In Bestform: Darf ich mit einer Erkältung Sport machen?
Endlich hat man beim Sport einen guten Rhythmus gefunden und Kondition aufgebaut. Und nun das: Die Nase läuft, der Hals kratzt ein wenig. Kann man trotzdem Sport treiben, vielleicht sogar die Erkältung »herausschwitzen«? Oder stimmt es, dass man damit eine Herzmuskelentzündung riskiert? Antworten hat Sportmediziner Christof Burgstahler vom Universitätsklinikum Tübingen.
»Spektrum.de«: Herr Burgstahler, schadet man dem Körper, wenn man trotz einer leichten Erkältung, etwa mit laufender Nase, Sport treibt?
Christof Burgstahler: Es kommt tatsächlich darauf an, wie ausgeprägt die Beschwerden sind. Wenn es nur leichte Erkältungssymptome sind, kann man meist noch gefahrlos trainieren. Die Faustregel lautet: Alles, was nicht tiefer als bis zum Hals geht, ist nicht so kritisch. Wenn man also nur ein bisschen verschnupft ist, ist Sport durchaus noch vertretbar.
Was ist denn ein Alarmzeichen?
Kritisch ist es immer, wenn man erhöhte Temperatur oder Gliederschmerzen hat, weil das auf eine allgemeine Entzündungsreaktion hinweist. Oder wenn Husten oder ein allgemeines Krankheitsgefühl hinzukommt. Wenn ich selbst merke, dass ich nicht ganz fit bin, bin ich immer zurückhaltend mit dem Training. Das sage ich auch meinen Sportlern, die mich ganz häufig danach fragen. Außerdem: Wenn der Körper mit etwas anderem beschäftigt ist, bringt das Training ohnehin nichts. Vielleicht bin ich dann beruhigt und der Trainer ist zufrieden, aber eigentlich ergibt das keinen Sinn. Außerdem muss man sich immer im Klaren sein: Nach dem Sport – vor allem nach längeren und intensiven Einheiten – entsteht eine immunologische Lücke, die auch als Open-Window-Effekt bekannt ist. Langfristig hat Sport zwar einen positiven Effekt auf das Immunsystem. In der Phase direkt danach ist man aber anfälliger für Infekte, vor allem in den oberen Atemwegen.
Welche Intensität ist denn noch okay, wenn ich leicht angeschlagen bin? Gibt es etwa ein bestimmtes Limit, das der Puls nicht überschreiten sollte?
Das ist schwer zu sagen, zumal der Puls ja individuell sehr unterschiedlich ist. Man kann da also keine strikte Vorgabe machen. Wenn wir bei jemandem vorher eine Leistungsdiagnostik gemacht haben, empfehle ich ihm oder ihr, zunächst nur im regenerativen Bereich zu trainieren.
Was genau bedeutet das?
Das ist ein Training im niedrigintensiven Bereich, in dem die Belastung für das Herz und den Kreislauf nicht besonders hoch ist, also der Puls nicht stark ansteigt. Allerdings haben die Methoden, mit deren Hilfe wir die Trainingsherzfrequenzen oder den Sauerstoffverbrauch bestimmen, ihre Schwächen. Deshalb rate ich auch, schlicht auf den Körper zu hören. Die meisten Sportler haben ja ein gutes Körpergefühl, vor allem, wenn sie schon seit langen Jahren trainieren. Viele Läufer sagen: Ich brauche gar keine Pulsuhr, weil ich genau weiß, in welchem Bereich ich mich bewege. Generell wäre ich lieber etwas zu vorsichtig. Die wenigsten Sportler verdienen damit ihr Geld, da ist es auch nicht so schlimm, wenn man mal drei Tage nicht trainiert.
Da sind wir schon beim nächsten Punkt: Wie lange muss man denn pausieren, bevor man wieder loslegt? Sicher hängt das von der Schwere der Erkältung ab. Gibt es trotzdem eine generelle Empfehlung?
Generell geht halt nicht. Die Studien, die dazu gemacht wurden, liefern lediglich Anhaltspunkte. Das ist ein relativ häufiges Problem in der Sportmedizin: Es gibt keine prospektiven Studien, die so etwas randomisiert-kontrolliert untersuchen. Dafür müsste man ja beispielsweise 100 Leute mit Schnupfen und Fieber, 100 Leute mit Schnupfen, aber ohne Fieber sowie 100 Gesunde Sport treiben lassen und vergleichen. Das ist praktisch unmöglich. Fieber ist aber immer ein klares Warnsignal. Man muss schon mehrere Tage fieberfrei sein, bevor man wieder ins Training einsteigt – und zwar ohne Medikamente.
Klingt sehr einleuchtend.
Das sagen Sie! Manche Leute denken da aber gar nicht dran. Unter Paracetamol fühlen sie sich vielleicht schon wieder ganz gut. Aber wenn ich noch so krank bin, dass ich Medikamente brauche, ist Sport absolut nicht sinnvoll. Die Symptome sollten möglichst vollständig abgeklungen sein. Ein guter Anhaltspunkt ist außerdem der Ruhepuls: Wenn man noch nicht ganz fit ist, ist er oft höher als üblich. Wenn man das feststellt – viele Menschen tragen ja heute im Alltag Fitnessarmbänder, die auch den Puls messen –, sollte man noch vorsichtig sein.
Einige Sportler behaupten, man könne einen Infekt beim Sport »herausschwitzen«. Was sagen Sie dazu?
Das ist typischer Sportlerjargon und entbehrt meines Erachtens jeglicher Grundlage. Ich würde dringend davon abraten, irgendetwas »rauszutrainieren«. Das kann man vielleicht bei manchen muskulären Beschwerden – und selbst da bin ich skeptisch. Aber was Infekte betrifft, ist das absoluter Unsinn.
Von Sportler zu Sportler
Der Begriff »Sport« ist für Personen, die keinen Bezug dazu haben, oft abschreckend. Christof Burgstahler bevorzugt daher »Bewegung«. Bereits eine geringe Steigerung der körperlichen Aktivität, etwa durch regelmäßiges Treppensteigen, könne positive Effekte auf die Gesundheit haben, sagt er. Burgstahler ist häufig mit dem Fahrrad unterwegs, fährt gerne Ski und treibt Wassersport. Die Corona-Zeit sieht er als Chance, Neues auszuprobieren. Warum nicht mit der Partnerin oder dem Partner regelmäßig spazieren gehen oder im Internet nach Anleitungen für das Training zu Hause suchen?
Ich gebe zu, ich habe auch schon mit Schnupfen Sport gemacht. Während des Trainings war die Nase dann plötzlich frei, und es ging mir eigentlich ganz gut.
Das kann ich mir vorstellen. Beim Sport werden Hormone wie Adrenalin ausgeschüttet. Sie können dafür sorgen, dass sich die Nasenschleimhaut zusammenzieht und etwas abschwillt. Aber durch den Open-Window-Effekte nach dem Sport laufen Sie definitiv Gefahr, dass es schlechter wird.
Außerdem riskiert man angeblich eine Herzmuskelentzündung, wenn man trotz Erkältung trainiert. Stimmt das?
Auch dazu gibt es keine prospektiven, kontrollierten Studien. Es existieren vor allem theoretische Überlegungen, in den 1970er Jahren gab es außerdem einen Tierversuch: Forscher haben dabei Mäuse mit einem Erkältungsvirus infiziert. Ein Teil der Tiere musste anschließend in einem Wasserbecken schwimmen, die anderen durften sich ausruhen beziehungsweise mussten erst nach neun Tagen ins Wasserbecken. Dabei kam heraus: Die Mäuse, die sich früh körperlich betätigt hatten, starben relativ häufig an einer Herzmuskelentzündung. Viele der heutigen Empfehlungen fußen auf diesem einen Tierversuch.
Lassen sich diese Ergebnisse auf Menschen übertragen?
Nur bedingt. Das ist immer die Schwierigkeit bei solchen Tierversuchen. Man weiß aber inzwischen auch aus retrospektiven Betrachtungen, dass viele der Menschen, die eine Herzmuskelentzündung entwickeln, zuvor einen Infekt hatten. Ein bisschen Schnupfen oder Husten, ein leichter Magen-Darm-Infekt. Manche erinnern sich gar nicht mehr daran und haben danach vielleicht nicht ausreichend lange pausiert.
Wie macht sich eine Herzmuskelentzündung denn bemerkbar?
Unter Umständen gar nicht. Wir haben vor einigen Jahren bei etwa 100 Sportlerinnen und Sportlern eine Magnetresonanztomografie des Herzens gemacht. Bei sechs davon haben wir Veränderungen gefunden, die darauf hindeuten, dass sie mal eine Herzmuskelentzündung hatten. Alle haben uns glaubhaft versichert, dass sie sich an nichts erinnern. Es gibt sogar Leute, die sagen: Jeder von uns wird mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrmals im Leben eine Herzmuskelentzündung durchmachen, ohne bleibende Schäden davonzutragen.
Aber es kann auch tödlich enden.
2009 verstarb der Leichtathlet René Herms an einer Herzmuskelentzündung. Er war mehrfacher deutscher Meister im 800-Meter-Lauf. Abends habe er noch trainiert, hieß es, am nächsten Morgen lag er tot in seinem Bett. Die Ursache war offenbar eine Herzmuskelentzündung. Ähnliches ist einem Hobbyläufer aus der Region passiert, der mit seiner Frau an einem Halbmarathon teilgenommen hat. Er kam zwar ins Ziel, musste dann aber reanimiert werden und hat nicht überlebt.
Warum kann das so gefährlich sein? Was genau passiert dabei im Herzen?
Über den Blutkreislauf können Krankheitserreger ins Herz gelangen und die Herzmuskelzellen direkt infizieren. Klassischerweise – vor allem im Zusammenhang mit Sport – sind Viren verantwortlich. Aber auch Bakterien, bestimmte Medikamente oder eine Bestrahlung können den Herzmuskel schädigen. Entzündungszellen wandern ein, durch die Entzündung kann es zum Untergang von Herzmuskelzellen und zu einer Fibrosierung kommen, das heißt, Muskelzellen werden durch Narbengewebe ersetzt. Je nachdem, wie groß der betroffene Bereich ist, kann das die Schlagfähigkeit des Herzens beeinträchtigen oder zu gefährlichen Herzrhythmusstörungen wie Kammerflimmern führen. Bei chronischen Verläufen kann auch eine Herzschwäche auftreten. Deswegen sollten sich Menschen, die bekanntermaßen eine Herzmuskelentzündung hatten, auch in den Jahren danach regelmäßig untersuchen lassen.
Wie kann man denn feststellen, ob jemand eine Herzmuskelentzündung hat?
Bei Menschen, die klassische Symptome wie Luftnot, Brustschmerzen, Herzstolpern oder einen Leistungsknick aufweisen, sieht man teilweise Veränderungen im Echokardiogramm oder im EKG. Hier kann man sagen: Die Befunde sind typisch, das ist relativ sicher eine Myokarditis. Womit sich Sportmediziner immer schwertun, ist der sichere Ausschluss einer Herzmuskelentzündung. Milde Formen können wir nicht einmal ausschließen, wenn wir eine Probe des Herzmuskelgewebes untersuchen lassen.
Warum?
Viren können unterschiedliche Teile des Herzmuskels befallen. Es kann also passieren, dass Sie bei der Biopsie ausgerechnet einen Teil des Gewebes entnehmen, der nicht infiziert ist. Dann sehen Sie nichts. Drei Zentimeter daneben wäre aber vielleicht eine Entzündungsreaktion nachweisbar.
Wie häufig ist eine Herzmuskelentzündung?
Laut der Deutschen Herzstiftung zählt die Myokarditis zu den häufigsten Ursachen für mit Sport verbundene, plötzliche Herztodesfälle. Bei Sportlern unter 35 Jahren ist sie mit 24 Prozent sogar die häufigste Ursache für einen plötzlichen Herztod. Daten zur Verbreitung in der Allgemeinbevölkerung gibt es nicht, weil viele Fälle symptomlos verlaufen und nicht erkannt werden.
Wie lange muss man nach einer Herzmuskelentzündung pausieren?
Üblicherweise rät man zu drei bis sechs Monaten Pause. Vor ein paar Jahren haben wir ein Register angelegt, wo wir die Patienten über diesen Zeitraum nachverfolgt haben. Dabei kam heraus, dass dieses Vorgehen im Großen und Ganzen passt – zumindest ist kein Teilnehmer während des Beobachtungszeitraums gestorben.
Gibt es denn schon Daten dazu, ob und wie häufig das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 Herzmuskelentzündungen auslöst?
Da ist sich die Fachwelt bisher sehr uneinig. Es gab eine kleinere Arbeit aus Deutschland, bei der Forscher bei 60 Prozent der Probanden im MRT Veränderungen festgestellt haben, die auf eine Herzmuskelentzündung hindeuten. Andere Studien konnten dies nicht bestätigen. Zudem muss man immer aufpassen: Wurden diese Veränderungen wirklich durch Covid-19 verursacht, oder waren sie vielleicht schon vorher da? Prinzipiell muss man schon davon ausgehen, dass das Coronavirus, wie viele andere Viren auch, eine Myokarditis auslösen kann. Solche Fallberichte gibt immer wieder. Wenn ich mich mit meinen Kollegen aus der Pathologie unterhalte, höre ich aber, das sei keine klassische Myokarditis, sondern »irgendwie anders«. Wir wissen noch nicht genau, was dabei passiert und wie hoch das Risiko ist. Das hängt sicherlich auch davon ab, wie schwer die Erkrankung verläuft. Gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft sind wir dabei, Daten von Sportlern mit Covid-19 zu sammeln.
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