Wahrnehmung: Wirken möblierte Räume größer als leere?
Manch einer macht beim Umzug eine seltsame Erfahrung: Die neue Wohnung wirkt plötzlich größer, nachdem man sie bezogen und möbliert hat. Wie kann das sein? Speziell hierzu gibt es leider kaum wissenschaftliche Arbeiten. Dass die subjektiv empfundene Ausdehnung einer geometrischen Form jedoch zunehmen kann, sobald diese ausgefüllt oder untergliedert wird, bestätigen Wahrnehmungspsychologen.
Ein bekanntes Beispiel ist die Oppel-Kundt-Täuschung: Zeichnet man zwei gleich lange, waagerechte Linien nebeneinander auf ein Blatt Papier und unterteilt eine davon durch viele kleine senkrechte Striche im gleichen Abstand voneinander, so erscheint diese Strecke auf einmal länger als die andere. Wie es dazu kommt, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt. Vermutlich wirken dabei verschiedene Mechanismen zusammen, etwa die Effekte von Augenbewegung und der wechselseitigen Hemmung benachbarter Sinneszellen in der Netzhaut.
Wie wir Innenräume wahrnehmen, ist eine komplexe Angelegenheit. Zunächst muss man unterscheiden, ob tatsächlich die geschätzte physische Ausdehnung (Wie viele Quadratmeter hat dieses Zimmer?) gemeint ist oder eher ein Eindruck von Geräumigkeit (Wie weitläufig erscheint der Raum?). Denn selbst ein kleiner Raum kann geräumig wirken. Die wohl erste wissenschaftliche Studie zum Thema erschien 1973. In diesem Versuch sollten Architekturstudenten sowohl Größe als auch Geräumigkeit eines knapp zehn Quadratmeter großen Raums beurteilen. Der wurde einmal leer, einmal normal möbliert und einmal vollgestellt präsentiert. Resultat: Normal möbliert wirkte das Zimmer zwar geräumiger als leer oder vollgestellt, bei der wahrgenommenen Größe lag allerdings der leere Raum vorn. Auch die Anordnung der Möbel beeinflusste die Wahrnehmung: In einer Folgestudie ließ eine sinnvolle Anordnung der Möbel das Zimmer geräumiger erscheinen als eine bloß zufällige.
Als ich gemeinsam mit Kollegen 2014 eine ähnliche Studie mittels Miniaturmodellen durchführte, kamen wir zu einem anderen Ergebnis. Möbel ließen einen Raum diesmal zwar höher, aber weniger geräumig erscheinen. In virtuell simulierten Räumen bestätigte sich dieser Effekt dagegen nicht; hier hatte die Möblierung keinen Einfluss. Diesen spärlichen empirischen Daten stehen gängige Empfehlungen in Einrichtungsratgebern gegenüber: Für kleine Räume empfehlen Innenarchitekten meist eine helle, nicht zu wuchtige Möblierung. Ein weiterer beliebter Tipp für kleine Räume sind niedrige Möbel, etwa bodennahe Sitzgelegenheiten und Tische, wie in Japan üblich.
Sowohl empirische Arbeiten als auch die Tipps der Einrichtungsprofis deuten also darauf hin, dass man sein Zuhause nicht zu sehr vollstellen sollte, um einen großzügigen Eindruck zu erzielen. Dass möblierte Räume jedoch generell größer wirken als unmöblierte, gibt der Forschungsstand nicht her. Ob dieser Effekt auftritt, hängt möglicherweise von weiteren Faktoren wie der tatsächlichen Ausdehnung ab. So wäre es denkbar, dass vor allem weitläufige Wohnungen eingerichtet noch größer wirken, da Sofa, Esstisch und Schrankwand dem Betrachter erst einen optischen Maßstab für deren Dimensionen bieten.
Simulationen in virtueller Realität haben den Vorteil, dass man vergleichsweise einfach und realitätsnah eine Vielzahl unterschiedlich möblierter Räume erstellen und weitere Einflüsse wie die Raumgröße und -form, Art des Mobiliars, Beleuchtung oder die Position von Fenstern und Türen manipulieren kann. So lässt sich die Frage nach der Wirkung von Möbeln auf die subjektive Raumgröße hoffentlich bald beantworten. Vielleicht kommen wir dann auch den dahinterliegenden Mechanismen auf die Spur.
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