Ansteckungsrisiko: Wie Sie trotz Pandemie sicher Freunde treffen
Die Kernbotschaft im derzeit umgehenden offenen Brief mehrerer Aerosolfachleute ist, dass Innenräume bei der Übertragung von Sars-CoV-2 die zentrale Rolle spielen. Im Vergleich dazu ist das Risiko, sich anzustecken, draußen deutlich geringer. Der Brief richtet sich an Politikerinnen und Politiker und zielt auf geeignete und weniger geeignete politische Maßnahmen ab, aber er ist auch für den Alltag relevant. Kurz gesagt: Wenn man sich mit anderen Leuten trifft, sollte man das draußen tun.
Allerdings gibt es dabei ein paar wichtige Punkte zu beachten. Auch wenn Menschen sich draußen nicht so leicht mit dem Coronavirus anstecken, ist das Risiko keineswegs null. Unter bestimmten Umständen ist die Gefahr sogar vergleichbar hoch wie in Innenräumen. Woran liegt das? Und wie können Personen sich trotzdem recht gefahrlos draußen treffen?
Der Grund, warum Innenräume so viel stärker zur Ausbreitung des Virus beitragen, sind feine Teilchen namens Aerosole. Sie entstehen, wenn der Luftstrom an den Schleimhäuten vorbeiströmt und Flüssigkeitströpfchen mitreißt. Der entscheidende Punkt ist, dass Aerosole nicht zu Boden fallen, sondern schweben.
Feine Aerosole können Stunden oder Tage in der Luft hängen, ohne zu Boden zu sinken. Das heißt, sie reichern sich in geschlossenen Räumen an. In Innenräumen bilden sich unsichtbare, ansteckende Aerosolwolken, und wer in sie eintritt, atmet die ansteckenden Teilchen ein. Im Extremfall sogar, wenn die Quelle schon den Raum verlassen hat.
Aerosole gehen, Tröpfchen bleiben
Draußen dagegen können sich die Aerosole verteilen, denn es ist viel mehr Platz, und zumeist bewegt Luft sich ein bisschen. Dadurch werden die ansteckenden Partikel verdünnt, was das Risiko senkt, eine infektiöse Dosis einzuatmen. Außerdem ist die Lebensdauer der Viren durch die stärkere UV-Strahlung geringer. Das bedeutet vor allem auch, dass Superspreader-Ereignisse, bei denen viele Menschen in so einer Aerosolwolke angesteckt werden, im Freien nahezu ausgeschlossen sind.
Deswegen stecken sich die allermeisten Leute in Innenräumen an, wie diverse Studien gezeigt haben. Das bedeutet aber eben nicht, dass draußen überhaupt keine Gefahr besteht. Es gibt ja noch die Tröpfcheninfektion, und die sollte man nicht unterschätzen. Der Übergang zwischen Aerosol und Tröpfchen ist fließend, wo Aerosole sind, sind auch Tröpfchen
Der Unterschied ist, dass Tröpfchen nicht in der Luft schweben und sich deswegen nicht anreichern. Ihre Reichweite schwankt jedoch, weil je nach Bedingungen größere Partikel längere Strecken durch die Luft getragen werden können. Außerdem enthalten größere Tröpfchen mehr Viren und sind deswegen wohl stärker ansteckend. Wenn Sie also nicht aufpassen und in Tröpfchenreichweite kommen, ist das Risiko möglicherweise ähnlich hoch wie drinnen.
Das heißt aber keineswegs, dass Sie auf Treffen draußen verzichten müssen. Im Gegenteil. Wann immer Sie die Gelegenheit haben, sich mit anderen Menschen draußen statt drinnen zu treffen, sollten Sie das tun. Denn die Kernaussage im Brief der Aerosolfachleute ist ja unbestritten richtig: Das viel größere Problem sind Innenräume. Idealerweise sollten Sie in Gebäuden möglichst wenigen Menschen begegnen und sich maximal schützen.
Sich draußen treffen geht – wenn man aufpasst
Dagegen ist das Risiko draußen relativ gering. Sie dürfen nur nicht den Fehlschluss ziehen, dass man Treffen draußen wegen des deutlich geringeren Risikos quasi nicht mitzählen muss und gleich wieder vergessen kann. Dann laufen Sie nämlich Gefahr, so oft und so gedankenlos potenzielle Ansteckungen zu riskieren, dass es Sie eben doch erwischt.
Die gute Nachricht: Um das zu vermeiden, reicht es, ein paar recht einfache Prinzipien im Kopf zu behalten. Dazu müssen Sie sich auch nicht mit den feineren Details von Aerosolen, Tröpfchen und Mutanten befassen. Es reicht, zu verstehen, wie Würfel funktionieren.
Wann immer Sie die Gelegenheit haben, sich mit anderen Menschen draußen statt drinnen zu treffen, sollten Sie das tun
Praktisch betrachtet verhalten sich Corona-Ansteckungen wie Zufallsereignisse, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eintreten können. Bestimmte Situationen bergen große Risiken, aber es kann passieren, dass man davonkommt. Umgekehrt kann man Pech haben und sich anstecken, obwohl die Gefahr minimal ist.
Das entspricht der Situation beim Würfeln: Die Wahrscheinlichkeit, gerade bei einem bestimmten Wurf eine Eins zu würfeln, ist viel geringer, als dass irgendeine andere Zahl kommt. Aber natürlich kann die geringe Wahrscheinlichkeit eintreffen, und man würfelt die Eins.
Bei einem Treffen draußen ist es ähnlich. Die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken, ist klein, aber eben nicht null. Man kann sich also jedes Treffen im Grunde als einen Wurf mit einem Würfel vorstellen. Wenn man eine Eins würfelt, hat man sich angesteckt.
Mit Würfeln gegen Corona
Aus diesem Bild ergeben sich zwei grundsätzliche Strategien, um zu verhindern, dass man eine Eins würfelt. Zum einen sollten Sie möglichst selten würfeln. Bei vielen Versuchen tritt früher oder später auch mal ein recht unwahrscheinliches Ereignis ein. Das bedeutet übersetzt: Je weniger Leute Sie insgesamt treffen, desto mehr können Sie sich auf die jeweils geringe Ansteckungswahrscheinlichkeit bei einzelnen Treffen verlassen.
Überlegen Sie sich also, was wirklich notwendig, unvermeidbar oder wichtig ist. Sie müssen sich nicht aus dem Leben zurückziehen, aber Sie sollten bewusst entscheiden, wofür Sie – auch kleine – Risiken eingehen. Das gilt ebenso für die Zahl der Leute bei Treffen. Setzen Sie sich lieber mit zwei anderen Menschen zusammen in den Park als mit zehn.
Wie Sie das im Detail abwägen, welche Treffen Ihnen wichtig sind, welche sich nicht vermeiden und was Sie lieber bleiben lassen, ist der eine Aspekt, der Ihre Chance beeinflusst, eine Eins zu würfeln. Der zweite ist die Größe des Würfels – also die Wahrscheinlichkeit, mit der Sie sich anstecken. In Würfeln gesprochen, wollen Sie lieber mit einem 20-seitigen Würfel Ihr Glück versuchen als mit einem 6-seitigen. Und wie viele Seiten der Würfel hat, haben Sie zu einem beträchtlichen Teil selbst in der Hand.
Idealerweise haben Sie eine feste Gruppe von Leuten aus Freunden und Familie, die auch vorsichtig sind und von denen Sie annehmen können, dass sie Ihnen von möglichen Risiken erzählen. Oder die sogar schon geimpft sind. Natürlich ist die Welt nicht perfekt, und Sie werden auch andere Leute treffen wollen als Ihren »inner circle«. In solchen Situationen haben Sie die Möglichkeit, die Risiken bewusst zu senken. Schnelltests für die Beteiligten sind da zum Beispiel eine gute Option.
Aber schon wenn Sie sich draußen treffen, haben Ihre Würfel deutlich mehr Seiten, eben weil die Aerosole dort kaum eine Rolle spielen. Wichtig ist dabei aber zuallererst, die Tröpfchen im Hinterkopf zu haben. Die gibt es nämlich immer noch.
Sie entstehen beim Sprechen besonders gut, und weil sie größer sind als Aerosole, enthalten sie auch mehr Viren. Wenn man Pech hat, reicht es, einmal die Köpfe zusammenzustecken, und schon ist es passiert. Achten Sie also auf ausreichenden Abstand.
Im Zweifel eben doch mit Maske
Das gilt umso mehr, als wir es jetzt mit einer deutlich ansteckenderen Variante von Sars-CoV-2 zu tun haben. Deswegen ist es unter Umständen sinnvoll, bei Gesprächen mit Leuten außerhalb Ihres Vertrauenszirkels auch draußen eine Maske zu tragen. Bei vielen Menschen können Sie sich eben nicht darauf verlassen, dass sie von sich aus konsequent Abstände einhalten.
Nicht dramatisch ist es dagegen aus meiner Sicht, wenn jemand ohne Maske an Ihnen vorbeigeht, wenn er nicht gerade lauthals singend vorbeimarschiert. Achten Sie ein bisschen auf Abstand, manche Leute halten auch die Luft an, aber einen Kopf darum machen sollten Sie sich nicht.
Klar kann man Pech haben, das gilt in jeder Lebenslage. Problematisch wird es, wenn es viele Leute sind. Dann würfeln Sie wieder öfter, und um die zusätzlichen Würfelwürfe auszugleichen, würde ich auf kritischen Wegstrecken mit vielen Begegnungen erneut zur Maske raten. Sicher ist sicher.
Das sind die beiden simplen Prinzipien, mit denen Sie ohne größeren Aufwand Ihr Risiko bei Begegnungen deutlich senken: weniger würfeln und besser würfeln. Überlegen Sie sich bewusst, ob etwas wert ist, dafür zu würfeln, und entscheiden Sie sich in jedem Einzelfall, ob Ihnen die Wahrscheinlichkeit gering genug erscheint. Im Zweifel können Sie mit ein, zwei einfachen Maßnahmen den Würfel noch einmal ein ganzes Stück günstiger machen.
Auf jeden Fall ist es sinnvoll, auf die grundsätzliche Botschaft der Aerosolfachleute zu hören: möglichst wenige Kontakte in Innenräumen, und wenn, dann nur mit maximalem Schutz. Stattdessen können Sie Ihr Sozialleben mit den genannten Überlegungen einigermaßen gefahrlos nach draußen verlegen. Und wenn die Sonne mal nicht scheint, denken Sie dran: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Klamotten.
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