Emotionen: Warum wollen wir niedliche Wesen kneifen?
Hatten Sie schon einmal den Drang, in die Wangen eines Babys zu kneifen, seine speckigen Beinchen anzuknabbern oder einen Hundewelpen fester zu knuddeln, als gut für ihn wäre? Keine Sorge, dieses Verhalten ist ganz normal.
Angesichts eines süßen Geschöpfs wollen viele von uns nicht nur drauflos drücken und kneifen, sie tun es auch. Meine Kollegen und ich gaben Probanden Luftpolsterfolie in die Hand und ließen sie dann eine Diashow betrachten, zu der sie Fragen beantworten sollten. Teilnehmer, die Fotos von süßen Tierbabys sahen, zerdrückten mehr Luftblasen als solche, die ältere, lustige oder einfach weniger niedliche Tiere präsentiert bekamen. Selbst mit leeren Händen ballen viele Probanden die Fäuste, wenn sie von Niedlichkeit verzückt sind. Etwa zwei Drittel der Menschen geben an, diese seltsame Angewohnheit bei sich bemerkt zu haben – Hinweise darauf finden sich rund um den Globus.
Widersprüchliche Gefühle
Dass wir gegenüber niedlichen, hilflosen Lebewesen, die auf unseren Schutz angewiesen sind, aggressive Gesten zeigen, scheint zunächst widersprüchlich. Allerdings passt unser Verhalten ja häufig nicht zu dem, was wir gerade fühlen: Man denke nur an Freudentränen! So mancher, der einen Preis gewinnt, jubelt nicht, sondert fängt an zu weinen. Außenstehende, die nichts von dem Triumph ahnen, würden annehmen, die Person sei traurig.
Solche körperlichen Reaktionen, die von der eigentlich erlebten Emotion abweichen, nennen wir in der Fachsprache »dimorph«. Wir lachen aus Nervosität, verziehen das Gesicht, wenn wir ein leckeres Dessert kosten, schreien beim Konzert unserer Lieblingsband wie in heller Panik – oder beißen die Zähne zusammen und ballen die Fäuste, wenn uns Gefühle der Zärtlichkeit übermannen. Weshalb tun wir das? Solche dimorphen Reaktionen helfen uns wahrscheinlich, mit intensiven Gefühlen umzugehen, indem sie diese dämpfen. Grundlage hierfür sind afferente Nervenbahnen, über die das Gehirn Signale aus der Körperperipherie erhält. Sind sie der eigentlichen Emotion entgegengesetzt, mildert das den Gefühlsüberschwang. Vor Glück zu weinen, signalisiert uns Trauer – und verhindert, dass wir in Ekstase geraten.
Zusätzlich bietet das Weinen wohl einen sozialen Vorteil: Es zeigt unseren Mitmenschen genau, wie es uns geht. Ob jemand nach einem Sieg weint oder stolz die Faust in den Himmel reckt – beides drückt Freude aus. Allerdings signalisiert Ersteres auch, dass der Betreffende eine Pause benötigt. Als soziale Wesen müssen wir anderen laufend mit unserem Verhalten mitteilen, was wir in einer Situation brauchen: etwa Ruhe, Trost, Zuspruch oder Ausgelassenheit.
Auch die dimorphe Reaktion auf Niedlichkeit hat offenbar eine soziale Funktion. Ertappt uns jemand dabei, wie wir ein kleines Baby kneifen, erinnert er uns daran, wie zerbrechlich es ist, und mahnt uns zur Vorsicht. Das haben wir gerade in einer neuen Studie gezeigt. So können wir uns beruhigen, werden von unserer Zuneigung nicht überwältigt und können mit klarem Kopf für das Kleine sorgen.
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