Lobes Digitalfabrik: Arbeiten wir bald als Metaversum-Hausmeister?
Die Corona-Pandemie hat zur größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Die Eurozone ist in eine tiefe Rezession gerutscht, Unternehmen werden mit Staatshilfen gerettet und müssen Mitarbeiter entlassen. In den USA waren zeitweise über 40 Millionen Menschen arbeitslos, in Deutschland gingen im April zehn Millionen Angestellte in Kurzarbeit. Die Aussichten in Wirtschaftssektoren wie der Luftfahrt oder dem Tourismus sind düster. Ob die Auslastung in Flugzeugen oder Hotels jemals wieder das Vorkrisenniveau erreicht, ist ungewiss. Was Umweltschützer freut, macht Arbeitsmarktexperten Sorgen. Denn die Frage ist: Finden die Menschen, die heute entlassen werden, in der automatisierten Welt von morgen noch Arbeit? Wird es noch genug Arbeit für alle geben?
Schon heute durchforsten Computerprogramme Steuererklärungen, fahren Robotertaxis durch die Innenstädte, es desinfizieren Putzroboter die Krankenhausgänge. Die Berufe, die Taxifahrern, Steuerfachangestellten oder Reinigungskräften ihr Einkommen sichern, könnten bald verschwunden sein. Ein Beispiel: Auf den Philippinen arbeiten 1,3 Millionen Menschen in Callcentern. Das Geschäft macht Schätzungen zufolge rund zehn Prozent des philippinischen Bruttoinlandsprodukts aus. JPMorgan, Amazon, Google – fast alle großen Konzerne haben Kundenhotlines auf die Philippinen ausgelagert. Wenn sich aber Chatbots und Sprachassistenten durchsetzen, braucht es diese Mitarbeiter nicht mehr.
Google hat bereits eine Sprach-KI namens Duplex entwickelt, die autonom Gespräche führt – zum Beispiel einen Tisch im Restaurant reserviert oder Kinotickets bestellt. Das Besondere: Die KI hört sich am Telefon wie ein Mensch an. Der virtuelle Assistent ist so programmiert, dass er Verlegenheitslaute wie »ähm« oder »hm« in das Gespräch einstreut sowie Kunstpausen. Die Sprachcomputer klingen längst nicht nach den blechernen Computerstimmen von einst, sondern wie Menschen.
Im Callcenter arbeiten Menschen schon jetzt wie Maschinen
Viele Telefondienstmitarbeiter führen ohnehin schon mechanisch Skripte aus. Meist sind es standardisierte Anfragen, die beim Kundencenter eingehen – sie lassen sich nach Schema F mit einem Baukastensatz an Phrasen beantworten. Das heißt, der Job des Telefonisten und der Telefonistin kann leicht automatisiert werden.
Über die Auswirkungen der Automatisierung auf die Wirtschaft gibt es ganz unterschiedliche Ansichten. Laut einer viel zitierten Studie der Oxford-Ökonomen Benedikt Frey and Michael Osborne drohen 47 Prozent aller US-Jobs in den nächsten Jahrzehnten der Automatisierung zum Opfer zu fallen. Die Autoren listen in ihrer Untersuchung über 700 Berufe auf, sortiert nach der Wahrscheinlichkeit ihrer Computerisierung. So haben etwa Choreografen oder Therapeuten ein sehr geringes Risiko automatisiert zu werden und damit gute Zukunftsperspektiven. Bei Taxifahrern, Buchhaltern oder Postboten sieht es dagegen weniger rosig aus: Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Tätigkeiten eine Maschine übernehmen wird, schätzen die Ökonomen als sehr hoch ein. Allerdings trifft die Studie keine Aussage darüber, ob diese aussterbenden Professionen substituiert werden können.
Technologische Arbeitslosigkeit hat es in der Geschichte immer wieder gegeben. Berufe wie Köhler oder Kutscher, die es heute nicht mehr gibt (allenfalls noch als Touristenattraktion), konnten durch andere ersetzt werden. Instruktiv ist ein Rückblick auf die jüngere Geschichte: Als 1970 die ersten Geldautomaten installiert wurden, machten sich Befürchtungen breit, die Maschinen würden Bankangestellten die Jobs wegnehmen. Das Gegenteil trat ein: Die Zahl der in Banken Beschäftigten stieg in den USA im Zeitraum zwischen 1980 und 2010 von 500 000 auf 550 000. Nur das Berufsbild wandelte sich: Die Angestellten gaben keine Geldscheine mehr aus, sondern berieten ihre Kunden. Die Frage ist, ob man diese Entwicklung auf andere Berufsfelder extrapolieren kann.
Die Ökonomen Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee glauben: ja. In ihrem Bestseller »The Second Machine Age« schreiben sie über das »zweite Maschinenzeitalter«: »Computer und andere digitale Errungenschaften haben auf unsere geistigen Kräfte – die Fähigkeit, mit Hilfe unseres Gehirns unsere Umwelt zu verstehen und zu gestalten – die gleiche Wirkung wie die Dampfmaschine und ihre Ableger auf die Muskelkraft.« Doch diese Prämisse ist ja genau die entscheidende Frage: Sind KI-Systeme, also neuronale Netze, die nach dem menschlichen Gehirn modelliert sind und kognitive Prozesse simulieren, vergleichbar mit einer Maschine, die mechanische Arbeit verrichtet? Konkret: Ist ein Computer, der Aktien handelt, in seinen ökonomischen Folgen vergleichbar mit einer Waschmaschine?
KI macht mehr Arbeit – zumindest für eine Weile
Zumindest in einer Übergangsphase scheint es so zu sein, dass künstliche Intelligenz (Mehr-)Arbeit schafft. Tech-Konzerne wie Facebook oder Amazon beschäftigen eine ganze Armada von Klickarbeitern, die Bilder und Videos kategorisieren, Rezensionen sortieren oder Audiodateien transkribieren, weil die KI noch nicht so weit entwickelt ist. Geisterarbeit nennen das die Anthropologin Mary L. Gray und der Computerwissenschaftler Siddharth Suri in ihrem gleichnamigen Buch. Das Pew Research Center schätzt die Zahl der Geisterarbeiter auf weltweit 20 Millionen Menschen. Es ist so etwas wie die industrielle Reservearmee des Datenkapitalismus. Ob das aber ausreicht, die Arbeitsplatzverluste zu kompensieren, ist fraglich. Zumal es sich hier um prekäre Beschäftigungsverhältnisse handelt.
Der technische Fortschritt – Digitalisierung, Robotik, 3-D-Druck – könnte die Arbeitswelt noch viel stärker umwälzen, als es in den vorherigen industriellen Revolutionen der Fall gewesen war. Das macht die politische Moderation dieser Transformation umso wichtiger. Die spanische Regierung etwa hat gerade erst ein Grundeinkommen für Bedürftige beschlossen, in Neuseeland wird über die Einführung einer Viertagewoche nachgedacht. Auch in Deutschland wird der Ruf nach einem bedingungslosen Grundeinkommen lauter. Die Onlinepetition »Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen durch die Coronakrise« haben fast eine halbe Million Bürger unterschrieben.
Eine Studie der Bertelsmann Stiftung und Future Impacts kommt zu dem Ergebnis, dass die globale Arbeitslosigkeit im Jahr 2050 auf 24 Prozent oder mehr steigen könnte. In der Studie werden verschiedene Szenarien präsentiert, wie die Zukunft der Arbeit aussehen könnte: In einer »Suffizienzökonomie« könnten kleine Gemeinschaften sich selbst versorgen, »Wissensnomaden« könnten in einem kollektiven virtuellen Raum, dem Metaversum, zusammenarbeiten: als Mensch-Maschine-Übersetzer, Lerncoach oder Hausmeister in der virtuellen Welt. Arbeit wird es also auch in einer algorithmisierten Welt geben. Ob es allerdings Erwerbsarbeit sein wird, kann niemand vorhersagen.
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