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Biontech für Kinder: Trotz EMA-Zulassung sollten Kinder mit der Impfung noch warten

Der Biontech-Impfstoff ist für Kinder ab zwölf Jahren zugelassen. Das hat die EMA mitgeteilt. Die Entscheidung sollte aber nichts an der Impf-Reihenfolge ändern. Ein Kommentar.
Schülerinnen und Schüler tragen Masken beim Unterricht, wie es der Corona-Infektionsschutz in Nordrhein-Westfalen vorsieht. (Archiv)

In Europa können sich Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren künftig mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer vor Corona schützen lassen. Er schütze in dieser Altersgruppe sehr gut, »der Impfstoff ist gut verträglich«. Das hat die Europäische Arzneimittelbehörde EMA auf einer Pressekonferenz im Anschluss an ihre außerordentliche Sitzung am Freitag bekannt gegeben. Für Eltern stellt sich damit noch dringlicher die Frage als bisher: Soll ich mein Kind impfen lassen? Und weiter: Auf welcher Grundlage entscheide ich das? Denn nun, da Biontech für die jüngere Altersgruppe zugelassen ist, dürfen Ärztinnen und Ärzte Kinder impfen – unabhängig von einer Empfehlung der Ständigen Impfkommission.

Entscheiden müssen das aber Eltern und Erziehungsberechtigte, die Risikoabwägung obliegt letztlich ihnen. Das wiederum birgt die Gefahr, dass die ohnehin schon stark von Emotionen bestimmte Kinder-impfen-oder-nicht-Debatte weiter emotionalisiert wird, während es laut Fachleuten noch immer an wissenschaftlich geprüften Daten für eine fundierte Entscheidungsfindung mangelt.

Verständlich ist der Wunsch nach einer neuen Normalität. Nach Kita- und Schulöffnungen, nach Betreuung, Lehre, Ausbildung. Manche mögen sogar die Perspektive von Politikern nachvollziehen können, dass sich mit dem Thema hervorragend Wahlkampf machen lässt und es entsprechend ratsam erscheint, zu erlauben, dass Kinder nach entsprechender EMA-Zulassung ab 12 Jahren in Deutschland vom 7. Juni an gegen Corona geimpft werden dürfen. Unabhängig davon, ob sie gesund oder vorerkrankt sind.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Doch ob junge Menschen eine Schutzimpfung mit Biontech, Moderna oder einem sonstigen Mittel bekommen, sollte man nach wissenschaftlichen Kriterien und nicht auf Grund von politischem oder gesellschaftlichem Druck entscheiden. Das sollte auch bedenken, wer nun von Eltern erwartet, dass sie die Impfmöglichkeit zum Wohle der Kinder so schnell wie möglich wahrnehmen. Denn es gibt gute Argumente dafür, noch länger damit zu warten, junge Menschen zu impfen.

Mediziner wollen noch keine Empfehlung abgeben – verständlich

Für Erwachsene steht fest: Sars-CoV-2 und seine unter Beobachtung stehenden Varianten sind viel gefährlicher als die geprüften und zugelassenen Schutzimpfung dagegen. Wer sich nicht durch zwei Pikse – oder im Fall von Johnson&Johnson einen – gegen das Virus immunisieren lässt, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch andere. Und mit einer Quote von rund 16,5 Prozent vollständig Geimpften – 42 Prozent der Deutschen haben mindestens die erste Dosis erhalten – haben noch immer nicht genügend Bürgerinnen und Bürger Corona-Vakzine in sich, um alle zu schützen. Darunter zahlreiche über 60-Jährige, wie das Impfquotenmonitoring zeigt. Sie haben ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe.

Die Datenlage zu Risiken und Nutzen einer möglichen Corona-Impfung bei Kindern und Jugendlichen ist hingegen derzeit deutlich weniger umfassend. Manche Mediziner bezeichneten sie kürzlich gar als so unzureichend, dass sie keine Empfehlung dafür abgeben wollen. Daran ändert auch die Bekanntgabe der EMA nichts.

Kinder und Jugendliche sind keine kleinen Erwachsenen. Je jünger sie sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Immunsystem anders reagiert, weil es noch nicht ausgereift ist. Das ist übrigens ein Grund, warum die Hersteller ihre Impfstoffe zunächst mit Erwachsenen, dann mit Jugendlichen und erst nach erfolgreichen Tests in weiteren Studien mit Jüngeren erproben werden. Das braucht Zeit. Noch länger dauert es, Details herauszufinden, um etwa zu klären, ob eine Impfung für Kinder mit Vorerkrankungen basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen empfehlenswerter ist als für Kinder ohne.

Mehr Kinder stecken sich an, weiterhin erkranken sie selten schwer

Für Biontech und Moderna liegen mittlerweile erste Daten der Hersteller vor. Laut einer Studie im »New England Journal of Medicine« schützen zwei Dosen des Pfizer-Biontech-Stoffs Personen im Alter von 12 bis 15 Jahren wirksam gegen Covid-19. Auch der Impfstoff mRNA-1273 von Moderna hat sich in einer Phase-2/3-Studie bei Jugendlichen bisher offenbar als sicher und gut verträglich erwiesen sowie eine hohe Schutzwirkung erzielt. Die Moderna-Ergebnisse sind allerdings noch von Fachleuten zu prüfen und bisher in keiner wissenschaftlichen Zeitschrift publiziert.

Von Sicherheit und Wirksamkeit abgesehen stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, Kinder zu diesem Zeitpunkt zu impfen. Hier sind vor allem zwei Punkte zu bedenken: Erstens stecken sich nun, da viele Ältere bereits geimpft sind und sich Virusmutationen wie die britische Variante B 1.7.7. ausbreiten, vermehrt Kinder und Jugendliche an. Die Inzidenz ist in allen Altersgruppen der unter 21-Jährigen höher als während der zweiten Welle.

Dabei ist beim Anteil der positiv getesteten Kinder und Jugendlichen ein deutlicher Unterschied zwischen den Altersgruppen zu erkennen. Zwischen dem 12. und dem 18. April 2021 wurden dem Robert Koch-Institut (RKI) Probenergebnisse von 24 720 getesteten 0- bis 5-Jährigen übermittelt. Von diesen waren 8,3 Prozent positiv. Im Vergleich dazu lag der Positivanteil bei den 6- bis 10-Jährigen bei 17 Prozent und bei den 11- bis 14-Jährigen bei 23 Prozent. Das geht aus einem aktuellen Monatsbericht des RKI hervor.

Zweitens verlaufen die meisten Infektionen bei jungen Menschen ohne Krankheitsanzeichen oder mild. Wenn es ein Symptom gab, dann häufig Husten, Fieber, Schnupfen oder eine Kombination. In seltenen Fällen entwickeln Kinder ein Krankheitsbild, das »Paediatric inflammatory multisystem syndrome« (PIMS) genannt wird in Kombination mit einem »Toxic Shock Syndrome« (TSS). Ebenfalls selten: junge Menschen, die noch Wochen oder Monate nach einer Infektion mit Spätfolgen zu kämpfen haben, bekannt als »Long Covid«.

Von den insgesamt 69 133 bis Fünfjährigen mit Covid-19 mussten 1997 ins Krankenhaus. 28 von ihnen kamen auf die Intensivstation, wie es in dem RKI-Bericht mit Stand 19. April 2021 heißt. In den darauf folgenden Wochen waren wieder weniger Kinder auf eine Behandlung im Krankenhaus angewiesen (siehe Grafik). Es wurden bislang acht Covid-19-Todesfälle bei den 0- bis 5-Jährigen übermittelt, von denen bisher sechs validiert sind. Deutlich häufiger sterben Menschen ab 60 Jahren, noch häufiger ab 80 Jahren an den Folgen der Krankheit.

Es ist sinnvoll, an einer Impfpriorisierung festzuhalten

Das letzte offizielle Wort zur Impfreihenfolge und Impfempfehlung hat in Deutschland die Ständige Impfkommission. Deren Bewertung steht noch aus. Bekräftigt haben Mitglieder der Kommission bereits, man werde sich unabhängig von der EMA für oder gegen die Corona-Impfung von Kindern aussprechen. Was manche als unnötiges Zögern bemängeln, ist indes eine vernünftige Haltung.

Es stimmt, jeder und jede Geimpfte zählt – doch manche haben auf Grund ihres Alters, ihrer Position, ihrer Vorerkrankungen oder besonders gefährdeten Familienmitgliedern, die nicht geimpft werden können, eine berechtigt höhere Priorisierung. Die Priorisierung aufzuheben ist deshalb keine gute Idee.

Das heißt nicht, Kindern und Jugendlichen sollte die Möglichkeit zur Impfung verwehrt bleiben. Erst recht nicht nach einer angemessenen Prüfung der Mittel. Schließlich wird Sars-CoV-2 in diversen Varianten mit großer Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft zirkulieren. Und schon jetzt kann es Kinder geben, die eine Corona-Schutzimpfung dringend benötigen. Aber momentan profitieren die Mehrheit der Kinder und ihre Erziehungsberechtigten mehr davon, wenn die allgemeinen Fallzahlen niedrig bleiben. Wer also Kinder und Jugendliche effektiv schützen möchte, sollte diesen Sommer nicht nur auf den Impfstoff gucken. Es gibt mehr Möglichkeiten, Unterricht, Schulsport und Freizeitangebote möglichst sicher anzubieten. Vielmehr gilt es weiterhin alles daranzusetzen, dass die Pandemie eingedämmt wird.

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