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Warkus' Welt: Das größtmögliche Glück

Können 75 Milliarden Menschen auf der Welt wünschenswerter sein als 7,5 Milliarden? Aus philosophischer Sicht lässt sich darüber tatsächlich streiten.
Menschenmenge

Die Weltbevölkerung zählt mehr als 75 Milliarden Menschen und ist Platz sparend untergebracht: Jeweils 800 000 Personen teilen sich in bescheidenem Komfort einen über 1000 Etagen hohen Turm. Empfängnisverhütung ist verboten und unnötig: Für die wachsende Bevölkerung werden einfach neue Türme gebaut. Die gesamte restliche Erdoberfläche dient der Landwirtschaft, alle Ressourcen werden recycelt. Es herrscht eine religiös grundierte Fruchtbarkeitsideologie, mit den (wenigen) Abweichlern wird kurzer Prozess gemacht. Dieses Szenario beschreibt der US-amerikanische Sciencefiction-Autor Robert Silverberg 1971 in seinem Roman »Ein glücklicher Tag im Jahr 2381« (im Original: »The World Inside«).

Für viele Menschen mag das wie eine grausame Endzeitvision klingen. Aber was wäre, wenn man nachweisen könnte, dass eine Welt, wie Silverberg sie beschreibt, moralisch in höchstem Maß wünschenswert ist und daher sozusagen die Pflicht der Menschheit besteht, sie oder eine ähnliche Welt herbeizuführen?

Der Gedankengang beginnt mit der Annahme, dass das Glück oder die Zufriedenheit eines Menschen zumindest grob quantifizierbar ist, dass es also zum Beispiel möglich ist, zu sagen, dass ein bestimmter Mensch mindestens 10-mal oder höchstens 100-mal so zufrieden ist wie ein anderer. Die zweite Annahme ist, dass auch die Zufriedenheit einer beliebigen Menschengruppe quantifizierbar ist und sich durch Addition der Zufriedenheitswerte ihrer Mitglieder ergibt. Beide Annahmen werden typischerweise vor dem Hintergrund einer so genannten utilitaristischen Ethik gefasst – einer Theorie, die Handlungen danach bewertet, ob sie nutzen, also die Zufriedenheit von Menschen erhöhen oder verringern.

Treffen beide Annahmen zu, dann ist zum Beispiel eine Stadt, die 100 000 sehr zufriedene und 5000 nicht ganz so zufriedene Einwohner hat, insgesamt leicht glücklicher als eine Stadt, die nur 100 000 sehr zufriedene Einwohner hat. Und die Bevölkerung einer Erde, die 75 Milliarden Menschen trägt, ist möglicherweise viel glücklicher als die einer Erde, auf der es nur 7,5 Milliarden Menschen gibt – es muss nur sichergestellt sein, dass der Abstand der Pro-Kopf-Zufriedenheit nicht zu hoch ist. Da bei Silverberg alle Turmbewohner halbwegs bequem leben und bis auf wenige Ausnahmen ziemlich zufrieden mit ihrem Leben sind, kann man meines Erachtens durchaus davon ausgehen, dass sie pro Kopf mindestens halb so zufrieden sind wie die heutige Menschheit. Damit wäre Silverbergs Szenario wünschenswerter als das, was heute ist. Darf das sein?

Die widerwärtige Folgerung

Die Erkenntnis, dass es, abhängig davon, welcher Moraltheorie man folgt, möglicherweise wünschenswert sein könnte, die Anzahl der Menschen auf der Erde ungeheuer zu steigern, untersuchte 1984 der analytische Philosoph Derek Parfit (1942–2017) ausführlicher. Er bezeichnete sie als die »widerwärtige Folgerung« (»repugnant conclusion«). Das zu der Folgerung führende Problem ist auch als Paradox der bloßen Addition (»mere-addition paradox«) bekannt.

Erstaunlicherweise ist es äußerst schwer, die Folgerung zu umgehen. Ein Ansatz bestünde zum Beispiel darin, die Zufriedenheit von Menschengruppen nicht nach der Summe, sondern nach dem Mittelwert der Zufriedenheit der Einzelpersonen zu beurteilen – das bedeutet aber etwa, dass eine Weltbevölkerung, die nur aus drei äußerst zufriedenen Menschen besteht, als anstrebenswerter gelten würde als eine Bevölkerung aus sieben Milliarden geringfügig weniger zufriedenen. Ein anderer Ansatz nimmt an, dass die Zufriedenheit jedes Menschen grundsätzlich negativ und eigentlich kein Leben wirklich lebenswert ist. Die »Stanford Encyclopedia of Philosophy« zählt in ihrem Artikel zum Thema acht verschiedene Ansätze auf, die allesamt Schwächen haben.

Angesichts der Selbstgefährdung der Menschheit durch unseren gegenwärtigen Umgang mit endlichen Ressourcen mag es müßig erscheinen, über Szenarien wie das bei Silverberg nachzudenken. Die Grundfrage danach, unter welchen Umständen es ethisch wünschenswert ist, der Menschheit neue Menschen hinzuzufügen, wird dadurch aber nicht irrelevant. Ein Ausweg ist es, zu akzeptieren, dass die Entscheidung für oder gegen Kinder eine völlig freie ist und niemals anhand von Überlegungen über das zukünftige Wohlergehen der Menschheit als ganzer erfolgen muss.

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