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Freistetters Formelwelt: Das Tor ins Innere der Sonne

Kein Stern lässt sich besser beobachten als unsere Sonne. Ihre Flecken erlauben einen Blick ins Innere - und das schon mit einfachsten Instrumenten.
Sonnenfleck

Die Sonne war der erste Himmelskörper, den ich durch ein Teleskop beobachtet habe. Ein wenig untypisch für einen Astronomen, fand dieser erste Blick erst am Tag nach der abschließenden Prüfung meines Studiums statt. Mich hat immer die Theorie viel mehr interessiert als die Beobachtung; die mathematische Analyse mehr als die Auswertung der Daten der Instrumente. Mittlerweile habe ich diesem ersten Blick natürlich viele weitere folgen lassen, und viele davon galten unserem Zentralgestirn – und ihren Flecken, die ich damals ebenfalls erblickte.

Wer diese dunklen Bereiche in den leuchtenden äußeren Schichten unseres Sterns als Erster entdeckt hat, ist unklar. Schon aus der Antike und dem Mittelalter gibt es entsprechende Aufzeichnungen, und als das Teleskop zu Beginn des 17. Jahrhunderts erstmals zum Himmel gerichtet wurde, berichteten neben Galileo Galilei auch der Engländer Thomas Harriot und die Deutschen Johann Fabricius und Christoph Scheiner von den Flecken auf der Sonne.

Die Erkenntnis, dass die Sonnenflecken nicht einfach nur Helligkeitsvariationen darstellen, sondern uns etwas über das verraten können, was im Inneren unseres Sterns vor sich geht, ist dem Apotheker und Amateurastronom Samuel Heinrich Schwabe aus Dessau und dem Schweizer Mathematiker Rudolf Wolf zu verdanken. Letzterer gibt auch der Formel den Namen, mit der bis heute die Sonnenflecken erfasst werden:

R=k (f + 10g)

Die Sonnenflecken-Relativzahl (oder wolfsche Relativzahl) R bestimmt sich aus der Zahl der sichtbaren Einzelflecken f und der Menge an Sonnenfleckengruppen g (gewichtet durch einen vom Instrument abhängigen Faktor k). Schwabe zeichnete zwischen 1826 und 1843 an jedem klaren Tag die Zahl der Sonnenflecken auf und bemerkte, dass sich deren Häufigkeit mit einer etwa elf Jahre dauernden Periode verändert. Rudolf Wolf bestätigte das und entwickelte 1849 obige Formel, um einheitliche Aufzeichnungen möglich zu machen.

Wolf nutzte die historischen Aufzeichnungen seiner Vorgänger, um die Sonnenflecken-Relativzahl für die Vergangenheit zu rekonstruieren, und fing an, die Fleckenzyklen durchzunummerieren. Der offiziell erste Zyklus begann im Februar 1755 und endete im Juni 1766. Mittlerweile sind wir bei Zyklus 24 angekommen, der im Dezember 2008 startete und sein Maximum im April 2014 erreichte. Seitdem sinkt die Zahl der Sonnenflecken wieder, und der Beginn des 25. Zyklus wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Ich finde die Sonnenflecken auch deswegen so interessant, weil sie einerseits enorm einfach beobachtet werden können. Ein Fernglas oder ein kleines Teleskop – natürlich mit entsprechenden Sonnenfiltern! – reichen völlig aus, um sich an der internationalen Zählung der Sonnenflecken zu beteiligen: Die Daten zur Sonnenfleckenrelativzahl werden seit 1979 vom Solar Influences Data Analysis Center der Königlichen Sternwarte in Belgien gesammelt.

Andererseits bieten uns die Sonnenflecken eine einzigartige Möglichkeit, in das Innere eines Sterns zu blicken. Sie entstehen, wenn lokale Magnetfelder das Aufsteigen von heißem Material aus den tieferen Schichten der Sonne in die äußeren Bereiche verhindern und dabei kühlere Regionen erzeugen. Je mehr Sonnenflecke, desto turbulenter ist die magnetische Aktivität. Der elfjährige Zyklus ist das Resultat einer regelmäßig stattfindenden kompletten Umpolung des solaren Magnetfelds, die auf die komplexen Bewegungen des elektrisch geladenen Plasmas in ihrem Inneren zurückgeführt werden kann.

Mein später erster Blick durch ein Teleskop hat mich nicht zu einem astronomischen Beobachter gemacht. Ich bin der Theorie treu geblieben. Gelohnt aber hat er sich: Denn die Theorie ist immer nur so gut wie die Daten, mit der sie arbeitet. Das sollte man auch als Theoretiker nicht vergessen.

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