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Sex matters: Beziehungen in Schieflage

Warum werden Männer für etwas gelobt, was Frauen ganz selbstverständlich tun? Der Sexualtherapeut Carsten Müller erklärt, was das mit Paaren macht. Eine Kolumne.
Erschöpfte Mutter mit Baby auf dem Arm lehnt an einem Kleiderschrank und starrt in die Luft.
Frauen verbringen im Schnitt mehr Zeit als Männer damit, sich um ihre Kinder oder andere Familienmitglieder zu kümmern. (Symbolbild)

»Ich habe ein Problem, das eigentlich ganz alltäglich ist, doch darunter leidet im Moment alles – die Partnerschaft und auch unser Sexualleben. Es ist so: Unser Sohn ist eineinhalb und gerade in den Kindergarten gekommen. Mein Mann und ich teilen uns die Nachmittagsbetreuung. Die anderen Mütter im Kindergarten feiern meinen Mann total dafür, dass er sich kümmert. Ich merke, dass mich das stört. Bei mir jubelt keiner. Aber wenn ich Freundinnen davon erzähle, sagen die nur: Dein Mann ist toll, ich verstehe gar nicht, was du hast.« (Marisa*, 32)

Doch. Ich verstehe, was passiert, wenn der eine für die gleiche Art von Care-Arbeit gelobt wird, während sie beim anderen als selbstverständlich empfunden wird. Marisa ist nicht die erste Klientin, die mich auf dieses Thema anspricht. Viele Paare berichten mir, dass ihre Beziehung in Schieflage gerät, wenn die Anerkennung durch das soziale Umfeld ungerecht verteilt ist. So kann etwas, was eigentlich gut gemeint ist, die Paarbeziehung belasten.

Ich selbst kenne solche Situationen. Ich bin Vater. Wenn ich etwas tue, was traditionell weiblich besetzt ist, werde ich dafür gefeiert. Viel mehr, als mir lieb ist. Und viel mehr, als fair ist. Für Frauen, die in unserer Gesellschaft immer noch den Großteil der Care-Arbeit übernehmen, ist das ein Schlag ins Gesicht.

Das Statistische Bundesamt hat dazu aktuelle Zahlen veröffentlicht: Frauen leisten pro Woche knapp 30 Stunden unbezahlte Arbeit für Haushalt und Familie, Männer knapp 21 Stunden. Das macht einen Unterschied – genannt »Gender-Care-Gap« – von einer Stunde und 17 Minuten pro Tag. Viele Frauen fühlen sich mit der Kinderbetreuung und dem Haushalt alleingelassen. Das kann sogar in eine gute Beziehung einen Keil treiben.

Als Marisa und ihr Mann das erste Mal zu mir kamen, waren beide mit ihrer Beziehung unzufrieden. Aber er wusste nicht, was los war. Während er stolz erzählte, was er alles für seinen Sohn tut, wirkte sie total genervt. Ich denke: zu Recht. Er prahlte damit, was er alles für das Kind tut. Und sie hatte das Gefühl: Meine Leistung wird nicht gesehen. Nicht von der Umgebung, nicht von ihm. Das hat auch an ihrem Selbstwertgefühl genagt.

Wertschätzung ist gut. Eigentlich. Wenn allerdings die Männer für Kinderbetreuung besonders gelobt werden, während dieselbe Arbeit bei Frauen als selbstverständlich gilt, dann ist das schlecht. Genauso, wenn eine Frau schief angeschaut wird, weil sie zum Kindergeburtstag gekauften Kuchen mitbringt, während der Mann das Kind nur zum Geburtstag bringen muss, um Begeisterung zu ernten. Das macht etwas mit den Paaren. Vor allem mit der Person, die nicht gelobt wird.

Der Effekt bei Marisa war: Sie schraubte ihre Erwartungen an ihren Mann zurück. Sie wünschte sich mehr Zärtlichkeit im Alltag, konnte das aber nicht äußern. Zu Beginn der Beziehung war ein inniger Kuss nach der Arbeit für beide selbstverständlich gewesen. Seit das Kind da war, gab es diesen Kuss nicht mehr. Marisa vermisste ihn sehr. Doch sie sprach nicht darüber. Sie fragte sich, ob sie dankbarer sein sollte. Und wurde immer unzufriedener.

Das war das Letzte, was ihr Mann wollte. Aber ihm war das Lob der anderen nicht unangenehm, deshalb hatte er es gar nicht als Problem erkannt. Die Bekannten, Freunde und Verwandten des Paares waren sich erst recht nicht bewusst, welche Gefühle sie auslösten.

»Sag denen doch einfach, dass dich das stört«, war der spontane Vorschlag von Marisas Mann. Gut gemeint – aber keine gute Idee. Denn wenn Marisa selbst anderen sagen würde, sie sollten ihren Mann nicht so übermäßig loben, würde sie womöglich neidisch, eifersüchtig und undankbar erscheinen.

Auch bei kinderlosen Paaren ist die Wertschätzung der Alltagsarbeit ein wichtiges Thema. Es ist nun mal so, dass manche Tätigkeiten mehr geschätzt werden als andere. Wer viel Geld nach Hause bringt, ist ein toller Hecht. Wer Berge von Wäsche zusammenlegt, macht nur Hausarbeit. Doch warum soll das eine mehr wert sein als das andere? Und warum wird Care-Arbeit mehr bewundert, wenn ein Mann sie macht? Was übrigens auch passieren kann: Männer, die sich kümmern, geraten unter Rechtfertigungsdruck, zum Beispiel gegenüber dem Arbeitgeber. Sie müssen sich erklären, wenn sie in Elternzeit gehen wollen. Das nervt.

Ich weiß, dass es nicht einfach ist, diese Denkweisen zu ändern. Die althergebrachten Vorstellungen davon, welches Geschlecht was zu tun hat, sind noch tief in den Köpfen verankert. Aber daran können wir etwas ändern. Zum Beispiel durch eine Sprache, die nicht zwischen Mutter und Vater unterscheidet. Wenn wir davon sprechen würden, dass ein Elternteil dies oder jenes tut oder dass »wir als Eltern« etwas so oder so machen: Das stärkt das »wir« und befreit von Geschlechterstereotypen.

Paare können die Außenwelt für das Thema sensibilisieren, indem sie mit einer Stimme sprechen. Dazu braucht es vor allem die Stimme der Männer. Jeder Vater hilft seiner Partnerin, indem er ihre Arbeit gegenüber Dritten ausdrücklich wertschätzt. Oder indem er diejenigen bremst, die ihn selbst über den grünen Klee loben. Die Botschaft lautet: Alles, was wir tun, ist gleich viel wert. Wir haben uns so aufgeteilt, weil wir es beide so wollen. Niemand opfert sich. Bitte verteilt die Lorbeerkränze gleichmäßig. Egal, welches Geschlecht die Person hat, die sich an diesem Tag zufällig um das Kind kümmert.

Und nun sind Sie dran: Drei Fragen zur Care-Arbeit

Ein Gedankenexperiment. Stellen Sie sich vor, Sie würden Eltern in Ihrem Umfeld Folgendes fragen: Wie machst du das mit der Kinderbetreuung? Was passiert, wenn die übliche Betreuung ausfällt? Glaubst du, dass das gut für dein Kind ist? Fragen Sie in Ihrer Fantasie Männer und Frauen. Machen Sie sich bewusst, welche Zuschreibungen in den Köpfen ablaufen.

* Name geändert

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