Nervensystem: Warum werden Finger und Zehen im Wasser schrumpelig?
Ein paar Minuten in einem wohlig warmen Schaumbad genügen, und schon sehen unsere Fingerkuppen aus wie kleine Rosinen: Die Haut ist schrumpelig geworden. Wieso passiert das? Und warum nur an Fingern und Zehen und nicht an anderen Stellen des Körpers?
Offensichtlich unterscheidet sich die Haut an Händen und Füßen grundlegend vom Rest. Es sind die einzigen Regionen, an denen keine Härchen wachsen; dafür gibt es hier so viele Berührungsrezeptoren wie nirgendwo sonst am Körper. Absorbieren die Finger und Zehen vielleicht einfach besonders viel Wasser und quellen dadurch stärker auf? Wenn überhaupt, ist das nur ein Teil der Erklärung. Der wahre Schlüssel zum Rätsel der Schrumpelfinger liegt nämlich im Nervensystem.
Wie Neurologen seit fast einem Jahrhundert wissen, zeigen Menschen, deren Nerven beschädigt sind, die so genannte Nässereaktion nicht. Ihre Finger schrumpeln nicht – egal, wie lange sie im Wasser bleiben. Das ist ein klares Indiz dafür, dass sich nicht bloß die Hornhaut mit Flüssigkeit vollsaugt. Es handelt sich vielmehr um eine aktive Reaktion: Bei längerem Kontakt der Haut mit Wasser sorgt das sympathische Nervensystem dafür, dass sich die winzigen Blutgefäße an Zehen und Fingern zusammenziehen. Wenn die Blutgefäße kontrahieren, wird die Haut nach innen gezogen. Die Fingerkuppen werden im Nassen also nicht etwa größer; genau genommen schrumpfen sie sogar ein bisschen.
Doch weshalb hat sich diese Reaktion beim Menschen überhaupt entwickelt? Ist sie ein bloßes Zufallsprodukt, oder bergen runzlige Fingerkuppen irgendeinen evolutionären Vorteil? 2011 stellten Forscher die Hypothese auf, die typischen Falten könnten – ähnlich wie das Profil eines Autoreifens – die Flüssigkeit besser ablaufen lassen. Dank der Rillen, so die Idee der Wissenschaftler, könnten wir in der Lage sein, Gegenstände trotz Nässe sicherer zu greifen als mit glatten Fingerspitzen.
Diese Theorie hat meine Arbeitsgruppe am Institut für Neurowissenschaften der Newcastle University experimentell überprüft. Dazu ließen wir Versuchspersonen verschiedene Glasmurmeln und Angelgewichte so schnell wie möglich von einem Behälter in einen anderen legen. Die Gegenstände waren entweder nass oder trocken, die Finger der Probanden schrumpelig oder glatt. Tatsächlich erwiesen sich die Rillen als Vorteil: Mit runzeligen Händen waren die Probanden im Schnitt zwölf Prozent schneller als mit glatten. Waren die Objekte selbst trocken, machte die Beschaffenheit der Haut allerdings keinen Unterschied.
Warum sind unsere Finger und Zehen dann nicht ständig schrumpelig, wenn die Hautfalten offenbar die Grifffestigkeit fördern? Vermutlich geht das Schrumpeln mit gewissen Nachteilen einher. So könnte faltige Haut beim Tasten weniger empfindlich sein, und zerfurchte Finger und Zehen sind womöglich anfälliger für Verletzungen. Das müssten weitere Studien klären. Unklar ist bislang zudem, ob sich die Nässereaktion nur beim Menschen oder auch bei anderen Primaten entwickelt hat.
Die Furchen an den Fingerspitzen könnten unseren Vorfahren geholfen haben, Nahrung am Ufer von Gewässern zu sammeln: Dank schrumpeliger Haut glitt ihnen die soeben aufgehobene Muschel nicht so leicht wieder aus der Hand. Auch der moderne Mensch profitiert von dieser raffinierten Anpassung des Körpers – nicht zuletzt beim Weintrinken in der Badewanne.
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