Intelligenz: Woran erkennt man intelligente Babys?
Von Geburt an sind Menschen unterschiedlich: Das eine Baby döst die meiste Zeit und reagiert kaum auf seine Umwelt, das andere ist hellwach und an allem Neuen sehr interessiert. Lässt sich aus solchen frühen Neigungen etwas über den zukünftigen Werdegang des Sprösslings schlussfolgern? Kann man gar vorhersagen, ob er einmal hochintelligent oder von eher schlichtem Gemüt sein wird?
Da man kleinen Kindern keinen IQ-Test vorlegen kann, muss man ihr Verhalten beobachten, um herauszufinden, wie schlau sie sind. Tatsächlich gelten etwa Lebhaftigkeit und ein erhöhtes Interesse an Objekten und Personen als Hinweise auf eine kognitive Begabung. Doch nicht nur der aktuelle geistige Entwicklungsstand von Säuglingen ist spannend, sondern natürlich auch mögliche Vorhersagen über den IQ im Jugend- und Erwachsenenalter. Sie wären zum Beispiel wichtig, um Kinder mit Entwicklungsstörungen optimal zu fördern. Aber geht das überhaupt?
Die gängigen Säuglingstests können zwar die kognitive Leistungsfähigkeit der Kleinen erfassen, sagen die spätere Intelligenz allerdings nur sehr eingeschränkt vorher. Ein alternativer Ansatz ist das so genannte visuelle Habituations-Dishabituations-Verfahren. Es nimmt bloß wenige Minuten in Anspruch und nutzt die Tatsache, dass Säuglinge eine Vorliebe für alles Neue haben. Das Baby wird zunächst mit einem Reiz, zum Beispiel mit einem bestimmten Gesicht, vertraut gemacht. Dazu zeigt der Versuchsleiter dem Kind das Gesicht so lange mehrmals hintereinander, bis es das Interesse daran verliert und immer kürzer hinschaut. Diesen Vorgang nennt man Habituation oder Reizgewöhnung.
Nun präsentiert der Versuchsleiter das Gesicht nochmals, jedoch zusammen mit einem neuen Gesicht. Sieht das Baby wieder interessierter hin und inspiziert das unbekannte Gesicht, kann man davon ausgehen, dass es die Gesichter unterscheiden kann. Die vermehrte Blickzuwendung nennt man Dishabituation. Mit ihrer Hilfe konnte man nachweisen, dass bereits sehr junge Babys Gesichter ziemlich sicher erkennen und auseinanderhalten.
Zudem gibt es Hinweise darauf, was bei einem solchen Test im Babyhirn vor sich geht. Die Habituation umschreibt demnach den sukzessiven Aufbau einer Gedächtnisspur des gezeigten Objekts. Mit zunehmender Vervollständigung des kognitiven Abbilds verliert der Säugling nach und nach das Interesse an dem Objekt. Wird im Anschluss ein neuer Gegenstand präsentiert, vergleicht der Säugling diesen mit dem gerade aufgebauten Gedächtnisbild. Stellt er einen Unterschied fest, wird er das als neu erkannte Objekt erkunden wollen. Stellt das Kind dagegen keinen Unterschied fest, wendet es seine Aufmerksamkeit ab.
Habituation und Dishabituation sind also grundlegende Vorgänge der Informationsverarbeitung und damit wesentliche Aspekte von Intelligenz. Sie beinhalten den Aufbau einer Objektrepräsentation im Gedächtnis, das Wiederabrufen gespeicherter Informationen sowie den Vergleich zwischen abgespeicherten und neu wahrgenommenen Informationen.
Säuglinge unterscheiden sich oft stark darin, wie schnell sie habituieren oder dishabituieren – allgemeiner gesagt in ihrer Fähigkeit, neue Informationen zu verarbeiten. Eine Reihe von Studien belegt inzwischen, dass ein enger Zusammenhang zwischen der Habituations- und Dishabituationsleistung im Babyalter und den IQ-Werten im Jugend- und Erwachsenenalter besteht. Doch selbst wenn Ihr Baby bei einem solchen Habituations-Dishabituations-Test nicht das gewünschte Blickmuster zeigen sollte, ist das noch längst kein Grund zu Sorge. Denn kognitive Fähigkeiten lassen sich fördern! Vor allem soziale Interaktionen wie die gemeinsame Beschäftigung mit Bilderbüchern wirken positiv. Und zum Glück beherzigen das die meisten Eltern auch ganz von selbst.
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