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Mäders Moralfragen: Alarmieren wir uns zu Tode?

Die Welt wird immer besser, das lässt sich statistisch belegen. Doch die Autoren Steven Pinker und Hans Rosling setzen noch einen drauf: Wer vor dem Kollaps warne, mache alles nur noch schlimmer.
Die Erdkugel, bei der eine Hälfte so lavamäßig glüht. Wie man sich so den Weltuntergang vorstellt, wenn man es farbenfroh haben möchte.

Als ich in dieser Kolumne vor einigen Wochen fragte, ob wir unseren Konsum einschränken müssten, um Klima und Umwelt zu schützen, antworteten rund 70 Prozent von fast 2500 Leserinnen und Lesern: »Ja, deutlich, weil sonst eine Katastrophe droht.« Mit einem so deutlichen Ergebnis hatte ich nicht gerechnet. Seitdem frage ich mich, ob sich aus dieser Mehrheit etwas machen lässt. Für politische Entscheidungen braucht man schließlich nur 50 Prozent. Kann es sein, dass die Empörung über Veggie-Days und Fahrverbote nur von einer lautstarken Minderheit kommt – während sich alle anderen fragen, wie man solche Anregungen oder Vorschriften verträglich umsetzen könnte?

Wenn ich darüber rede, bekomme ich meistens zu hören: »Das mit der Konsumeinschränkung sagen die Leute bloß, sie meinen es nicht ernst.« Auch Soziologen, die sich mit Umfragen und der öffentlichen Meinung auskennen, schätzen das so ein. Und nun lese ich, dass man die eigentlich hoffnungsvolle Botschaft sogar ins Gegenteil verdrehen kann: Der Blick auf die Katastrophe schade der Sache. So argumentieren die beiden Wissenschaftler Hans Rosling und Steven Pinker in ihren neuen Büchern. Man müsse einen kühlen Kopf behalten, um kluge Entscheidungen zu treffen, erklärt der Mediziner und Statistiker Rosling in seinem postum erschienenen Buch »Factfulness«. Man behindere den Fortschritt, wenn man die Innovationskraft der Aufklärung herunterspiele, schreibt der Psychologe Steven Pinker in »Enlightenment Now«.

Eine tragische Geschichte

Weder Rosling noch Pinker zweifeln daran, dass der Klimawandel die Menschheit bedroht. Aber sie kritisieren die Untergangsstimmung, die sich breit gemacht hat: Von einem drohenden Kollaps zu sprechen, sei unverantwortlich. Beide Autoren zeigen in ihren Büchern mit vielen Statistiken, dass die Welt besser geworden ist – so, wie sie es auch in der Vergangenheit schon getan haben. Rosling konzentriert sich auf die jüngsten Entwicklungen und hebt hervor, dass sich der Anteil der Menschen in extremer Armut in den vergangenen 20 Jahren mehr als halbiert hat. Pinker betrachtet historische Zeiträume und kommt zum Schluss, dass die Gewalt abgenommen hat, weil Menschen besser regiert wurden und mehr Vernunft walten ließen. Das Risiko, von einem Mitmenschen erschlagen zu werden, war im Mittelalter 50 Mal höher als heute, sagt er im Spektrum-Interview. Beide Autoren appellieren, diese Erfolgsgeschichte fortzuführen – und fragen sich in ihren neuen Büchern, warum trotzdem so viele Menschen diese Erfolgsgeschichte nicht einfach in die Zukunft extrapolieren.

Was haben die beiden Forscher gegen die Mahner und Alarmisten? Rosling macht seinen Ansatz mit einer tragischen Geschichte deutlich: Anfang der 1980er-Jahre kämpfte er als Arzt in Mosambik gegen eine unerklärliche Krankheit, die zu Lähmungen und Blindheit führte. Der Bürgermeister der benachbarten Stadt fragte, ob er eine Straßensperre errichten sollte, weil die Krankheit womöglich ansteckend sei. »Ja, Sie müssen etwas unternehmen«, riet ihm Rosling – und macht sich bis heute Vorwürfe deswegen. Denn viele Frauen stiegen damals in wackelige Boote, um die Straßensperre zu umgehen und den Markt in der Stadt zu erreichen. Sie ertranken mit ihren Kindern. Die Krankheit, fand Rosling später heraus, ging auf eine Vergiftung zurück und nicht auf eine Infektion. »Gehetzt von dem Gedanken, etwas tun zu müssen, tat ich etwas Schreckliches«, resümiert er – und warnt deshalb davor, nur auf die Worst-Case-Szenarien des Klimawandels zu schauen.

Einfache und unpopuläre Lösungen

Pinker arbeitet sich hingegen am erstarkenden Populismus ab – und findet, dass die Warnungen vor der Erderwärmung dieser Politik in die Hände spielen. Nach zwei Jahrhunderten der Aufklärung sollte die Menschheit gelernt haben, ihrer Kreativität und Intelligenz zu vertrauen, argumentiert Pinker. Die Industrialisierung hat uns zwar den Klimawandel eingebrockt, aber mit den richtigen technologischen Innovationen werden wir dieses Problem lösen. Wer Zweifel hieran sät und vor unüberwindbaren Herausforderungen warnt, macht es Populisten leicht, Experten zu diskreditieren und ein System der starken Hand einzuführen. Was hat man noch zu verlieren, wenn der Planet sowieso ruiniert ist?, fragt Pinker rhetorisch. »Bis der Messias kommt, werden die freiheitlichen Demokratien immer Schwierigkeiten haben«, schreibt er. »Aber es ist besser, diese Probleme zu lösen, als einen Flächenbrand in Gang zu setzen und zu hoffen, dass etwas Besseres aus der Asche und den Knochen entsteht.«

Die beiden Autoren bieten Lösungen an. Rosling erklärt recht knapp, dass die CO2-Emissionen international reguliert werden müssten: »Dies ist möglich. Denn das ist uns bereits gelungen im Zusammenhang mit Ozonkillern und Blei im Benzin. Beides reduzierte die Weltgemeinschaft innerhalb von zwei Jahrzehnten auf fast null.« Dem kann man entgegenhalten, dass die globalen Emissionen aus fossilen Brennstoffen und der Industrie um 65 Prozent gestiegen sind, seit die Staatengemeinschaft auf dem Erdgipfel von Rio 1992 die Eindämmung des Klimawandels beschloss. Ein Rückgang mag also möglich sein, aber er ist nicht einfach, um es vorsichtig auszudrücken. Pinker wiederum behandelt das Thema ausführlicher, empfiehlt jedoch Technologien, die zumindest in Deutschland unpopulär sind: die Atomkraft und die unterirdische Speicherung von Kohlenstoff, vielleicht sogar das Climate Engineering, über das ich vor einiger Zeit geschrieben habe.

Bloß nicht die Hoffnung verlieren!

Ich verstehe, dass Warnungen lähmen können. Wir diskutieren tatsächlich viel über Probleme und selten über Lösungen. Beim Klimawandel warten wir auf einen Beschluss, der die Emissionsreduktionen aus dem Pariser Klimaabkommen effektiv umsetzt, anstatt die vielen hoffnungsvollen Initiativen zu fördern, über die beispielsweise die Stiftung »Futur zwei« oder die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) berichten. Auch Unternehmen und Kommunen haben Klimainitiativen gestartet. Und vielleicht schauen wir zu oft auf die Grafiken der Worst-Case-Szenarien, weil die Katastrophe darin leichter zu erkennen ist als bei wahrscheinlicheren Prognosen, die unsere Welt ebenfalls umkrempeln würden, wenn auch nicht apokalyptisch.

Doch der Klimawandel ist viel schwieriger zu bewältigen als das Verbot von FCKW und die Einführung von bleifreiem Benzin. Denn zum einen sind Treibhausgase an unseren Konsum gekoppelt. Zwar wächst die Wirtschaft in vielen Ländern, während die Emissionen sinken – aber das genügt noch lange nicht. Es ist unklar, ob wir unseren Lebensstandard ohne Einschränkungen halten können. Zum anderen muss ausgehandelt werden, wer welchen Teil der Kosten trägt: Wie stark müssen Industriestaaten für ihre bisherigen Emissionen haften? Und welche Zugeständnisse erwartet man von Ländern, die technisch aufholen möchten? Es ist unklar, ob sich die fast 200 Staaten der Welt schnell genug auf Antworten verständigen können. Unklar heißt nicht: unmöglich. Es bedeutet vielmehr, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben – und die Zeit drängt.

Sowohl Rosling als auch Pinker setzen sich dafür ein, die Welt realistisch und differenziert zu betrachten. Aber beim Thema Klima verfallen sie in pauschales Denken. Wer betont, dass die Temperaturen steigen, wird von Pinker gleich beschuldigt, den Planeten in den Abgrund zu reden. Aber eine andere Haltung ist möglich: Wir können uns für eine gute Zukunft einsetzen – gerade weil wir wissen, dass sehr viel auf dem Spiel steht.

Die Moral von der Geschichte: Bei den Herausforderungen der Menschheit zu untertreiben ist nicht viel besser, als mit dramatischen Warnungen zu übertreiben.

Ja, die Leute meinen es ernst.

Ja, aber der gute Wille wird nicht reichen.

Ich bin unentschieden.

Nein, das haben die Leute nur so gesagt.

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