Freistetters Formelwelt: Der größte Promi aller Zeiten
Kennen Sie die uruguayische Dichterin Orfila Bardesio? Vermutlich nicht – es sei denn, Sie stammen zufällig aus Uruguay und interessieren sich für Lyrik. Wie steht es mit dem russischen Poeten Michail Muravjov? Abgesehen von Fans der russischen Literatur des 18. Jahrhunderts dürfte sein Bekanntheitsgrad hier zu Lande vermutlich ebenfalls eher gering ausfallen. Diese Beispiele zeigen, dass Prominenz ein schwer zu fassendes Phänomen ist. Wer »bekannt« ist, hängt nicht nur davon ab, weshalb die Person möglicherweise bekannt wurde. Sondern auch davon, in welchem geografischen, zeitlichen oder sozialen Umfeld man die Prominenz sucht. Die Menschen, die für unsere Großeltern prominent waren, sind es für uns heute teilweise nicht mehr; dafür kennen wir nicht die ganzen Promis in den sozialen Netzwerken, für die sich unsere Kinder begeistern.
Mit dem Konzept der »beachtenswerten« Menschen hat sich kürzlich auch die französische Ökonomin Morgane Laouenan beschäftigt. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie eine Datenbank erstellt, die alle »berühmten« Menschen enthält, die zwischen 3500 v. Chr. und 2018 gelebt haben. Insgesamt 2,29 Millionen Einträge sind darin zu finden – die Liste ist aber längst nicht komplett. Die Strategie zur Erstellung der Datenbank haben Laouenan et al. in dieser Formel zusammengefasst:
Warum sie sich bei den Symbolen gerade für das Fraktur-Alphabet entschieden haben, wird nicht erläutert. 𝔖 steht jedenfalls für die Gesamtheit alle »signifikanten« Menschen der Geschichte. Diese Menge setzt sich aus 𝔉 und 𝔇 zusammen, wobei 𝔇 die Menschen darstellt, deren Signifikanz uns bewusst ist, und 𝔉 die Gruppe an Leuten umfasst, die irgendwann mal als wichtig gegolten haben, deren Prominenz oder gar Existenz wir heute aber vergessen haben. Diese Gruppe kann logischerweise nicht Teil irgendeiner Datenbank sein. Man kann nur hoffen, dass sie durch die Geschichtswissenschaft im Lauf der Zeit immer kleiner wird.
Relevant ist daher die Gruppe 𝔇. Der nähern sich Laouenan und ihr Team auf spezielle Weise: Sie unterteilen 𝔇 in die Mengen 𝔚 und 𝔘, wobei 𝔚 alle signifikanten Menschen enthält, die einen Eintrag auf Wikipedia (oder dem verwandten Projekt Wikidata) haben, und 𝔘 umfasst alle Personen, deren Bedeutung zwar prinzipiell bekannt ist, die es aber noch nicht zu einem Wikipedia-Eintrag gebracht haben.
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Ein Maß für Berühmtheit
Der Ansatz hat natürlich seine Schwachstellen, aber anders lässt sich die Datenmenge wohl kaum konstruieren. Wikipedia und Wikidata sind zwar nicht perfekt, aber frei zugänglich und sie können maschinell ausgewertet werden. Gewiss muss man die Daten entsprechend prüfen und verifizieren, um dann daraus irgendwie eine Maßzahl zu berechnen, die ein Ranking anhand der Berühmtheit möglich macht. Dazu nutzen die Fachleute zum Beispiel die Länge der Wikipedia-Artikel, aber auch die Anzahl der Sprachen, in der ein Artikel existiert, ebenso wie die Zahl der Aufrufe und deren biografische Vollständigkeit. Dieser Vorgang lässt sich dann nicht mehr in eine simple mathematische Formel packen.
Die Resultate dieses »Promi-Rankings« sollte man mit der nötigen Vorsicht betrachten. Die Daten liefern aber zumindest plausible Muster. Im Mittelalter etwa stellten Kirche und Adel die meisten bekannten Menschen; heute dominieren Kultur und Sport. Im 16. Jahrhundert kamen die meisten Entdecker und Erfinder aus Spanien und Portugal, später hauptsächlich aus Frankreich und Großbritannien.
Die Forschung wird vermutlich noch zahlreiche weitere Anwendungen für solche Datenbanken finden. Immerhin sagt es viel über die Menschen und ihre Kultur aus, wer aus welchen Gründen gerade für wichtig gehalten wird. Unter den berühmtesten noch lebenden Personen finden sich Beyoncé, Hillary Clinton, Arnold Schwarzenegger und Lionel Messi. Übrigens: Ich befinde mich im Ranking auf Platz 628 238 – zwischen Orfila Bardesio und Michail Muravjov. Tja.
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