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Gute Frage: Erhöht Stress das Krebsrisiko?

Fördert psychische Belastung das Tumorwachstum? Mittelbar vermutlich schon, doch andere Faktoren sind wohl einflussreicher.
Mann im Anzug sitzt im Wald und meditiert
Für Ausgleich vom Alltagsstress zu sorgen, fördert die Gesundheit.

Wird ein Tumor entdeckt, stellen sich Betroffene oft die Frage »Warum gerade ich?«. Auf der Suche nach Erklärungen machen viele den Arbeitsstress, einen Todesfall oder andere Schicksalsschläge für ihre Krankheit verantwortlich. Was ist dran an dieser Idee?

Fest steht, dass Stress den Organismus belasten kann. Bei akuter Bedrohung setzt der Körper bestimmte physiologische Reaktionen in Gang. In gewissem Maß sind diese nützlich, denn sie mobilisieren Kräfte, die uns helfen, mit Herausforderungen umzugehen. Ist der Stress aber besonders stark oder hält zu lange an, schadet er der Gesundheit. Psychische Belastung begünstigt so verschiedene körperliche Leiden, von Schlaganfall bis Bluthochdruck – bei Krebs ist der Zusammenhang jedoch weit weniger klar.

Auf biologischer Ebene könnte Stress die Entstehung von Tumoren fördern. Denn die andauernde Produktion des Stresshormons Kortisol beeinträchtigt das Immunsystem, welches die Entartung von Zellen normalerweise verhindert. Stress kann Entzündungen fördern und die Zellreparatur hemmen, was langfristig das Entstehen von Krebs erleichtert. Hinweise darauf ergaben in den letzten Jahren einige wissenschaftliche Studien. Aber auch indirekt könnte Dauerstress zu Krebs führen – nämlich indem er ungesundes Verhalten fördert. Wer stark gestresst ist, ernährt sich oft weniger ausgewogen und bewegt sich nicht genug. Psychische Belastung lässt Menschen außerdem vermehrt zu Nikotin und Alkohol greifen. Dass so ein Lebensstil das Risiko für Krebserkrankungen erhöht, ist gut belegt.

Auch wenn es plausible Mechanismen für einen Zusammenhang zwischen Krebs und Stress gibt, bedarf es groß angelegter Bevölkerungsstudien, um die Frage sicher zu klären. Für eine Metaanalyse von 2017 sichtete ein britisch-australisches Forschungsteam Daten von mehr als 160 000 Menschen, deren Leben im Schnitt 9,5 Jahre lang wissenschaftlich begleitet worden war. Sowohl das seelische Befinden wie die körperliche Gesundheit wurden untersucht. Zu Beginn der Erhebung hatte niemand in der Stichprobe eine Krebsdiagnose. Wie zu erwarten, änderte sich das im Lauf der Jahre für einige.

Laut der Analyse trugen jene mit den höchsten Stresswerten im Vergleich zu den am wenigsten Gestressten tatsächlich ein höheres Risiko, an bestimmten Krebsarten zu sterben – darunter Darmkrebs, Prostatakrebs, Speiseröhrenkrebs und Leukämie. Der Zusammenhang war allerdings bei Weitem nicht so stark wie bei bekannten Übeltätern, beispielsweise Zigaretten, wenn es um Lungenkrebs geht. Und die gefundene Verbindung war auch nicht unbedingt kausal: Wir wissen nicht, ob Stress zu den Ursachen für den Krebs gehört oder ob nicht vielleicht umgekehrt der Tumor selbst – teils noch unerkannt – die Betroffenen ängstlicher, niedergeschlagener und weniger belastbar macht.

Stress beeinflusst eher das Voranschreiten als die Entstehung von Tumoren

Eine Übersicht aus dem Jahr 2021 bringt die Lücken der bisherigen Erkenntnisse gut auf den Punkt. Bei Betrachtung der wichtigsten Tierversuche, Experimente und epidemiologischen Studien zeigte sich, dass laut den meisten Daten Stress eher das Voranschreiten des Tumorwachstums als die Entstehung beeinflusst. Heißt: Stress spielt eventuell keine sehr große Rolle beim Ausbruch, dafür stärker beim Verlauf der Krankheit. Inwiefern Stress auf Krebs einwirkt, ist aber längst noch nicht vollständig verstanden. Künftige Forschung wird die Mechanismen und die Wechselwirkungen von Stress mit anderen Risikofaktoren untersuchen, um konkretere Antworten zu liefern.

Nach dem aktuellen Stand entscheiden seelische Bürden kaum darüber, ob jemand Krebs bekommt oder nicht. Die Krankheit ist komplex und entsteht im Zusammenspiel vieler Faktoren. Einige davon hat niemand in der Hand – etwa die genetische Veranlagung. Die Präventionsforschung lehrt uns dennoch: Wo wir unseren Alltag gesünder gestalten können, sollten wir es tun. Besonders wichtig ist dabei neben gutem Schlaf, Bewegung an der frischen Luft und einer ausgewogenen Ernährung auch Entspannung. So zeigen die bisherigen Erkenntnisse: Wer bereits an Krebs erkrankt ist, sollte besonders darauf achten, Dinge zu tun, die ihm guttun.

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  • Quellen

Batty, G. D. et al.: Psychological distress in relation to site specific cancer mortality: Pooling of unpublished data from 16 prospective cohort studies. British Medical Journal 356, 2017

Eckerling, A. et al.: Stress and cancer: Mechanisms, significance and future directions. Nature Reviews Cancer 21, 2021

Heikenwälder, H., Heikenwälder, M.: Stress und Krebs. In: Der moderne Krebs – Lifestyle und Umweltfaktoren als Risiko. Springer, 2023, S. 163–175, https://doi.org/10.1007/978–3-662–66576–3_11

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