Gesundheitsgefahr durch E-Zigarette : Wie schädlich sind E-Zigaretten wirklich?
Im Juni 2019 sorgten die Behörden von San Francisco in den USA für Aufregung: Sie haben E-Zigaretten verboten, und zwar erst mal ganz. »E-Zigaretten sollen besonders Jugendliche mit ihren Farben und Geschmacksrichtungen anziehen und sie in eine Nikotinabhängigkeit locken«, erklärt Shamann Walton, Politiker in San Francisco, bei einer Pressekonferenz. Die Stadt befürchtet also, dass das Aufkommen der Verdampfer die Erfolge der Tabakprävention der vergangenen Jahre zunichtemachen könnte – und hat daher ein generelles Verbot ausgesprochen. Das soll gelten, bis die US-amerikanische Aufsichtsbehörde für Lebensmittel und Medikamente FDA (Food and Drug Administration) in Studien nachweisen kann, dass E-Zigaretten unbedenklich sind. Seitdem tobt der Kampf zwischen Industrie, Behörden und Justiz: Die E-Zigaretten-Industrie hat sich vorerst mit juristischen Mitteln dagegen gewehrt, einer Evaluation durch die FDA nachkommen zu müssen.
Zunächst nur Vorsorgemaßnahmen
Ist das Verbot gerechtfertigt? Oder Panikmache? In Deutschland sind E-Zigaretten seit 2006 problemlos erhältlich – und spätestens seitdem streiten Medien, Mediziner und Politik auch hier zu Lande heftig über die gesundheitsschädliche Wirkung des so genannten »Dampfens«. Die Diskussion zog zunächst präventive Maßnahmen nach sich: Seit 2016 greift eine strengere Tabakrichtlinie, die auch die E-Zigaretten unter das Jugendschutzgesetz gestellt hat. An anderer Stelle hat der Gesetzgeber ebenfalls durchgegriffen und Liquids verboten, die mit dem Namen oder Inhaltsstoffen wie Vitaminen einen gesundheitsfördernden Effekt suggerieren oder stimulierende Substanzen wie Koffein oder Taurin enthalten. Diskutiert wurde im Sommer 2019 auch über Werbeverbote – und darüber, ob diese ebenso strikt wie für klassische Tabakprodukte ausfallen sollten.
Aber wie bedenklich sind E-Zigaretten wirklich, und welche gesundheitlichen Folgen sind bisher bekannt? Vorweg: Die Studienlage ist noch dünn. Erst nach und nach gewinnt die Wissenschaft Einblicke in die Folgen des »Dampfens«. Ein Problem dabei ist, dass sich die Langzeitfolgen bisher nicht absehen lassen. »Um diese erforschen zu können, müssen die Produkte lange auf dem Markt sein und genügend Anwender finden«, sagt Ute Mons, Leiterin des WHO-Kollaborationszentrums für Tabakprävention und der Stabsstelle Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg.
Die Wirkung von Nikotin
Wer die Gesundheitsrisiken von E-Zigaretten abstecken möchte, muss sich zunächst mit den einzelnen Inhaltsstoffen auseinandersetzen. Der erste Blick gilt dabei dem Klassiker in Tabakprodukten, dem Nikotin. Dieses ist längst nicht immer in E-Zigaretten enthalten – wenn doch, dann sind in Deutschland maximal 20 Milligramm pro Milliliter Liquid erlaubt, im Ausland werden allerdings auch deutlich höher dosierte Kartuschen gehandelt.
Nikotin wirkt sich recht unterschiedlich auf die Atemwege, das Herz-Kreislauf-System und das Immunsystem aus. Es greift vor allem im Gehirn ein und aktiviert dort unter anderem das Belohnungssystem, steigert aber auch Wachheit und Aufmerksamkeitsleistung. Über einen komplexen, vielschichtigen Mechanismus zügelt es den Appetit und beschleunigt die Verdauung. Neben diesen von Konsumenten gewünschten Effekten führt Nikotin jedoch zu Blutdruckanstieg, es fördert die Blutgerinnungsneigung und die Schmerzempfindlichkeit sowie möglicherweise Atherosklerose. Dadurch könnte für die Konsumenten das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie zum Beispiel Herzinfarkte oder koronare Herzerkrankungen, Gefäßverschlüsse, Schlaganfälle und viele andere Erkrankungen steigen. Nutzer berichteten in einer großen Studie auch von gehäuft auftretenden Irritationen im Mund- und Rachenraum. Die FDA berichtet zudem von Krampfanfällen nach nikotinhaltiger E-Zigaretten-Nutzung. Ob hier jedoch wirklich ein Zusammenhang besteht oder es sich um Zufall handelt, ist noch nicht endgültig ausgemacht.
Allerdings können sogar nikotinfreie Liquids gesundheitsschädliche Folgen haben. So berichteten Wissenschaftler, dass der Dampf allein, also ohne Nikotin oder Geschmacksrichtungen, bereits entzündungsfördernde Prozesse in Haut- und Lungenzellen auslöst. Von einer höheren Anfälligkeit für virale Infektionen der Atemwege sowie von nachlassender Abwehr gegen Bakterien und Viren wird ebenfalls berichtet.
Unklare Studienlage
Wie E-Zigaretten schaden könnten, wird weiter untersucht. Befürchtet wird, dass sie sich vor allem auf das Herz-Kreislauf-System auswirken. So berichteten beispielsweise Mohinder Vindhyal von der University of Kansas in Wichita und Kollegen 2019 auf der Jahreskonferenz des American College of Cardiology über Befunde, denen zufolge das Risiko für einen Herzinfarkt mit der Nutzung von E-Zigaretten um etwa 34 Prozent anstieg, das für koronare Herzerkrankungen um 25 Prozent und die Wahrscheinlichkeit, an Depressionen oder einer Angststörung zu erkranken, um 55 Prozent. Wie andere Forscherteams, die zum Thema arbeiten, relativieren die Wissenschaftler die derzeitige Bedeutung der Ergebnisse jedoch: Ihre Studie könne zwar Zusammenhänge aufzeigen, nicht jedoch einen kausalen Zusammenhang.
»Mit solchen Schlussfolgerungen sollte man generell vorsichtig sein«, schränkt auch Ute Mons vom Heidelberger DKFZ die Ergebnisse ein – vor allem mit Blick auf das zum Risiko für psychische Erkrankungen. »Es gibt einen Zusammenhang zwischen Rauchen und Depressionen oder psychischen Erkrankungen allgemein. Der ist aber wohl eher damit zu erklären, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen eher die Tendenz haben, zu rauchen und sich damit zu beruhigen. Das kann für E-Zigaretten genauso gelten, zumal viele Dampfer auch aktuell Raucher sind oder früher waren«, erklärt die Krebsforscherin. Einiger sind sich die meisten Experten darin, dass E-Zigaretten im Vergleich zu klassischen Zigaretten weniger bedenklich sind, was das Krebsrisiko angeht. Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Entzündungsprozessen, Asthma und Co hingegen gibt es noch viel Forschungsbedarf: Die meisten Studien, die erhöhte kardiovaskuläre Risiken beschreiben, achteten bislang nur auf Kurzzeiteffekte.
Während schon einiges dazu bekannt ist, wie Nikotin im Körper wirkt und ihn krank machen kann, sieht es bei den Geschmacksstoffen der E-Zigaretten noch ganz anders aus. Bei vielen »Flavours« sind die genauen Inhaltsstoffe unbekannt, mancherorts werden sie nicht einmal mit hohen Standards überprüft. Zwar herrscht in der EU Kennzeichenpflicht, und alle Liquids kommen mit einem Beipackzettel, der die Bestandsstoffe auflistet. Viele Substanzen werden dabei jedoch schlicht als »Aroma« abgehandelt – was sich dahinter verbirgt, wissen zumeist nur die Hersteller.
Über Zusätze und Nebenwirkungen
In der Vergangenheit sind so potenziell schädliche Substanzen wie Silber, Nickel, Aluminium oder Nanopartikel im Dampf nachgewiesen worden. 2015 sorgte eine Studie von Joseph Allen und Kollegen von der Harvard School of Public Health in Boston für viel Aufregung: Die Wissenschaftler hatten 51 Geschmacksrichtungen untersucht. In 39 fanden sie Diacetyl, in 23 Pentandion-2,3. Beide Substanzen werden verdächtigt, mit der so genannten »Popcorn-Lunge« zusammenzuhängen, im Fachjargon Bronchiolitis obliterans. Dabei handelt es sich um eine schwere Entzündung der kleinen Atemwege – der Bronchiolen –, die dazu führt, dass diese vernarben und sich dadurch stark verengen. Zuerst entdeckt wurde dieses Phänomen bei Arbeitern in Popcornfabriken: Popcorn wird häufig Butteraroma zugesetzt, das Diacetyl und Pentandion-2,3 enthält. In fester oder flüssiger Form ist es für den Menschen, so glaubt man derzeit, nicht lungenschädlich. Als Dampf könnte es jedoch Entzündungen auslösen – und ebendies konnte das Forscherteam um Allen Anfang 2019 in seiner Laborstudie nachweisen.
Die Gesundheitsbehörden der USA gehen seit dem Sommer 2019 der Befürchtung nach, der Zusatzstoff α-Tocopherylacetat (Vitamin-E-Azetat) könnte Konsumenten von E-Zigaretten gefährlich werden. Zuvor hatten sich die Meldungen ungeklärter Lungenerkrankungen nach dem Konsum von E-Zigaretten gehäuft, die mit Atembeschwerden, Brustschmerzen, Erbrechen oder Durchfall einhergingen. Mindesten drei Menschen sind gestorben. Die Betroffenen hatten vorher Liquids mit dem psychoaktiven Cannabiswirkstoff THC konsumiert, und in einigen Proben hatte die FDA α-Tocopherylacetat nachgewiesen. Es ist allerdings noch durch keine wissenschaftliche Untersuchung eindeutig nachgewiesen, dass der Zusatzstoff tatsächlich mit Krankheitssymptomen im Zusammenhang steht. In Deutschland darf die Substanz – wie andere Vitamine sowie THC – den Liquids von E-Zigaretten ohnehin nicht zugefügt werden.
Eindeutig problematisch ist dagegen, dass Chemikalien wie Diacetyl und Pentandion-2,3 in den meisten Ländern nicht auf der Packung angegeben werden müssen: Sie können sich hinter dem Allgemeinplatz »Aromen« oder »Aromastoffen« verstecken, der sich trotzdem mit dem Marketingzusatz »natürlich« oder »naturidentisch« schmücken darf. Zudem: E-Zigaretten-Nutzer, so Joseph Allen besorgt, »erhitzen diese Geschmacksstoffe und atmen Chemikalien ein, die nie auf ihre Sicherheit getestet wurden, wenn man sie einatmet«. Immerhin geben manche E-Zigaretten-Hersteller an, dass sie weder Diacetyl noch Pentandion-2,3 verwenden. Dann bleibt laut Allen dennoch eine wichtige Frage: »Was nutzen sie stattdessen? Arbeiter werden gewarnt, wenn sie gefährliche Aromastoffe einatmen. Warum warnt man E-Zigaretten-Nutzer nicht?« In Deutschland hat der Gesetzgeber reagiert und bestimmte Aromen wie Diacetyl, Kumarin oder Bittermandel verboten. Im Ausland sind sie jedoch häufig weiterhin erhältlich.
Einstiegsdroge Dampf?
Über die vom Inhalt der E-Zigaretten ausgehenden Gesundheitsrisiken ist wenig bekannt, doch die Beliebtheit des »Dampfens« nimmt derzeit enorm zu. Besonders bei Jugendlichen, wie Zahlen aus den USA nahelegen: Im Jahr 2018 haben 21 Prozent der Zwölftklässler in einer landesweiten Umfrage angegeben, in den letzten 30 Tagen E-Zigaretten genutzt zu haben. Im Vorjahr waren es gerade einmal elf Prozent gewesen. Mit Blick auf solche Zahlen warnen Mediziner nun davor, dass die E-Zigarette zur »neuen Einstiegsdroge« wird: ein Suchtmittel, das leichter als klassischer Tabak zu konsumieren ist, junge Nutzer früh bindet und womöglich an härtere und nachweislich gefährliche Tabakprodukte heranführt.
Insbesondere fruchtige und süße Aromen könnten Jugendliche für die E-Zigarette begeistern, wie eine aktuelle Studie aus den USA vermuten lässt. Samir Soneji und Kollegen der Dartmouth Geisel School of Medicine hatten dafür Daten aus einer großen Volkserhebung analysiert, die 2014 und 2015 zu Tabakgebrauch und Gesundheit durchgeführt worden war. Dabei bestätigten sie die Vorliebe jüngerer Menschen zum süßeren und fruchtigeren Geschmack – und fanden zudem heraus, dass die Befragten E-Zigaretten als wesentlich harmloser einstuften als konventionelle Zigaretten.
Fraglich bleibt allerdings, ob E-Zigaretten am Ende mehr Jugendliche zum »echten« Rauchen verführen, wie viele befürchten. Denn: »Warum sollte jemand, der E-Zigaretten allein wegen der Aromen verwendet, später auf Zigaretten umsteigen?«, fragt Ute Mons. »Das macht aus meiner Sicht keinen Sinn: Wer sich daran gewöhnt hat, Produkte wie Cool Cucumber, Mango Nectar und Ähnliches zu benutzen, der fängt nicht mit einer herkömmlichen Zigarette an, die überhaupt nicht schmeckt.«
Spannender für Jugendliche – und als Einstiegsdroge gefährlicher – wären wahrscheinlich Systeme, die auf Grund eines hohen Nikotingehaltes einen starken Kick versprechen, die als Einwegprodukte günstig in der Anschaffung sind oder die vom Style her ansprechen. Letzteres sollte nicht unterschätzt werden: In den USA lässt sich derzeit ein unvergleichlicher Siegeszug der Marke Juul beobachten – quasi des iPhones unter den E-Zigaretten.
Nicht wenige scheinen in der E-Zigarette ohnehin eher eine »Ausstiegsdroge« zu sehen: als Mittel zur Rauchentwöhnung. Bis Anfang 2019 galt der Nutzen von E-Zigaretten für den Rauchstopp aber als nicht eindeutig belegbar. Im Vergleich zu anderen Methoden schienen sie kaum Vorteile zu haben. Dann veröffentlichten im Februar 2019 Wissenschaftler um Professor Peter Hajek vom Queen Mary's Wolfson Institute of Preventive Medicine in Großbritannien eine große Studie im »New England Journal of Medicine«. Darin verglichen die Wissenschaftler erstmals zwei Rauchstopptherapien direkt: eine Kombination aus Verhaltenstherapie und Nikotinersatzprodukten – wie Pflaster, Kaugummi und Co – und eine Kombination aus Verhaltenstherapie und E-Zigaretten. Von den 886 Teilnehmern waren nach einem Jahr etwa 18 Prozent aus der E-Zigaretten-Gruppe rauchfrei, während dies nur neun Prozent aus der Gruppe mit den Nikotinersatzprodukten gelungen war. »E-Zigaretten sind effektiver darin, Tabakentzugserscheinungen zu lindern«, befanden die Wissenschaftler. Einschränkungen müssten allerdings mit Blick auf die Langzeitnutzung von E-Zigaretten gemacht werden: Zwar könne die E-Zigarette beim Rauchstopp in Kombination mit Verhaltenstherapie unterstützen; als langfristiger Ersatz für die Zigarette sei sie aber wegen der unabsehbaren Langzeitfolgen problematisch.
Mittlerweile sind sich die meisten Experten immerhin einig, dass die Liquid-Verdampfer weniger schädlich sind als klassische Zigaretten. Welche Risiken Dampfer tragen, ist dagegen unklar, bis weitere groß angelegte Studien hier Klarheit schaffen. Bis dahin dürfte im Einzelfall unterschiedlich entschieden werden, ob rigide Lösungen wie das Komplettverbot in San Francisco oder nur strengere Auflagen und genauere Kontrollen als vorsorgende Schutzmaßnahme ausreichen.
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