Freistetters Formelwelt: Warum können Hummeln fliegen?
Wer anderen Menschen beweisen will, wie wichtig ein starker Wille und die richtige Motivation für den Erfolg im Leben sind, macht das oft am Beispiel der Hummel. Die pummelige Biene sieht tatsächlich nicht sehr aerodynamisch aus, und es liegt nahe, sich zu fragen, wie so ein Insekt überhaupt fliegen kann. Was dabei auf jeden Fall klar ist: Wenn die Hummel fliegt, dann tut sie das nicht auf magische Weise oder durch reine Willenskraft. Bei der Beschreibung einer fliegenden Hummel kommt es auf die richtige Mathematik an – egal ob das Insekt darüber Bescheid weiß oder nicht.
Diese sehr simple Formel beschreibt die Flächenbelastung B eines Flügels, die der Masse m des fliegenden Objekts geteilt durch die Flügelfläche A entspricht. Bei einer Hummel liegt die Flächenbelastung typischerweise um die 0,3 g/cm2. Diese Größe gibt unter anderem an, ab welcher Geschwindigkeit es im Flug zu einem Strömungsabriss und damit zu einer Verringerung des Auftriebs kommt. Von der Flächenbelastung hängt zudem ab, wie schnell ein Objekt sein muss, um überhaupt abheben zu können. Bei der Hummel, so lautet zumindest die Geschichte, sei diese viel zu hoch. Sie könne gar nicht fliegen – doch sie tut es trotzdem! Was ist hier los?
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.
Wer sich auch nur ein bisschen mit Aerodynamik und Strömungsphysik beschäftigt hat, wird wissen, dass es sich dabei um ein höchst komplexes Forschungsgebiet handelt. Die Formel für die Flächenbelastung ist nur eine von vielen und noch dazu nicht komplex genug, um als einzige Referenz für die Flugleistung eines Insekts dienen zu können. Wenn man wirklich verstehen will, wie und warum eine Hummel fliegt, muss man wesentlich mehr mathematischen Aufwand treiben.
Rotierende Flügel sorgen für Auftrieb
Es ist nicht ganz klar, woher das »Hummel-Paradoxon« stammt. Nicht belegt ist die Anekdote, laut der Ludwig Prandtl, ein deutscher Ingenieur und Aerodynamiker, eine simple Berechnung auf einem Bierdeckel in einem Gasthaus durchgeführt hat und dabei zu dem eher scherzhaft gemeinten Ergebnis kam, eine Hummel könne nicht fliegen. Ungefähr zur selben Zeit, in den 1930er Jahren, veröffentlichte der französische Insektenforscher Antoine Magnan ein Buch, in dem er schrieb: »Angeregt durch die Aktivitäten auf dem Gebiet der Luftfahrt wandte ich die Gesetze des Luftwiderstands auf die Insekten an und kam, zusammen mit Herrn Sainte-Laguë, zum Schluss, dass ihr Flug unmöglich ist.« Magnan merkte allerdings an, dass man davon nicht überrascht sein sollte, da die Rechnungen nicht detailliert genug wären.
Die Hummel fliegt. Und sie fliegt, weil sie ihre Flügel nicht einfach nur starr auf- und abbewegt, sondern auch rotiert und dadurch Wirbel erzeugt, die ihr den nötigen Auftrieb verschaffen. Das hat man schon in den 1930er Jahren vermutet und spätestens 1996 durch Experimente nachgewiesen.
Eigentlich müsste man sagen: »Nach allen bekannten Gesetzen der Aerodynamik kann eine Hummel nicht fliegen. Die Hummel fliegt aber – also kennen wir offensichtlich noch nicht alle Gesetze der Aerodynamik.« Mit so einer Aussage lassen sich zwar Forscherinnen und Forscher zu weiterer Arbeit begeistern. Als überraschendes Beispiel für die Macht der Motivation ist der Satz aber ungeeignet.
Ein solches Beispiel braucht es in der Wissenschaft nicht. Denn sie bezieht ihren Antrieb genau aus dem scheinbaren Widerspruch von Realität und theoretischer Unmöglichkeit. Forschende sind erst dann zufrieden, wenn sie das auf den ersten Blick Unvorstellbare am Ende doch erklären können.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben