Springers Einwürfe: Erst gemeinsam werden Bakterien zu Überlebenskünstlern
Darf ich Ihnen, bevor wir zu den Bakterien kommen, zunächst ein erfolgreiches höheres Lebewesen vorstellen? Stefany Moreno-Gámez studierte an der Universidad de los Andes in Bogota (Kolumbien) und überquerte dann ostwärts den Atlantik, um an der Universität Groningen und der ETH Zürich ihr Studium der Evolutionsbiologie abzuschließen. Danach sprang sie westwärts nach Nordamerika an das Massachusetts Institute of Technology, wo sie die Evolutionsdynamik von Darmbakterien erforscht. Im November 2022 wurde sie beim Essay-Wettbewerb der Zeitschrift »Science« mit dem ersten Preis in der Sparte Ökologie und Umwelt ausgezeichnet.
Damit wird nicht nur eine herausragende Arbeit belohnt, sondern auch die Eleganz der Darstellung. Das gestattet einem bakteriologischen Laien wie mir, von den präsentierten Resultaten fasziniert zu sein.
Zur Überlebenskunst von Bakterien gehört, dass sie auf unvorteilhafte Umweltbedingungen mit einer Art Scheintod reagieren. Im Sporenstadium stoppt der Stoffwechsel auf fast unbegrenzte Zeit: Noch nach Tausenden von Jahren lassen sich derart schlummernde Bakterien zu neuem Leben erwecken.
Aber wie merkt so ein winziges Wesen rechtzeitig, dass ihm lebensbedrohende Unbill droht? Die dafür relevanten Umweltinformationen sind oft schwach und uneindeutig. Moreno-Gámez fand heraus, dass sich die Bakterien durch den Austausch von Signalmolekülen quasi zusammenschalten, um gemeinsam gegen eine plötzlich feindliche Welt gewappnet zu sein.
Dabei schwankt die Produktion der Signalmoleküle im Takt der ökologischen Bedrohung. Das wies die junge Forscherin nach, indem sie Kulturen von Streptococcus pneumoniae durch Zugabe von periodisch wechselnden Antibiotikamengen stresste. Im Computermodell zeigte sich, dass die Kulturen durch den passend hoch- und runterregulierten Signalaustausch einen Überlebensvorteil gewinnen, den ein einzelnes Bakterium nicht hätte. Die vermeintlich primitiven Organismen profitieren von kollektivem Verhalten – sie zeigen Schwarmintelligenz.
Damit nicht genug. In einem zweiten Experiment untersuchte die Preisträgerin, wie Bakterien auf ein unregelmäßiges Nahrungsangebot reagieren. Es wäre zu erwarten, dass hungrige Mikroorganismen jede Chance nutzen, um sich den Bauch vollzuschlagen. Sie können ja nicht an später denken. Dadurch werden zwar sofort Wachstum und Zellteilung angeregt – was aber unter instabilen Umweltbedingungen die ganze Sippschaft wiederum besonders verwundbar macht.
Die Forscherin beobachtete unter dem Mikroskop hunderte ausgehungerte Exemplare des Darmbakteriums Escherichia coli und registrierte, wie schnell sie nach einer Nahrungsvergabe wuchsen. Offenbar nahmen keineswegs alle direkt und gleichermaßen zu. Manche reagierten unmittelbar, andere warteten 20 Generationen und länger, bis sie anfingen, sich zu reproduzieren.
Verschonte Faulpelze
Diese Varianz scheint auf den ersten Blick gar nicht optimal für den Fortpflanzungserfolg zu sein. Müsste nicht gelten: je schneller, desto besser? Oder hat die zeitliche Streuung gar Vorteile?
Um das zu testen, stresste Moreno-Gámez die Bakterien mit plötzlich und kurz hinzugefügten Antibiotika. Und tatsächlich: Die entwicklungsverzögerten, noch nicht vergrößerten Individuen hatten nun einen Überlebensvorteil, während die bereits gewachsenen Exemplare von den Antibiotika hinweggerafft wurden. Auf diese Weise überleben unter Umweltstress vorzugsweise gemischte Populationen, die das Nahrungsangebot unterschiedlich rasch verzehren. Die Bakterien verhalten sich strategisch!
So sehr das schöne Resultat die ausgezeichnete Forscherin ehrt und den Respekt vor scheinbar simplen Organismen erhöht, birgt es auch eine Warnung: Bakterielle Krankheitserreger haben viele Tricks auf Lager, um sich gegen Antibiotika zu wappnen.
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