Freistetters Formelwelt: Der Schlüssel zu den interessanten Regionen des Sonnensystems
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Wenn man in der Himmelsmechanik die Bewegung von Planeten, Monden, Asteroiden, Satelliten oder anderen Objekten mathematisch analysiert, dann muss man zwangsläufig mit Vereinfachungen arbeiten. Es ist unmöglich, die Bewegungsgleichungen exakt zu lösen, sobald mehr als zwei Himmelskörper involviert sind. Aber auch die vereinfachten Modelle sind komplex genug.
Betrachten wir als Beispiel die Sonne, den Jupiter und einen Asteroiden und gehen wir der Einfachheit halber davon aus, dass sich Sonne und Jupiter auf kreisförmigen Bahnen um ihren gemeinsamen Schwerpunkt bewegen. Außerdem ist die Masse des Asteroiden im Vergleich zu den beiden anderen so klein, dass man seine gravitative Wirkung vernachlässigen kann. Dieser Spezialfall ist als das »kreisförmige eingeschränkte Dreikörperproblem« bekannt. Trotz der Vereinfachungen kann man damit viele reale Situationen gut beschreiben; dabei muss man aber bestimmte Dinge berücksichtigen. Das gilt insbesondere für das Jacobi-Integral:
\[J = 2\Omega – v^2\]Im Gegensatz zum Fall von drei oder mehr Körpern, die sich alle gegenseitig gravitativ beeinflussen, kann man für das eingeschränkte Dreikörperproblem mathematisch exakte Lösungen finden. Man kann die Bewegung in einem mitrotierenden Koordinatensystem betrachten, in dem Sonne und Jupiter (beziehungsweise allgemein die beiden schwereren Körper) stillstehen. Dann muss man nur noch die Bewegung des dritten Objekts beschreiben.
Hier kommt das Jacobi-Integral J ins Spiel. Wie in der Formel angegeben, wird es durch die Geschwindigkeit v des dritten Körpers und das effektive Potenzial Ω beschrieben. Letzteres wird, vereinfacht gesagt, durch die kombinierte Anziehungskraft der beiden massereichen Körper und die Auswirkungen des mitrotierenden Bezugsrahmens bestimmt. Das rotierende Koordinatensystem bringt aber auch Scheinkräfte mit ein. Das zeitabhängige Gravitationspotenzial des Inertialsystems wird durch die Koordinatentransformation zwar zeitunabhängig, dafür gilt hier aber die Energieerhaltung nicht mehr. Dasselbe gilt für die Impuls- und Drehimpulserhaltung und tatsächlich ist das Jacobi-Integral die einzige Erhaltungsgröße im kreisförmigen eingeschränkten Dreikörperproblem.
Das Jacobi-Integral kann man als eine Art von Pseudoenergie betrachten, die die Koordinaten und die Geschwindigkeiten des dritten Körpers verknüpft. Je nach Wert von J gibt es »verbotene« Bereiche, die dieser Himmelskörper nicht erreichen kann, weil die Kombination der dafür nötigen Werte von Position und Geschwindigkeit die Erhaltung des Jacobi-Integrals verletzen würde.
Ein Parkplatz für Satelliten
Das Jacobi-Integral ergibt sich aus der Vereinfachung der komplexen Realität auf das eingeschränkte Dreikörperproblem. In der Praxis kommt man auch mit solchen Spezialfällen durchaus weit. Zum Beispiel ganze 1,5 Millionen Kilometer weit zum so genannten Lagrange-Punkt L2 des Sonne-Erde-Systems. Genau dorthin haben wir unter anderem das James-Webb-Weltraumteleskop oder den Satelliten Euclid geschickt. Die Lagrange-Punkte (es gibt fünf davon) sind Orte, wo ein Satellit quasi antriebslos die Sonne mit derselben Geschwindigkeit wie die Erde umkreisen kann. Seine Position in Bezug auf die Erde bleibt also immer gleich.
Darüber hinaus wird ein Satellit in L2 – der sich außerhalb der Erdbahn befindet – durch die Erde von der Sonne abgeschirmt. Das sind ideale Bedingungen für die Beobachtung des Universums. Wir kennen diese Punkte nur deshalb, weil sich das Problem mit Hilfe des Jacobi-Integrals untersuchen lässt. Die Position der Lagrange-Punkte, die optimalen und Treibstoff sparenden Flugrouten und jede Menge andere relevante Details der Raumfahrt hängen direkt mit dem Jacobi-Integral zusammen. Es ist buchstäblich unser Schlüssel zu den interessanten Regionen des Sonnensystems.
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