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Gute Frage: Was passiert, wenn uns ein Wort auf der Zunge liegt?

Hin und wieder versagen wir während des Sprechens - wenn uns ein bestimmtes Wort partout nicht einfallen will, obwohl es eindeutig auf der Zunge liegt. Wie kommt das »Tip of the tongue«-Phänomen zu Stande?
"Gerade fällt es mir wieder ein" scheint der Mann am Telefon zu sagen

Auf dem Weg vom Gedanken zum gesprochenen Wort läuft nicht immer alles reibungslos. Ab und zu kommt es zu Fehlern – etwa in Form von Versprechern. Dann sagen wir zum Beispiel Dinge wie »Der Hund reviert sein Markier«. Hin und wieder versagt die Sprachproduktion sogar schon beim Abrufen von Wissen, so dass uns ein bestimmtes Wort partout nicht einfällt. Manchmal liegt es uns sprichwörtlich auf der Zunge: Wir wissen genau, wir kennen es, und können sogar gewisse Charakteristika angeben. Häufig tritt dieses »Zungenspitzen-Phänomen« bei Eigennamen auf. Dann haben wir beispielsweise das Gefühl, dass der Name der Nachbarin zwei Silben hat und mit B beginnt. Nur der Rest kommt uns leider nicht in den Sinn. Allerdings kommt es uns häufig so vor, als würde uns das entfallene Wort jeden Moment über die Lippen gehen. Wo genau hakt es in solchen Augenblicken?

Hierfür müssen wir uns kurz vergegenwärtigen, wie unser mentales Lexikon aufgebaut ist. So bezeichnet man den Teil des Langzeitgedächtnisses, der sprachliches Wissen enthält. Das mentale Lexikon umfasst verschiedene Ebenen. Auf einer, der Formebene, sind das Schriftbild und die klangliche Gestalt jedes Wortes repräsentiert. Auf einer anderen wiederum sind seine Bedeutung sowie die Kombinierbarkeit mit anderen Wörtern gespeichert. Fachleute nennen diese die Lemma-Ebene (von griechisch: das Angenommene).

Weil geistige Prozesse aber nicht nur sprachlich ablaufen, muss noch etwas hinzukommen – nämlich die Konzepte. Diese sind wie Knoten mit verschiedenen Wissensaspekten verknüpft, darunter Bilder, Gerüche, Höreindrücke, Emotionen und eben Wörter. Hier ist all das abgelegt, was wir mit der Nachbarin verbinden, was sie für uns ausmacht. Um nun einen Gedanken in Sprache zu gießen, muss zunächst das betreffende Konzept aktiviert werden. Dann beginnt die Suche nach Einträgen im mentalen Lexikon, deren Bedeutung zu dem Konzept passt. Schließlich muss noch die Forminformation abgerufen werden: Wie heißt die Nachbarin noch mal?

Auch wenn wir nicht sofort darauf kommen, können wir doch manchmal angeben, welchen Geschlechts das gesuchte Wort ist (also nicht die Nachbarin selbst, sondern das Substantiv ihres Namens) und dass es sich beispielsweise um eine Berufsbezeichnung handelt. Das spricht dafür, dass der Zugriff auf die Lemma-Ebene funktioniert, denn hier sind Informa­tionen wie das gramma­tikalische Geschlecht (Genus) eines Wortes hinterlegt. Zudem zeigen Experimente im Sprachlabor: Ein phonologischer Hinweis, also ein klanglich ähnliches Wort (»sauer«, wenn die Nachbarin Frau Bauer heißt) hilft eher, auf den Namen zu kommen, als zum Beispiel ein Wort mit ähnlicher Bedeutung (»Landwirt«). Das deutet darauf hin, dass das Problem auf der Formebene angesiedelt ist.

In rund einem Drittel der Fälle gelingt es Probanden nicht, das Genus eines Substantivs zu bestimmen, das ihnen auf der Zunge liegt. Hier hakt es offenbar sowohl auf der Form- als auch auf der Lemma-Ebene. Zusammengenommen heißt das: Ein Wort, das einem auf der Zunge liegt, wird auf einer oder mehreren Ebenen unvollständig aktiviert. Deshalb wissen wir zwar mitunter, worauf es sich reimt oder auf welcher Silbe man es betont – nur seine ganze Gestalt ist (noch) nicht zusammengesetzt.

Leider gibt es keine sichere Technik, wie man einen solchen Zustand am besten überwindet. Denn im Alltag steht meist kein Versuchsleiter parat, der einem mit Tipps auf die Sprünge hilft. Ich persönlich versuche dann etwa, alle jene Wörter, die ich ausschließen kann, laut auszusprechen. So kann man sie mental aus dem Weg räumen. Aber das hilft nicht immer.

Wenn Ihnen das nächste Mal ein Wort auf der Zunge liegt, trösten Sie sich – das ist ganz normal! Das Phänomen gibt es in allen Sprachen der Welt. Schätzungen zufolge geraten wir im Schnitt einmal die Woche derart ins Stocken; Ältere etwas häufiger als Junge.

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  • Quellen
Brown, A. S.: A review of the tip-of-the-tongue experience. Psychological Bulletin 109, 1991 Dietrich, R., Gerwien, J.: Psycholinguistik – Eine Einführung. J. B. Metzler, 3. Auflage 2017 Meyer, A. S., Bock, K.: The tip-of-the-tongue phenomenon: Blocking or partial activation? Memory & Cognition 20, 1992

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