Wieso nicken Tauben beim Gehen ständig mit dem Kopf?
Nicht nur bei Tauben, auch bei anderen Vögeln kann man diese abstrus erscheinende Kopfbewegung beim Gehen beobachten. Unsereinem würde sofort schwindelig werden, doch auch wir Menschen kennen das Phänomen, wie Juan Delius zu berichten weiß: "Wenn Sie mit dem Zug fahren, erleben Sie das Gleiche."
Der inzwischen emeritierte Psychologieprofessor der Universität Konstanz hat sich zusammen mit seinem ehemaligen Diplomanden Andreas Wohlschläger ausgiebig mit der visuellen Wahrnehmung von Tauben beschäftigt. Und genau hier, in der visuellen Wahrnehmung, liegt die Antwort für die merkwürdige Kopfbewegung: Um ein scharfes Abbild der Umgebung wahrzunehmen, sind Tiere – und damit auch wir Menschen – bestrebt, das Bild möglichst stabil auf die Netzhaut zu projizieren. Verschiebt sich nun dieses Bild beispielsweise durch die eigene Körperbewegung, dann fixieren die Augen einen bestimmten Gegenstand, wandern mit ihm mit, um dann, sobald er aus dem Blickfeld verschwindet, sofort zum nächsten Fixierpunkt zu springen. Und genau diese Sakkaden ("saccade", französisch: Ruck) treten auch beim Zugfahren auf, wenn wir zwanghaft versuchen, vorbeirauschende Telegrafenmaste im Blick zu halten. Die ruckartigen Bewegungen der Augäpfel werden auch als optokinetischer Nystagmus bezeichnet ("nystagmos", griechisch: das Nicken).
Eine Taube hat nun ein kleines Problem. Sie kann ihre Augen nur wenig bewegen und daher das auf der Netzhaut beim Gehen sich verschiebende Bild kaum mit Augenbewegungen ausgleichen. Daher bedient sie sich ihres Kopfes: Macht sie einen Schritt nach vorne, dann verharrt er, um so das Bild auf der Netzhaut zu stabilisieren. Beim nächsten Schritt schnellt der Kopf dann nach vorn, um von hier aus den nächsten Fixierpunkt anzupeilen. Nach dem lateinischen Wort "collum" für Hals bezeichnet Delius diese ruckartige Kopfbewegung auch als optocollischen Nystagmus.
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