Warum starren wir beim Nachdenken Löcher in die Luft?
Meist passiert es ganz automatisch: Will das Gegenüber mal eben die Wurzel aus 74 oder Paragraf 17 der Straßenverkehrsordnung wissen, schauen wir ihn entweder kopfschüttelnd ungläubig an – oder schwer grübelnd ins Leere. Letzteres zeigen auch manche Autoren, wenn sie den verflixten ersten Satz eines Artikels suchen. Was gelangweilt, unhöflich oder nachlässig wirkt, ist eigentlich Mittel der Wahl bei anspruchsvollen Aufgaben. Denn der Blick ins Leere steigert die Qualität des Ergebnisses entscheidend.
So hat unter anderem Arthur Glenberg von der University of Wisconsin in Madison 1998 herausgefunden, dass Erwachsene umso häufiger den Blick abwenden, desto schwieriger die ihnen gestellte Aufgabe war. Und jene, die zur Seite schauten oder die Augen schlossen, lieferten mehr richtige Antworten als ihre Testkollegen, die den Blick nicht vom Fragesteller wenden sollten. Der Inhalt der Frage war dabei nicht entscheidend – und auch Verlegenheit war nicht die einzige Ursache. Stattdessen, so die einfache Erklärung, sorgt das Ausblenden der visuellen Information schlicht dafür, dass dem Gehirn mehr Rechenkapazität zur Lösung der gestellten Aufgabe zur Verfügung steht.
Schon Schulkinder beherrschen den Konzentrationstrick. Wie Gwyneth Doherty-Sneddon von der University of Stirling und ihre Kollegen entdeckten, starren auch Achtjährige Löcher in die Luft, wenn sie schwierige Fragen beantworten sollen. Wurde von ihnen verlangt, während des Nachdenkens ihr Gegenüber anzuschauen, schnitten sie beim Leistungstest schlechter ab. Hörten sie die Beschreibung eines Musters, das sie anschließend in einer ganzen Reihe von Vorlagen wiedererkennen sollten, meisterten sie dies besser, wenn sie beim Lauschen den Boden betrachtet hatten und nicht den Lehrer. Ebenso konnten sie sich besser an die Anzahl von Punkten auf einem Clownskostüm erinnern, wenn sie in der Pause zwischen Präsentation und Antwort keinen Blickkontakt halten sollten.
Und wann fangen Menschenkinder an, den Effekt mehr als zufällig auszunutzen? Die Kinder in Stirling jedenfalls im dortigen 1. Schuljahr, also mit etwa fünf Jahren. Wie das Team um Doherty-Sneddon feststellte, steigert sich im Lauf der Monate von der Einschulung bis zu den Sommerferien die Häufigkeit des Blickabwendens deutlich – wiederum verknüpft mit besserer Leistung. Es gelang den Forschern sogar, die Kleinen darin zu schulen: Wiesen sie diese an, beim Nachdenken wegzuschauen – was die Kinder in dem Alter sonst nur unregelmäßig taten –, bekamen sie häufiger richtige Antworten, zumindest in der Kategorie "schwierige Fragen". Handelte es sich um leichte Aufgaben, war es egal, wohin die kleinen Probanden den Blick richteten.
Vielleicht, so meinen die Forscher, sollten daher Kinder in der Schule in entsprechenden Situationen dazu ermuntert werden, die Augen abzuwenden, statt den Lehrer anzustarren. Und dieser könnte aus einem abwesenden Blick durchaus auch schließen, dass ein Schüler gerade in tiefes Grübeln versunken ist – und nicht gelangweilt abgeschaltet hat.
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