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Gute Nacht – die Kolumne für besseren Schlaf: Klebeband über dem Mund kann beim Schlafen helfen

Mouth Taping heißt der Tiktok-Trend: Menschen kleben sich den Mund zu und berichten vom besten Schlaf ihres Lebens. Ob das wirklich stimmt, ist nicht belegt – aber es gibt eine nachvollziehbare Erklärung.
Rothaarige junge Frau klebt sich den Mund mit Panzertape zu.
Klebeband über dem Mund kann den Schlaf verbessern. Bei sich selbst - aber manchmal durchaus auch bei anderen.

Sie heißen Mouth Tape, Breathy Silencer, Schlafstreifen und Hostage Tape: Die Rede ist von Klebestreifen, die sich Menschen bei Nacht über die Lippen kleben. Manche sind X- oder H-förmig, andere sehen aus wie oval geschnittenes Kinesiotape und es gibt sie auch in Schnulleroptik für Erwachsene. Sie sollen helfen, ein- und durchzuschlafen, und den Schlaf tiefer und erholsamer machen. Das klingt kurios, aber dahinter steckt ein spannendes Rätsel – die Frage danach, wie wir eigentlich richtig atmen.

Die Atmung zu erforschen ist aufwändig. Das geht nicht mal eben so über eine Befragung; dazu werden Menschen verkabelt und beobachtet, man misst mit Apparaturen direkt am Körper. Und weil dafür nicht nur eine Testgruppe nötig ist, sondern mindestens eine unbeeinflusste Kontrollgruppe, verkleinert sich der Kreis der am eigentlichen Experiment beteiligten Personen noch weiter. In diesem Artikel zitiere ich ausnahmslos Studien mit kleinen Probandengruppen. Deswegen liefern solche Experimente keine Beweise, sondern eher Hinweise. Dafür sind diese Beobachtungen durchaus interessant.

Durch die Nase atmen? Unbedingt!

Wer sich den Mund zuklebt, der atmet durch die Nase. Und das ist eine prima Sache. Bitte atmen Sie unbedingt durch die Nase, wenn diese gerade frei ist. Laut einem Experiment reguliert das den Blutdruck stark, die Teilnehmenden berichteten von weniger Atemanstrengung und weniger Atemlosigkeit. Die Herzratenvariabilität verbesserte sich im Vergleich zur Mundatmung. Das bedeutet, das Herz war besser in der Lage, sich an das aktuelle Anforderungsniveau anzupassen. Das ist eine Reaktion auf die Aktivität des Parasympathikus, also jenes Teils des Nervensystems, das den Körper beruhigt und Organfunktionen normalisiert.

Auch wenn wir uns die Atmung selbst anschauen, dann hat die Nase viele Vorteile. Testen Sie doch mal, ob Sie einen Unterschied spüren: Wenn Sie wie ich schon Ihr Leben lang Nasenatmerin sind, dann fühlt sich ein Atemzug durch den Mund vielleicht sogar richtig unangenehm an, vor allem in geschlossenen Räumen bei Heizungsluft. Denn auf dem Weg durch die Nase wird die Luft erwärmt, gefiltert und befeuchtet. Beim Weg durch den Mund nicht.

Kleben oder nicht kleben?

Wenn Sie nun neugierig geworden sind, ob der Klebestreifen Sie zum Nasenatmer macht: Nur zu! Probieren Sie es aus. Machen Sie aber unbedingt vorher einen Test auf Ihrer Haut. Die Region um den Mund herum muss viel aushalten, und wer schon einmal eine periorale Dermatitis hatte, der möchte diese Erfahrung nicht wiederholen. Bei Atemaussetzern oder Schnarchen könnte das Mouth Taping Ihnen unter Umständen wirklich helfen. Allerdings sollte Ihre Hausarztpraxis über solche Symptome informiert sein, denn sie sind oft unterschätzte Anzeichen für ernste Probleme. Das gilt in jedem Fall, unabhängig davon, ob Sie mit dem Taping experimentieren wollen oder nicht. Womöglich wird Ihnen Ihre Arztpraxis auch erst zum Nasenpflaster statt zum Mundpflaster raten.

Achten Sie zunächst darauf, wie Sie atmen. Wenn Sie dazu neigen, durch den Mund zu atmen, sollten Sie erwägen, aktiv umzulernen. Nasenatmung ist gesünder als Mundatmung. Das üben Sie am besten tagsüber. Eine Erkältung mag Sie zurückwerfen, aber das geht uns allen so. Der Journalist James Nestor hat – gemeinsam mit Forschenden und immer mit ärztlicher Begleitung – viele Atemtechniken ausprobiert und ein lesenswertes populäres Wissenschaftsbuch darüber geschrieben. Es ist voll mit verrückten Experimenten.

So, kann ich jetzt besser schlafen?

Es gibt derzeit keine wissenschaftlich belastbare Antwort auf die Frage, ob Mouth Taping beim Schlafen hilft. Auf Basis dessen, was wir aus der Atemforschung wissen, können wir aber sagen: Wer durch die Nase atmet, schläft wahrscheinlich entspannter als Mundatmende. Darauf deutet auch hin, dass die Sauerstoffverteilung im Gehirn bei Nasenatmenden anders ist. Wer dagegen durch den Mund atmet, neigt mit größerer Wahrscheinlichkeit zu Schlafstörungen.

Ob für das Lernen, die Laune oder die Gesundheit – guter Schlaf ist lebenswichtig. Doch leider klagen viele Menschen über Schlaflosigkeit oder Schlafprobleme. In der Kolumne »Gute Nacht – die Kolumne für besseren Schlaf« gehen wir regelmäßig auf Hintergründe zum Thema Schlaf ein und geben Tipps, wie Sie (wieder) besser ein- und durchschlafen.

Um gut zu schlafen, brauchen Sie nicht zwingend Klebeband. Ganz andere Aspekte spielen eine größere Rolle:

  • Rauchen Sie? Wenn ja: Wie spät am Abend?
  • Trinken Sie abends Alkohol?
  • Ist Ihr Bedürfnis nach erholsamem Schlaf groß genug, um den Alkohol und die Zigaretten wegzulassen oder erheblich zu reduzieren?
  • Wie ist die Luftqualität in Ihrem Schlafzimmer? Wie können Sie sie verbessern?
  • Können Sie am Abend noch einen Spaziergang einbauen – gern einen mit Nasenatmung?
  • Haben Sie tagsüber Zeit für Bewegung an der frischen Luft? Wenn Sie in einer Stadt leben: Können Sie Ihren Arbeitsweg so legen, dass Sie durch einen Park kommen?

Faktoren wie diese beeinflussen, wie gut wir nachts atmen können, und damit auch, wie entspannt wir schlafen. Und das klappt alles hervorragend ohne Klebeband.

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