer Kraft zu setzen und die Belohnungsschaltkreise weiter aktiviert zu lassen: Auch im satten Zustand machen uns Chips und Co so weiter Lust auf mehr.
Evolution vs. schlanke Linie – 1:0
Natürlich können wir nichts für den Heißhunger auf alles, was ein Fett-Kohlenhydrat-Verhältnis von 35:45 hat. Tatsächlich ist die Mischung physiologisch ideal für den Körper, denn die Kohlenhydrate liefern schnell abrufbare Energie, und der Fettanteil sorgt obendrein für Energiespeicher. Für unsere Vorfahren, die weder regelmäßig noch zuverlässig ihren Hunger stillen konnten, wären also Chips, Flips, Schokolade und Nuss-Nougat-Creme die idealen Nahrungsmittel gewesen – allerdings auch nur, weil sie sie nicht ständig und mühelos vor die Nase gesetzt bekamen.
Heute sorgt für reichlich Hüftgold, was eigentlich nur ideale Verwertung von früher seltenen Kalorienbomben war. Wie stark unser Belohnungszentrum auf Knabberzeug anspricht, hängt laut Pischetsrieder und Kollegen auch mit unserem Body-Mass-Index (BMI) zusammen. Bei ihren Chips schlemmenden Testpersonen entdeckten sie, dass Belohnungsareale umso stärker ansprachen, je höher deren BMI war. Diese Beobachtung lässt sich unterschiedlich auslegen. Entweder so: Übergewichtige haben es schwerer, zu widerstehen. Oder so: Vielleicht bedingt das größere Belohnungsempfinden ursächlich den erhöhten BMI.
Wer sich und sein evolutionäres Erbe kalorientechnisch überlisten will, der dosiert Chips am besten streng. Statt alles aus der Tüte, isst man am besten nur einen Teil, den man sich, zum Beispiel in eine Schüssel, abfüllt. Oder man setzt statt auf Industriechips gleich auf selbstgemachte Kartoffelchips. Die schmecken vorzüglich, enthalten (wenn man es richtig macht) weniger Fett – und lassen uns mehr Glauben an unseren freien Willen.
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