Sexismus: Brüderle im Geiste
Der eigentliche Vorfall wäre ganz einfach aus der Welt zu schaffen gewesen. "Stern"-Journalistin Laura Himmelreich warf dem FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle sexistisches Verhalten vor, darunter anzügliche Blicke und ein Kommentar über ihre Oberweite. Er hätte sagen können: Mea culpa, ich war betrunken, hab danebengegriffen, tut mir leid. Dann wäre die Diskussion schon vor Tagen erlahmt. Doch die FDP hat aus den Abgängen von Christian Wulff und Karl-Theodor zu Guttenberg wohl nichts gelernt. Brüderle glaubt, die Sache aussitzen zu können, und gab damit weiteren Herrschaften die Gelegenheit, sich als seine Brüder im Geiste zu erweisen.
Die Medienreaktionen lassen glauben, das größte Problem läge darin, dass sexistisches Verhalten schwer zu definieren ist. Das trifft aber vor allem für diejenigen zu, die sich nicht sexistisch verhalten wollen. Sie zählen in der Regel jedoch nicht zur aufdringlichen oder übergriffigen Kerngruppe. Denn ihre Mitglieder zeichnen sich dadurch aus, dass sie Chauvi-Sprüche und anzügliche Blicke oder Bemerkungen für ihr gutes Recht oder zumindest für einen Ausdruck ihrer Männlichkeit halten. Frauen, die sich dagegen wehren, unter Umständen sogar ohne zu lächeln, gelten als Mimosen, Spaßbremsen oder hysterische Zicken. Stellt eine Frau im Beruf lästige Fragen – eine der schönsten journalistischen Pflichten –, kann ein Kommentar über weibliche Attribute an die traditionellen Geschlechterrollen und Machtverhältnisse erinnern. In solchen Anzüglichkeiten kann, gewollt oder ungewollt, eine Botschaft auf der Beziehungsebene stecken, wie einst der Psychologe Friedemann Schulz von Thun entschlüsselte: Ich darf deine Attraktivität bewerten, wir sprechen hier nicht auf Augenhöhe. Selbst ein charmantes Kompliment kann deshalb vermitteln, dass das weibliche Gegenüber nicht als professionelles Gegenüber akzeptiert wird. Und allein der Glaube, witzig zu sein, macht aus einem plumpen Kommentar noch keinen netten Scherz.
Natürlich ist ein einvernehmlicher Flirt auf Augenhöhe kein Problem. Und jedem steht es frei, sich gedanklich unablässig mit den sexuellen Vorzügen einer Frau zu beschäftigen (man muss sich allerdings fragen, wie viel Kapazität dann für andere Aufgaben bleibt). Sobald Sprüche oder Avancen von einer Machtposition ausgehen, befindet sich die Frau in einer Zwickmühle. Spätestens wenn sie sich mehr professionelle Distanz erbittet, sollte Schluss sein.
Genau das tat Laura Himmelreich, und doch brauchte es offenbar eine Pressereferentin, um Brüderle zu stoppen. Wie die meisten Frauen versuchte sie zunächst, sich höflich aus der Situation herauszuwinden. Obwohl sie als Journalistin gegenüber Brüderle in einer unabhängigeren Position ist als eine Sekretärin gegenüber ihrem Chef, muss sie nun Nachteile in Kauf nehmen, weil sie den Vorfall öffentlich gemacht hat. Künftig will Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef in Schleswig-Holstein, nicht etwa auf angemessenes Verhalten in den eigenen Reihen drängen – nein: Er will den Kontakt zu Journalistinnen verringern. Nach eigenen Angaben traut er sich selbst nicht über den Weg: Ihm könne da schon mal eine lockere Bemerkung rausrutschen.
Die Empörung in Teilen der FDP verdeutlicht, wie selbstverständlich es ihnen erscheint, dass solche Vorfälle verschwiegen werden. Sexistische Kommentare sind Normalität, die Konsequenzen selbstredend, die meisten Frauen haben sich damit arrangiert. So können Brüderle und seine Sympathisanten die berechtigte Hoffnung hegen, die alten Sitten beibehalten zu können. Grund zu Sorge und Ärger geben deshalb weniger Brüderles mutmaßliche Fehltritte als vielmehr die Reaktionen seiner Sympathisanten und was sie über ihre Denkweise verraten.
Nummer eins auf der Liste unsäglicher Reaktionen ist der Versuch, der Journalistin die Schuld zuzuschieben: Was treibt sie sich auch nachts auf einer Feier der Partei herum? Mit diesem Argument stellen sich Brüderles Verteidiger in eine wenig schmeichelhafte Tradition, denn seine Logik gleicht der von so genannten Vergewaltigungsmythen: Wenn eine Frau nachts im kurzen Rock allein nach Hause läuft, trägt sie zumindest Mitschuld, wenn sie belästigt wird. Sie kann ihre Rechte demnach verwirken, wenn sie eine potenziell gefährliche Situation aufsucht. FDP-Partys zählen da wohl dazu. Dort muss eine gut aussehende Journalistin mit anzüglichen Bemerkungen rechnen – so jedenfalls das Bild, das Brüderle-Verteidiger von der Regierungspartei vermitteln.
Eine weitere Strategie – sich selbst zum Opfer stilisieren – zeigt, dass sich auch gebildete Frauen vor den Chauvi-Karren spannen lassen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger behauptet, es gehe dem "Stern" nur um seine Auflage. Die Justizministerin beklagt sich über das Niveau des Magazins, und Parteikollege Kubicki meint, man wolle einen "Hoffnungsträger der FDP" mutwillig schädigen. Dabei räumt er selbst Presseberichten zufolge ein, der Bericht enthalte seines Wissens keine falschen Tatsachenbehauptungen. Das Niveau gab also Brüderle selbst vor und hat den Schaden eigens zu verantworten. Inwiefern das Gewinnstreben eines Magazins von Bedeutung ist, wenn die Informationen zutreffen, bleibt noch dazu ein Geheimnis.
Nicht nur mit Scheinargumenten, auch mit sexistischem Spott hoffen Brüderle-Sympathisanten in ähnlich gesinnten Männerkreisen zu punkten. Darauf lässt jedenfalls der Kommentar des Journalisten Gabor Steingart schließen. Bei dem Versuch, den Sexismus-Vorwurf ins Lächerliche zu ziehen, offenbart der "Handelsblatt"-Chefredakteur einen besonders lupenreinen Chauvinismus. Im "Handelsblatt Morning Briefing" schrieb er: "Mit zweideutigen Herrenwitzen soll FDP-Sturmspitze Rainer Brüderle eine Stern-Redakteurin behelligt haben. Auch gegenüber einer schleswig-holsteinischen Milchkuh sei der FDP-Fraktionschef mit der Bemerkung 'Körbchengröße 90 L' negativ aufgefallen, berichtet die Illustrierte. Jetzt fehlt nur noch, dass Stern-Chefredaktion und der Verband der Milchbauern einen Untersuchungsausschuss des Bundestages fordern. Vorschlag zur Güte: Vielleicht sollte man nach all den Bonsai-Affären mal wieder über Politik reden."
Keine Frauenbeauftragte hätte sich ein besseres Beispiel für Sexismus ausdenken können. Erst die Gleichsetzung von Frau und Kuh, dann den Ausschluss von Frauengedöns aus der Politik, und schließlich die sexistische Rhetorik auch noch altväterlich als "Vorschlag zur Güte" zu verkaufen – damit toppt er selbst die Reaktionen aus den Reihen der FDP.
Dass ihm dieser Kommentar nicht um die Ohren fliegt, ist alarmierend. Denn es sind Reaktionen wie diese, die Frauen lieber schweigen lassen. Es gibt zu viele Brüderles im Geiste, und sie besetzen einflussreiche Positionen. Sie gehören da nicht hin; sie haben sich selbst disqualifiziert. Einen solchen Fall wollte die Journalistin aufdecken, als sie berichtete, worüber viele andere aus Bequemlichkeit, Resignation oder Angst hinwegsehen. Wenn sich künftig ein paar Brüderles zivilisierter benehmen, dann Himmelreich sei Dank.
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