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Warkus' Welt: Das ist doch absurd!

Albert Camus zufolge kann das Absurde an jeder Straßenbiegung lauern. Historisch gesehen hat der Begriff aber vor allem mit Religion zu tun, erklärt unser Kolumnist Matthias Warkus.
Astronaut an der Bushaltestelle

Vergleichen Sie einmal folgende Scherzfragen:

A: Was ist der Unterschied zwischen einem Nagel und einer Schraube? Dresden.
B: Wie viele Surrealisten braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln? Zwei: Einer hält die Giraffe fest, und der andere füllt die Badewanne mit bunten Akkordeons.

Wenn Ihr Sinn für Humor mit meinem halbwegs übereinstimmt, finden Sie beides sehr lustig. Doch es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen der Art und Weise, auf die die beiden Scherzfragen lustig sind. Der Witz bei Frage A liegt darin, dass die Antwort einen entschlüsselbaren Sinn hat, der damit zu tun hat, wie sich das Wort »Dresden« anhört und worauf man die darin anklingende Bedeutung beziehen kann. Der Witz bei Frage B liegt darin, dass es nichts zu entschlüsseln gibt. Der Humor in Frage A ist vielleicht etwas schräg, wenn man keine Wortspiele gewohnt ist, der Humor in Frage B hingegen ist absurd.

Versucht man sich dem Begriff philosophisch zu nähern, heißt Absurdität Widersprüchlichkeit oder eher noch darüber hinaus eine Form von Sinnlosigkeit, die sich sozusagen aktiv gegen Versuche sträubt, Reste von Sinn aus dem Zusammenhang herauszuholen. (Stellen Sie sich vor, die Antwort bei B wäre: »Einer dreht die Glühbirne links herum, und einer dreht sie gleichzeitig rechts herum.« Das wäre komplett widersprüchlich, aber es fühlt sich weniger absurd an als die Sache mit den Akkordeons.)

Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Zwischen Theologie und Existenzphilosophie

Interessanterweise ist »absurd« in der Spätantike zunächst ein theologischer beziehungsweise religionsphilosophischer Fachausdruck gewesen: Absurd sind Inhalte des christlichen Glaubens, die man nicht vernünftig begründen kann, sondern die man einfach glauben muss – zum Beispiel dass Gott zugleich drei und eins ist oder dass er sowohl unsterblich und allmächtig als auch am Kreuz gestorben ist. (Die heutige katholische Kirche etwa widersetzt sich dieser Ansicht allerdings energisch, sie sieht Glaube und Vernunft als völlig miteinander vereinbar an.) Der dänische Philosoph Søren Kierkegaard (1813–1855) machte aus dem Absurden, ebenfalls in seinem Denken über die christliche Religion fußend, eine wichtige philosophische Kategorie, die von der Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts aufgegriffen wurde. Insbesondere die französischen Philosophen und Schriftsteller Albert Camus (1913–1960) und Jean-Paul Sartre (1905–1980) gelten heute als wichtige Denker des Absurden.

Camus begreift das Verhältnis zwischen dem menschlichen Individuum und der Welt als ähnlich wie das Verhältnis zwischen der Scherzfrage B und ihrer Antwort: Auf eine Frage, die zumindest dem Grundzug nach eine sinnvolle Antwort fordert, wird etwas entgegnet, was nach keinem bekannten Maßstab irgendeinen Sinn ergibt.

Als absurd in diesem Sinn kann man nun etwa die Allgegenwart von sinnlosem Leiden und Tod betrachten. Aber Absurdität begegnet uns, wenn wir das Leben so lesen, ganz alltäglich, in Situationen, die man zum Beispiel mit Ausrufen wie »Das ist doch ein Witz!« kommentieren kann. Stellen Sie sich etwa vor, dass Sie in einem Hotel zu Gast sind und Ihr Auto auf dem bewachten Parkplatz abstellen sollen, der leider etwas schwierig anzufahren ist. Jemand vom Personal winkt Sie um mehrere unübersichtliche Ecken in einen Innenhof, hebt fröhlich den Daumen und verschwindet dann. Nur ist der Innenhof zum größten Teil eine Baugrube, und eine Wendemöglichkeit gibt es auch nicht. Das muss doch wohl ein Witz sein? Die Fragen, die Sie sich stellen, finden keine Antwort. Auch das ist schon absurd. (Camus war auch der Meinung, das Absurde könne jedem Menschen »an jeder Straßenbiegung« begegnen.)

Während Kierkegaard das Absurde und Widersprüchliche als etwas sieht, das man durch einen jenseits der bloßen Vernunft angesiedelten »Sprung« in den (christlichen) Glauben hinein überschreiten und überwinden kann, ist Camus ganz Kind des 20. Jahrhunderts. Er sieht gerade die Auflehnung gegen das Absurde, ohne jeden Ausweg, als frei gewählten Kampf, als Möglichkeit, zu einer erfüllten menschlichen Existenz zu gelangen.

Wie auch immer man die Sache mit dem Absurden angeht: Es dürfte klar geworden sein, dass es bereits aus philosophischen Gründen enge Bezüge zwischen absurdem Humor, religiösem Denken und modernen Formen des Nachdenkens über die menschliche Existenz gibt. Die Verehrung, die heutzutage viele Philosophinnen und Philosophen zum Beispiel dem Humor von Monty Python entgegenbringen, ist daher kein Zufall.

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