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Geschichte: Warum rollen wir einen roten Teppich aus?

Wenn die Verleihung der Academy Awards beginnt, darf eins nicht fehlen: der rote Teppich. Er ist der Inbegriff von Ruhm, Macht, Glanz und Glamour. Aber warum ist er eigentlich rot?
Roter Teppich in Cannes

Am 26. Februar werden in Los Angeles zum 89. Mal Oscars an die besten Schauspieler, Filme und Produzenten verliehen. So spannend das Warten auf die Verkündung der Preisträger der Academy Awards ist, so vorhersehbar sind die Rituale rund um das Medienspektakel. Das wohl wichtigste Symbol für den Ruhm und künstlerischen Erfolg ist der Gang über den roten Teppich – die begehrten Meter gewebter, eingefärbter Auslegeware, die einigen Auserwählten die Gelegenheit geben, sich ausführlich bewundern und ablichten zu lassen. Auch für Staatsoberhäupter und Diplomaten "rollen wir den roten Teppich aus". Aber warum ist der Teppich eigentlich rot?

Die erste explizite Erwähnung eines roten Teppichs in unserem heutigen Sinne stammt aus dem frühen 20. Jahrhundert. Als am 17. Juni 1902 die Dampflok "20th Century Limited" ihre Jungfernfahrt von New York nach Chicago antrat, begrüßten die Bahnmitarbeiter ihre zahlungskräftigen Gäste im wörtlichen Sinn mit einem roten Teppich. Die Lok, die später als der "berühmteste Zug der Welt" in den Schlagzeilen und Geschichtsbüchern landen sollte, hatte eine Sterneküche und luxuriöse Schlafkabinen an Bord, bot seinen Passagieren Sekretariatsdienste und eine ausschweifende Abendgestaltung an. Der rote Teppich, auf dem die Gäste den Zug betraten, wurde sprichwörtlich für das Gesamtpaket, das die Lok zu bieten hatte: Das "red carpet treatment" der Eisenbahngesellschaft entwickelte sich zum Synonym für einen exklusiven Empfang und zur Metapher für eine besonders ehrerbietige Behandlung. Auch die amerikanische Filmakademie, bei der "Oscar"-Verleihung in Los Angeles Gastgeberin des wohl berühmtesten "red carpet event" der Welt, führt den roten Teppich auf den Luxuszug aus der Belle Époque zurück.

Die Assoziation von Exklusivität und Rang und Namen mit der Farbe Rot reicht de facto allerdings viel weiter zurück und dürfte ursprünglich einen recht profanen Grund gehabt haben: den Preis des roten Farbstoffs. Rot – oder Purpur – war einst der teuerste Farbstoff der Welt, da man ihn aufwändig aus einem Sekret der Purpurschnecke gewinnen musste.

In der griechischen und römischen Antike schrieb man die Entdeckung der prächtigen Farbwirkung des Schneckensekrets den Phöniziern zu, genauer gesagt den Einwohnern der Stadt Tyros im heutigen Libanon. Die frühesten archäologischen Zeugnisse für die Nutzung der Purpurschnecken in Europa stammen aus dem minoischen Kreta sowie aus der bronzezeitlichen Siedlung Coppa Nevigata im südlichen Italien. In beiden Regionen haben Wissenschaftler große Mengen an Schneckenschalen gefunden, die in die Zeit um 1600 v. Chr. datieren.

Alles was gut und teuer ist

Wie man den purpurnen Farbstoff genau herstellte, wissen Historiker von verschiedenen antiken Autoren, darunter Aristoteles und der römische Autor und Naturforscher Plinius. Zwischen Herbst und Frühjahr fischte man die Purpurschnecken lebend mit Hilfe von kegelförmigen Netzschläuchen aus dem Mittelmeer. Kleinere Schnecken zerdrückte man ganz, bei größeren Tieren entfernte man zunächst die Hypobranchialdrüse, die das schleimige Farbsekret produziert. Die Fischer quetschten dann das Sekret aus den Drüsen und legten die Masse für einige Tage in Salz ein, um sie dann in Wasser oder verdünntem Urin eindicken zu lassen. In dieser Zeit konnte man nach und nach alle fremden Bestandteile von der Oberfläche abschöpfen, so dass nach zirka einer Woche der reine Farbstoff zurückblieb. Zu den beliebtesten Schneckenarten der Mittelmeerregion zählte Hexaplex trunculus.

Plinius hebt hervor, dass man den Stoff nach dem Färben für einige Zeit in die Sonne legen musste, da sich die purpurne Farbe erst durch intensive Lichteinwirkung voll entfaltete. Die Herstellung des Farbstoffs und der eigentliche Färbungsprozess waren demnach äußerst langwierig und mit erheblichem Aufwand und enormen Kosten verbunden. Archäologen haben mehrfach zu rekonstruieren versucht, wie viele Schnecken man zur Färbung eines durchschnittlichen Gewands benötigte. Selbst nach einer konservativen Schätzung können wir davon ausgehen, dass man für ein einziges Gramm reinen Purpurs mehrere tausend Schnecken verarbeiten musste.

Aus diesem Grund entwickelte sich die Farbe Purpur schnell zu einem Statussymbol, das sich nur die Reichen und Mächtigen leisten konnten. Römische Senatoren trugen zum Zeichen ihrer Amtswürde und gesellschaftlichen Stellung eine Toga mit abgesetztem Purpursaum. Auch siegreiche Feldherren trugen während des Triumphzugs rote Gewänder. Mit dem Prinzipat wurde das Purpurgewand zum Ornat des ersten Manns im Staat. Für das 5. Jahrhundert wissen wir aus dem Kodex Theodosianus, einer Gesetzessammlung des oströmischen Kaisers Theodosius, sogar, dass es Privatleuten strikt untersagt war, rot gefärbte Gewänder zu tragen. In nachantiker Zeit ging der Brauch, sich in Purpur zu hüllen, von den Kaisern auf den Papst und die päpstlichen Legaten über. Bis heute ist Rot die offizielle Farbe der Kardinäle.

Teppiche kennen wir aus der griechischen und römischen Antike, aber es sind vor allem die Reiche des antiken Orients, die für die aufwändig geknüpften und gewebten Stoffe bekannt sind. Einfache Matten legte man auf den Fußboden, die teuren Stoffe dienten in der Regel als Wandschmuck. In jedem Fall waren Teppiche bereits vor 2500 Jahren erwiesenermaßen ein Zeichen von Luxus und gehobenem Lebenswandel. Einen interessanten Einblick erhalten wird durch den griechischen Historiker Xenophon: Persische Teppiche, so schreibt er, waren so prachtvoll, dass sie sich als Gastgeschenk an den Gesandten eines anderen Staats eigneten. Heute gehen Diplomaten nach einem offiziellen Besuch zwar selten mit einem geschenkten Teppich nach Hause, offizielle Staatsempfänge finden allerdings regelmäßig auf dem roten Teppich statt.

Komm auf den Teppich, Agamemnon!

Die möglicherweise früheste Erwähnung eines roten Teppichs überhaupt stammt übrigens aus der griechischen Tragödie "Agamemnon" von Aischylos: Der griechische Heerführer Agamemnon, König von Mykene, wird bei seiner Heimkehr aus dem Trojanischen Krieg mit einem roten Teppich empfangen, den seine Frau Klytämnestra zu seinen Ehren vor dem Hauseingang hat ausrollen lassen. Da Rot als die Farbe der Götter galt, weigert sich Agamemnon zunächst, den Stoff zu betreten, willigt jedoch schließlich ein.

Literaturwissenschaftler bringen die rote Farbe hier mit dem Blut an Agamemnons Händen in Verbindung – Blut aus dem Trojanischen Krieg, vor allem aber durch das Opfer, den Mord an seiner Tochter Iphigenie. Gleichzeitig dient der Teppich im Drama als unheilvolle Ankündigung dessen, was noch kommt: Der rote Stoff bahnt Agamemnon den Weg bis zu genau der Tür, hinter der er selbst ein blutiges Ende finden wird, wenn seine Frau den Tod der gemeinsamen Tochter mit der Axt rächt.

So entpuppt sich der Triumphmarsch über den roten Teppich manchmal eben doch als besonders elegante Methode, um ein Lamm zur Schlachtbank zu führen. Nicht anders mag sich auch der eine oder andere Teilnehmer der Oscar-Verleihung fühlen. Ein Glück, dass die Kritiker heutzutage wirklich nur noch ganz selten zur Axt greifen.

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