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Mitgefühl: Was bewirkt Empathie im Gehirn?

Das Leid eines anderen Menschen empfinden wir oft fast so, als ob wir uns selbst in seiner Situation befänden. Dafür gibt es gute Gründe.
Eine Frau hält die Hand einer anderen.

Empathie ist seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs wieder in aller Munde. Warum empfinden wir anscheinend mehr Empathie für Geflüchtete aus Kiew oder Charkiw als für Migranten aus anderen, nicht weniger leidgeplagten Ländern? Sollten wir auf die Not und die Sorgen von anderen Menschen nicht immer gleich reagieren, egal, woher diese kommen und wie nahe sie uns stehen?

Die sozialen Neurowissenschaften versuchen, auf solche Fragen Antworten zu geben. Dafür ist es jedoch wichtig, genauer zu definieren, was mit Empathie eigentlich gemeint ist. In der Alltagssprache wird darunter meist verstanden, wie wir auf das Leid anderer reagieren und versuchen, dieses Leid zu mildern. Wissenschaftlich gesehen ist die Absicht, Menschen in Notlagen zu helfen, aber nur ein sehr spezifischer Teilaspekt des vielschichtigen Phänomens der Empathie.

Als Empathie bezeichnen wir in der Wissenschaft – und auch hier gibt es verschiedene Sichtweisen – eher die Fähigkeit, die Emotionen unserer Mitmenschen nachempfinden und verstehen zu können. Das ist keine triviale Aufgabe, denn wie kann man überhaupt wissen, was in jemand anderem vor sich geht? Schließlich haben wir keine Möglichkeit, in den Kopf unserer Nächsten hineinzuschauen oder ihre Gefühle direkt wahrzunehmen. Wir können die betreffende Person natürlich fragen, wie sie sich fühlt. Doch dabei ist ja nicht gesagt, dass sie das selbst so genau weiß. Meist müssen wir uns die Gefühlslage des Gegenübers also indirekt erschließen, zum Beispiel über Mimik und Gestik.

Aber wie verarbeitet das Gehirn dann solche Informationen? Diese Frage ist trotz intensiver Forschungsbemühungen in den vergangenen zwei Jahrzehnten noch nicht eindeutig geklärt. Laut einem weithin akzeptierten Forschungsansatz gründet Empathie auf der Aktivierung so genannter geteilter neuronaler Repräsentationen. Das heißt: Wenn wir Empathie mit einer traurigen Person empfinden, sind daran Bereiche des Gehirns beteiligt, die ebenfalls aktiv sind, wenn wir selbst die entsprechende Emotion spüren, in diesem Fall also Trauer.

Unser Gehirn reagiert auf das Leid des Gegenübers teilweise so, als ob es unser eigenes Leid wäre

So findet man zum Beispiel bei Versuchspersonen, die gerade mit schmerzgeplagten anderen mitfühlen, häufig Aktivierungen des vorderen insulären sowie des mittleren zingulären Kortex – beides Hirnareale, die auch dann aktiv sind, wenn Probanden im Labor selbst Schmerzen haben. Man spricht daher von einer Nach- oder Mitempfindung des Gefühlszustands der anderen Person.

Unser Gehirn reagiert auf das Leid des Gegenübers also zumindest teilweise so, als ob es unseres wäre. Dieses Als-ob ist aus zwei Gründen wichtig: erstens, weil wir durch die damit verbundene Emotion genauer einschätzen können, wie es der fremden Person gerade geht: Wir denken nicht nur, dass diese leidet, sondern spüren die gleiche Emotion teilweise in uns selbst. Zweitens ist die eigene emotionale Antwort ein wichtiger Antrieb für die Hilfsbereitschaft, die durch empathisches Mitfühlen häufig ausgelöst wird.

Emotionen haben evolutionär betrachtet eine ganz besondere Funktion: Sie sollen uns zum Handeln motivieren. In diesem Fall geht es um ein Verhalten, von dem vor allem die hilfsbedürftige Person profitiert, aber auch die helfende Person selbst hat durchaus etwas davon. Durch das Helfen reduziert sich das Leid des anderen und damit ebenfalls die als unangenehm empfundene empathische Als-ob-Antwort.

Doch warum helfen wir dann manchen Menschen eher als anderen? Möglicherweise, weil in unserem Gehirn die Als-ob-Antwort stärker und unmittelbarer ausfällt, je näher wir uns der betreffenden Person fühlen. Ob wir das für richtig oder falsch erachten, hat im engeren Sinn nichts mit Empathie zu tun – sondern vielmehr mit unseren Moralvorstellungen. Wenn wir erreichen wollen, dass wir auf alle Menschen ähnlich empathisch und hilfsbereit reagieren, gelingt das nur dadurch, dass wir soziale Normen wie Gleichheit und Fairness stärken und auf alle Menschen ohne Unterschied anwenden.

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  • Quellen

Rütgen, M. et al.: Placebo analgesia and its opioidergic regulation suggest that empathy for pain is grounded in self pain. PNAS 112, 2015

Zhou, F. et al: Empathic pain evoked by sensory and emotional-communicative cues share common and process-specific neural representations. eLife 9, 2020

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