Grams' Sprechstunde: Arzt und Patient als Komplizen
Neulich, ich sitze beim Familienfest am Tantentisch, und es wurden schon alle diabetischen Füße auf den Tisch gelegt: »Liebes, schau mal, schon viel besser als letztes Mal ...« Ähm, schluck. Man klagt sich so durch. Klagt über die Ärzte, die so abgehoben mit einem sprechen, dass man kaum ein Wort versteht. »Sicher kannst du mir aber was dazu sagen, Liebes. Mein Diabetes ist ja ganz neu eingestellt. Nun hat der Doktor mir beim letzten Mal gesagt, dass er dabei aber auch Komplikationen, ich weiß nicht genau, erwartet. Was meinte der denn?«, sorgt sich Tante 3. »Ich hab mich nicht getraut, nochmal nachzufragen, er hat nur so Fachworte benutzt. Und das neue Medikament bekommt mir gar nicht. Hab ich ihm aber nicht gesagt, damit er nicht enttäuscht ist«.
Oh wei! Das ist zunächst einmal sicher kein Musterbeispiel für gelungene Arzt-Patienten-Kommunikation. Weder von Seiten des Arztes – der hier offenbar mit Begriffen hantiert hat, die für meine Tante als Patientin unverständlich waren und sie verunsichern. Aber auch nicht von Seiten der Tante – die selbstverständlich hätte erzählen müssen, dass sie das neue Medikament nicht verträgt, und die nachfragen müsste, wenn sie den Doc nicht versteht. Verstehen und Verständlichmachen sind aber die Basis von etwas, das für ein gelingendes Arzt-Patienten-Verhältnis ganz entscheidend ist: der »Compliance«.
Was ein Komplize ist, weiß jeder. Die Compliance hat denselben Wortstamm: Sie umschreibt, dass Arzt und Patient bei der Bekämpfung von Krankheiten wirklich »Komplizen« sind. Gemeinsam – und vor allem in gegenseitigem Vertrauen – arbeiten sie auf einen Erfolg hin. Patienten-Compliance bedeutet konkret, dass der Arzt sich darauf verlassen können muss, dass Patientin oder Patient sich an seine Behandlungsanweisungen hält. Das gilt in allererster Linie für die Medikamenteneinnahme nach der Verordnung. Vertrauensvoll informiert sein muss der Arzt aber über einiges mehr: Ist der Patient etwa gleichzeitig anderswo in Behandlung? Nimmt er eigenmächtig andere Pillen, oder lässt er zum Beispiel Mittel weg? Der Arzt muss sich auch darauf verlassen, dass der Patient ihn und seine Empfehlungen verstanden hat. Compliance setzt deshalb natürlich voraus, dass der Arzt auch konkrete und klare Behandlungsanweisungen gibt. Es ist gut belegt, dass die Compliance bei der Medikamenteneinnahme weitaus höher ist, wenn der Arzt die Einnahmeempfehlung kurz selbst notiert und sie dem Patienten übergibt – und niedriger, wenn Patienten sich allein an der Packungsbeilage orientieren. Das gilt übrigens sogar, wenn die ärztliche Anweisung und die Empfehlung in der Packung identisch sind.
Das Bild von der »Komplizenschaft« gefällt mir persönlich sehr gut. Im Wandel der Vorstellungen von einem guten Arzt-Patienten-Verhältnis in den letzten 20 Jahren hat sich der Begriff Compliance nämlich auch tatsächlich gewandelt – weg von einem passiven Annehmen der ärztlichen Anweisungen als »therapeutischen Befehl« hin zu einem gemeinsamen Handeln von Arzt und Patient, eben der Komplizenschaft gegen die Krankheit. Was natürlich auch mit einem größeren Aufwand auf beiden Seiten verbunden sein kann – aber der lohnt sich!
Compliance muss jeder Behandler im Auge haben und er muss abschätzen können, welche Informationen der jeweilige Patient im Hinblick auf eine optimale Zusammenarbeit braucht. Dabei geht es nicht um Kleinigkeiten: Nach Angaben einer großen deutschen Krankenkasse werden die direkten medizinischen Kosten unzureichender Compliance auf bis zu zehn Milliarden Euro (!) geschätzt. Und das ist nur der in Geld ausgedrückte Nachteil, viel schlimmer wiegen natürlich auf Seiten der Patienten durch fehlende Compliance ausgelöste oder verschleppte Krankheiten.
Klar, das ist nicht immer leicht, aber: Fragen Sie nach, wenn Ihnen etwas unklar ist! Verschweigen Sie nichts vermeintlich Unwichtiges über Ihr Befinden, über die Medikamente, die Sie nehmen, über etwaige belastende Lebensumstände oder Unverträglichkeiten – für den Arzt könnte das durchaus wichtig sein. Wir wollen es ja nicht so weit kommen lassen, dass Dr. Gregory House aus der nach ihm benannten Serie Recht bekommt, der grundsätzlich davon ausging: »Alle Patienten lügen.« Sagen Sie Ihrem Arzt-Komplizen, was Sie nehmen, lassen und möchten – und fragen Sie bei Unklarheiten nach! Gemeinsam lässt sich jedes Therapieziel besser erreichen, und das kostet uns alle weniger Geld, Nerven – und Gesundheit.
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